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Wie braun ist der Osten Deutschlands?

2. Dezember 2011

Im Interview mit DW-WORLD.DE erklärt der Rechtsextremismusexperte Elmar Brähler das Ausmaß rechtsextremistischer Einstellungen in den neuen Bundesländern. Brähler warnt vor einer Ost-West-Diskussion des Problems.

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(Foto:privat)
Rechtsextremismusexperte Elmar Brähler: Schwierige Strukturen auf dem LandBild: Fotohaus Borschel

DW-WORLD.DE: Stimmt es, dass rechtsextreme Einstellungen in den neuen Bundesländern mehr verbreitet sind als im Westen Deutschlands?

Professor Elmar Brähler: Das kommt auf die Facetten an, die man betrachtet. Beim Antisemitismus ist das nicht der Fall. Bei anderen Faktoren des Rechtsextremismus ist der Unterschied, das haben Studien gezeigt, auch nicht so deutlich. Was im Osten aber hervorsticht, das ist der hohe Grad an Ausländerfeindlichkeit.

Liegt das daran, dass im Osten weniger Menschen mit Migrationshintergrund leben?

Es ist tatsächlich so, dass der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im Osten noch immer sehr viel geringer ist. Auf der anderen Seite hat aber Bayern genauso hohe Werte an Ausländerfeindlichkeit wie die neuen Bundesländer, obwohl dort sehr viele Ausländer leben. Eine generelle Erklärung also gibt es nicht.

Und welche Erklärungsansätze gibt es?

Wir haben im Osten wirtschaftlich-strukturell andere Bedingungen als im Westen: geringere Löhne, höhere Arbeitslosigkeit. Es gibt im ländlichen Raum viele wirtschaftlich schwache Regionen. In so einer Situation greift immer wieder das Verhaltensmuster, Sündenböcke für die Probleme zu suchen - und im Fall der Zwickauer Terrorzelle waren es wieder einmal die Ausländer.

In der DDR gab es in den 80er-Jahren einen verdeckten Rechtsextremismus. Gibt es Verbindungslinien zu heute?

Bei den Tätern oder deren Umfeld, die jetzt im Fokus stehen, gibt es solche Bezüge, also rechtsextreme Auffälligkeiten während der DDR-Zeit. Dort gab es Vorfälle bei Fußballspielen im damaligen Ost-Berlin. Es gab Überfälle auf eine linke kirchliche Gruppe, ebenfalls in Ost-Berlin. Rechtsextremismus hat es auch in der DDR gegeben, nur wurde das Problem tabuisiert und verschwiegen.

Wie stellt sich für Sie die Situation in den neuen Bundesländern gegenwärtig dar?

Es gibt Problembereiche, vor allem Strukturen auf dem Land, wo es eine Vorherrschaft rechter Einstellungen gibt, wo keine anderen Meinungen mehr gelten. Trotzdem würde ich davor warnen, nun den gesamten Osten unter Generalverdacht zu stellen. Rechtsextremismus ist und bleibt ein gesamtdeutsches Problem. Denn man kann auch für die westlichen Bundesländer keine Entwarnung bei rechtsextremen Einstellungen und Gesinnungen geben.

Muss Deutschland das Thema Rechtsextremismus neben der konkreten strafrechtlichen Verfolgung breiter diskutieren, also auch in Schulen und Familien?

Das würde ich für wichtig und notwendig halten, weil rechtsextreme junge Menschen keine unschuldigen Kinder sind, die in der Pubertät verführt wurden. Sondern sie kommen aus Familien, und in den Familien gibt es unselige Traditionslinien, die nach 1945 nicht von alleine verschwunden sind. Im Westen hat man sich am Wirtschaftswunder erfreut. Im Osten gab es den verordneten Antifaschismus, richtig aufgearbeitet wurde da wenig. Aufarbeitung aber ist ganz wichtig, und Familien haben dabei einen ganz hohen Stellenwert.

Was kann man noch tun?

Strafrechtliche Verfolgung ist ein ganz wichtiger Punkt. Es gab die Tendenz bei den Strafverfolgungsbehörden, auch bei der Polizei, rechtsradikale Hintergründe für Straftaten zu leugnen, nicht wahrzunehmen. Politische Hintergründe wurden heruntergespielt, stattdessen war von jugendlichen Straftätern mit Testosteron-Überschuss die Rede. Durch die aktuelle Diskussion ist meines Erachtens nun vielen bewusst geworden, dass man das Augenmerk verstärkt auf politische Motive richten muss.

Die Probleme, die jetzt aufgetreten sind, sind erst einmal Strafverfolgungsprobleme, vor allem in Thüringen und Sachsen. Es sind einzelne Bundesländer, die besser hätten reagieren können. Das zu einer Ost-West-Problematik zu machen, das finde ich nicht gerechtfertigt.

Interview: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Pia Gram

Elmar Brähler, geboren 1946 in Ulm, ist Professor für Medizinische Psychologie und Soziologie an der Universität Leipzig. Seit Jahren untersucht er Gründe und Auswirkungen von rechtsextremistischen Einstellungen, u. a. in mehreren wegweisenden Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung.