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"Lieber Daniel"

Daniel Heinrich11. Dezember 2013

Der SPD-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag läuft auf Hochtouren. Die Basis ist gespalten und die SPD-Führung versucht mit allen Mitteln die Genossen zu einem "Ja" zu bewegen. Auch mithilfe einer E-Mail-Flut.

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Koalitionsverhandlungen (Foto: Soeren Stache/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Pling" - Mein Handy surrt. Ich wache auf. Andrea Nahles hat mir geschrieben. Schon wieder. "Lieber Daniel …". Ich lege das Handy weg und stehe auf. Andrea Nahles ist die Generalsekretärin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Ich bin SPD-Mitglied, stehe im E-Mail Verteiler der Partei und habe ein Smartphone mit Weiterleitungsfunktion. Das hat Folgen. Bei jeder neuen E-Mail macht es "Pling" und es surrt. In letzter Zeit tut es das häufig.

Daniel Heinrich, Programmvolontär bei der Deutschen Welle (Foto: DW)
Daniel Heinrich, Programmvolontär bei der Deutschen WelleBild: DW/M. Müller

Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands. In diesem Jahr hat sie ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert. Sie hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Sie hat die Unterdrückung der Kaiserzeit überlebt. Und Hitler. Sie hat Kanzler gestellt und die Opposition angeführt. In letzter Zeit ging es der SPD nicht so gut. Die Mitgliederzahl hat sich in den letzten zwanzig Jahren fast halbiert. Bei der Bundestagswahl 1998 kam sie noch auf knapp 41 Prozent der Stimmen. Dann kam Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Agenda 2010 und der Absturz in der Wählergunst. Bei der letzten Bundestagswahl erreichte die Partei gerade mal 25,7 Prozent.

Kampf um jede Stimme - auch elektronisch

Trotzdem hat die SPD die Chance, in die Regierung zu kommen. Als Juniorpartner der Union in einer großen Koalition. Einer der Vorgänger von Andrea Nahles war Franz Müntefering. Von ihm stammt der Satz: "Opposition ist Mist." Das prägt. Bis heute: Die Parteispitze möchte in die Regierung. Dazu hat sie einen Koalitionsvertrag mit der Union ausgehandelt, über den jetzt eine innerparteiliche Mitgliederabstimmung entscheidet. Der Beschluss ist bei Weiten kein Selbstläufer. Und deswegen verschickt Andrea Nahles jetzt E-Mails. Mit Überschriften wie "Unsere Handschrift im Koalitionsvertrag" oder "Gewonnen hat die SPD" wirbt die Parteispitze für den Koalitionsvertrag und für die Regierungsbeteiligung.

"Man möchte wegkommen von der 'Basta-Politik' der Schröder Jahre", sagt der Parteienforscher Frank Decker von der Uni Bonn. Damals galt, was Gerhard Schröder sagt - und alle mussten gehorchen. Deswegen jetzt der Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag und deswegen auch die E-Mails: "Man will die Parteimitglieder einbeziehen in den Meinungsbildungsprozess, ihnen mehr Mitspracherechte geben" - und dazu nutze man eben alle möglichen Elemente der Kommunikation, so der Politologe.

Ein Smartphone (Foto: Fotolia)
"Pling" - Andrea Nahles schreibt momentan fleißig E-MailsBild: Fotolia/bloomua

Wahre Flut von E-Mails

Andrea Nahles ist nicht die Einzige, die mir schreibt. Manchmal ist es auch Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende. Oder mein Bezirksverband. Oder der "Arbeitskreis Europa" und der Jugendverband der SPD - die Jusos. Einmal wöchentlich gibt es noch den "Dienstagsbrief" der SPD. Im Schnitt macht das drei bis vier E-Mails. Täglich. Es fällt mir schwer, mit dem Lesen hinterherzukommen.

Ich möchte wissen, wie die Stimmung an der Basis ist. Zum Koalitionsvertrag und zur Online-Initiative. Ich fahre zur Regionalkonferenz der SPD nach Leverkusen. Dort wird diskutiert, argumentiert. Leidenschaftlich. Stundenlang. Für und gegen den Koalitionsvertrag. Die Genossen tun sich schwer mit der Entscheidung. Die einen fürchten den Absturz in die Bedeutungslosigkeit, sollte die SPD nicht in die Regierung kommen. Die anderen fühlen, dass die SPD ihre Werte in einer großen Koalition verrät. Einigkeit sieht anders aus.

Bundeskongress der Jusos 2013 (Foto: dpa)
Jugend und Politik - Fast alle Parteien tun sich damit schwerBild: picture-alliance/dpa

"Nur für die ganz Jungen..."

In einem Punkt gibt es allerdings Geschlossenheit: "Die SPD-Mails landen bei mir immer sofort im Papierkorb", sagt eine junge Genossin mit Kostüm. "Das ist schon eine ganze Flut, die da geschickt wird", stimmt ihr ein älterer Herr im Pullunder zu. Er suche sich sehr genau aus, was er lese. "Das meiste, was da geschrieben wird, weiß ich sowieso schon", gibt einer zu, der den Einlass kontrolliert. Die Drei sind nicht alleine. Den gesamten Abend geht das so. Egal wen ich frage: Ablehnung, Desinteresse hinsichtlich der Online-Kampagne. Woran kann das liegen? Ein Herr um die Vierzig hat eine Idee: "Diese E-Mails sind was für die ganz Jungen in der Partei." Und direkt an mich gewandt: "Das ist selbst für Leute Ihrer Generation nichts mehr."

Die E-Mail-Aktion der Parteiführung will die Jugend ansprechen und ich bin damit raus? Na ja, kann sein. Immerhin werde ich in zwei Wochen dreißig. Abends im Bett recherchiere ich: Das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder liegt bei 59 Jahren. Da surrt mein Handy -"Pling". "Lieber Daniel…". Ich schlafe ein.