Wie Deutschland EU-Geld in Afrika verwaltet
14. April 2022Es ist Ende 2015: EU-Diplomaten und die Regierungen der Mitgliedsstaaten wollen unbedingt verhindern, dass noch einmal so viele Migrantinnen und Migranten gleichzeitig die Europäische Union erreichen wie in diesem Jahr. "Es gab so ein Bewusstsein, dass etwas getan werden musste, insbesondere in Afrika, um den Menschen eine Perspektive in ihren eigenen Ländern zu bieten", sagt Udo Bullmann, Sozialdemokrat und Mitglied des Entwicklungsausschusses im Europäischen Parlament.
Aus dieser Motivation heraus entsteht unter anderem der EU-Nothilfe-Treuhandfonds (EUTF) für Afrika. Etwa 5 Milliarden Euro an "Notfallförderung", zum Großteil umgeleitet aus bestehenden Entwicklungsgeldern. Das Ziel war, möglichst schnell Gelder zu verteilen, um strukturelle Ursachen für unerlaubte Migration zu bekämpfen.
Fast ein Viertel des EUTF-Budgets kommt aus Deutschland
Wissenschaftlerinnen und NGOs kritisieren den Fonds: Die EU nutze damit Entwicklungsgelder, um ihre eigenen innenpolitischen Interessen durchzusetzen. Sie erwarte kurzfristige Lösungen für langfristige Probleme, und priorisiere Migrationskontrolle, statt etwa Freizügigkeit oder legale Migrationswege zu fördern.
Deutschland, mit der größten Wirtschaftsleistung aller EU-Länder, zahlt am meisten in den EUTF ein. Zwischen 2016 und 2021 hat die Regierung etwa 316 Millionen Euro aus dem Etat des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beigesteuert. Zusätzlich zahlt Deutschland auch die meisten Beiträge zum generellen EU-Budget und zum Europäischen Entwicklungsfonds. Daraus stammt der Großteil der EUTF-Gelder. Insgesamt stammt damit etwa ein Viertel des Budgets aus der deutschen Staatskasse.
Für Fragen nach dem EUTF verwies das Entwicklungsministerium auf das Auswärtige Amt. Das Auswärtige Amt erklärte der DW, inhaltlicher Schwerpunkt der Bundesregierung sei die Unterstützung der "EU-IOM Joint Initiative zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von Migranten aus afrikanischen Transit- und Zielländern". Außerdem unterstütze man unter anderem "EUTF-Maßnahmen zur Stabilisierung in libyschen Gemeinden entlang von Migrationsrouten" sowie "Stabilisierungsmaßnahmen" in der Sahel-Region.
Manche Beobachter haben den Eindruck, die Bundesregierung achte stärker auf Entwicklungszusammenarbeit als andere EU-Länder. "Im BMZ war schon immer der Fokus darauf, Entwicklungsgelder nicht zu sehr zu verwässern", sagt David Kipp, Migrationsforscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Laut Kipp wollte man in Deutschland generell vermeiden, dass die Gelder als Druckmittel eingesetzt würden, um Partnerländer zur Kooperation mit EU-Interessen zu bewegen.
EU-Interventionen schließen Grenzen in Afrika
Doch genau das scheint tatsächlich Teil der Strategie zu sein. Im Jahr 2017 etwa bewilligte die Europäische Union keine Gelder für Äthiopien mehr aus dem EUTF, bis das Land zustimmte, abgeschobene Bürgerinnen und Bürger schneller wieder zurückzunehmen.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik kommt zu dem Schluss, das sei vor allem in Westafrika der Fall, wo EU-Programme sogar die Freizügigkeit innerhalb der Region behindern. Am Horn von Afrika hingegen unterstützen EU-Interventionen eher Programme, die Menschen erlauben, sich in der Region zu bewegen.
Deutsche Entwicklungshilfeorganisation ist ganz vorn dabei
Viele EUTF-Gelder fließen an internationale Organisationen wie die Internationale Organisation für Migration oder das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), die die Projekte dann vor Ort umsetzen. Aber auch nationale Entwicklungshilfeorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) haben einen großen Anteil. Als öffentliches Unternehmen erhält die GIZ Aufträge von verschiedenen Bundesministerien, vor allem dem BMZ. Sie bekommt aber auch zunehmend EU-Gelder. Über den EUTF ist die GIZ an Projekten mit einem Gesamtbudget von über 800 Millionen Euro beteiligt, mehr als jede andere Ausführungsorganisation.
Aus Sicht der EU ist es praktisch, mit großen, besser bekannten Organisationen wie der GIZ zusammenzuarbeiten. "Das sind große Maschinerien", sagt Udo Bullmann, "sehr nah an den jeweiligen Ministerien." Das erlaube den Ministerien, ein Auge auf die Projekte zu halten, und sorge dafür, dass die Umsetzungspartner die Ansprüche der EU erfüllen. Aber es führt auch dazu, dass einige wenige europäische Organisationen den Großteil der EU-Gelder in Entwicklungsländern verwalten.
"Wenn man Entwicklungshilfe nachhaltig gestalten will, muss man Projekte lokal verankern, um langfristig etwas zu erreichen", sagt Bullmann. Große Organisationen, sagt er, müssen daher mit lokalen Partnerorganisationen zusammenarbeiten, die besser über die Kultur und die Bedürfnisse der Empfängerländer Bescheid wissen.
Deutsche Organisationen sind in West- und Nordafrika aktiv
Projekte mit deutscher Beteiligung, vor allem durch die GIZ, sind stärker im Sahel-Fenster des EUTF aktiv: Eine der drei Fokusregionen des EUTF, die 12 westafrikanische Länder zwischen Tschad und Senegal umfasst. Die Hälfte des Budgets der Projekte mit Beteiligung deutscher Organisationen fließt dorthin. Auch im Norden Afrikas sind deutsche Organisationen überdurchschnittlich oft aktiv, etwa in Libyen, Marokko oder Ägypten, dafür weniger häufig am Horn von Afrika.
In Nordafrika beteiligt sich die GIZ an einigen Programmen zur Migrationskontrolle, meist in Kooperation mit anderen Entwicklungsorganisationen. Ein Beispiel ist ein Projekt zum "Management gemischter Migrationsbewegungen in Libyen", das unter anderem Daten über Migrationsrouten sammelt, mit Gefängnissen und lybischen Behörden zusammenarbeitet, um die Bedingungen für Migrantinnen und Migranten zu verbessern, sowie Arbeitsplätze schaffen und die Grundversorgung verbessern möchte. Die GIZ ist vor allem für letzteres zuständig, während verschiedene UN-Organe an den anderen Zielen arbeiten.
GIZ-Projekte in der Sahel-Region, die durch den EUTF gefördert haben, versuchen vor allem, Arbeitsplätze zu schaffen und generell wirtschaftliche Hilfen zu bieten. Dabei handelt es sich mehr um klassische Entwicklungshilfe, deren Beschreibung für den EUTF ans Thema Migration angepasst wurde. Das Projekt "Building a Future — Make It in The Gambia" etwa zitiert als Zielgruppe "die Jugend Gambias, darunter auch zurückkehrende oder potenzielle Migranten".
Was kommt danach?
Seit Ende 2021 akzeptiert der EUTF keine neuen Projekte mehr. In ihrem neuen Finanzrahmen will die Europäische Union ihre bisherigen Entwicklungshilfe-Töpfe, darunter auch den EUTF,in einem großen Fonds vereinen. Das "Instrument für Nachbarschaftsentwicklung und internationale Zusammenarbeit" umfasst 80 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2021 bis 2027, wovon zehn Prozent für migrationspolitische Projekte eingesetzt werden sollen. Das Ziel ist, Entwicklungshilfeprogramme der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten besser zu koordinieren.
David Kipp begrüßt diese Entwicklung – solange sich die EU nicht nur auf die negativen Aspekte von Migrationsbewegungen fokussiere. "Aber das ist leider in Brüssel nicht mehr wirklich mehrheitsfähig", sagt Kipp. "In den Vorschlägen der französischen Ratspräsidentschaft sind externe Gelder eigentlich nur noch ein Vehikel für Rückübernahmen von Migranten. Das kann sicherlich nicht im Interesse der neuen Bundesregierung sein."
Die russische Invasion der Ukraine hat dazu geführt, dass nun wieder hunderttausende Geflüchtete Asyl in der EU beantragen. Das EU-Budget wird wohl dementsprechend angepasst werden, indem etwa Gelder umgelenkt werden, um mehr für Verteidigung auszugeben und Mitgliedstaaten zu helfen, Geflüchtete aufzunehmen.
Doch wenn die jüngere Geschichte nicht irrt, dann wird Deutschland die Entwicklungspolitik der Europäischen Union in Afrika auch in den kommenden Jahren maßgeblich mitbestimmen – wie immer sie aussehen mag.
Redigiert von: Milan Gagnon und Greta Hamann
Dieses Projekt ist aus einer Kooperation zwischen mehreren Mitgliedern des European Data Journalism Network entstanden. DW leitete das Projekt, Voxeurop, Openpolis und OBCT waren Partnerredaktionen.