Wie ein Deutscher den chinesischen Kalender reformierte
18. Dezember 2013Johann Adam Schall von Bell war ein echter Pechvogel. Über ein Jahr dauerte die Reise des deutschen Jesuiten bereits. Per Schiff durchquerte er den Atlantik, den Indischen Ozean und das Südchinesische Meer. Schall hatte Seuchen zu überstehen und Stürmen zu trotzen, um schließlich sein fernes Ziel zu erreichen: China, das geheimnisumwitterte Reich der Mitte. Doch als Schalls Schiff im Juli 1619 in den Hafen von Macao einlief, war mit der Reise erst einmal Schluss. Der Deutsche und seine Mitbrüder durften nicht weiter ins Land reisen. In der Hauptstadt Peking hatte eine den Europäern feindlich gesinnte Gruppe Einfluss erlangt, christliche Missionare wurden verbannt.
Vom Rhein ins Reich der Mitte
Dabei brannte Schall darauf, endlich das Innere Chinas und seine vielen Wunder zu sehen. Verloren war die Zeit allerdings nicht – der Priester beschäftigte sich mit dem Studium der chinesischen Sprache. Begeisterung für das Reich der Mitte hatte Schall bereits vor langer Zeit in Europa erfasst. 1592 wurde der spätere China-Reisende im Rheinland als Nachkomme eines Adelsgeschlechts geboren. Von der Schule aus zog es ihn aus Deutschland nach Rom, wo er 1611 in den Orden der Jesuiten eintrat und 1617 zum Priester geweiht wurde. Neben der Theologie entwickelte der junge Deutsche eine weitere Leidenschaft – die Mathematik und Astronomie.
Mit Eifer verschlang Schall darüber hinaus die Berichte der Missionare aus dem fernen China. Bald beschloss er, selbst dorthin zu reisen. 1618 begann das Abenteuer, das in Macao scheinbar ein vorzeitiges Ende finden sollte. Fast vier Jahre saß er dort fest.
Der Sternendeuter
Erst 1622 konnten die Europäer gefahrlos den Weg aus dem Süden Chinas in Richtung der Hauptstadt Peking antreten. Schall war fasziniert, in den Augen des Europäers offenbarte sich Wunder über Wunder. In Peking erhielt der Deutsche Johann Adam Schall von Bell dann auch einen chinesischen Namen: T'ang Jo-wang. Der erste Name ähnelt in der Aussprache dem deutschen "Adam", der zweite war angelehnt an das "Johann".
Schalls große Stunde kam, als der vielseitig begabte Jesuit am 8. Oktober 1623 eine Mondfinsternis richtig voraus berechnete. Ein Mandarin – also ein hoher Beamter – war mehr als beeindruckt von Schalls Fähigkeiten. "Wahrhaftig, China hat in diesem Jahrhundert zwei durch Wissenschaft und Tugend hervorragende Männer aufzuweisen", soll er gesagt haben. Einer davon sei Johann Adam Schall von Bell. Vor allem Schalls Fleiß ließ die Chinesen Vertrauen zu dem Deutschen fassen. Bald beherrschte er das Chinesische so gut, dass er Bücher in dieser Sprache verfassen konnte.
Die Reform des chinesischen Kalenders
1630 erhielt Schall als Fachmann für Astronomie und Kenner der chinesischen Kultur einen Auftrag von nationaler Bedeutung: Er sollte den chinesischen Kalender reformieren. Der Kalender war die Grundlage der chinesischen Zivilisation. Alle Chinesen zogen bei Entscheidungen das Kalenderwerk zu Rate. Wer auch immer eine Reise antreten oder ein Geschäft abschließen wollte – er blickte auf jeden Fall erstmal in den Kalender, welcher Tag günstig wäre. Auch hohe Beamte, Generäle und selbst der Kaiser trafen ihre Entscheidungen danach. Der chinesische Kalender sollte das Leben der Menschen mit der Natur in Harmonie bringen. Alles andere würde Unglück hervorrufen.
Seit einiger Zeit schien der Kalender allerdings aus den Fugen geraten. Mit Hilfe der westlichen Astronomen, die das Fernrohr mit nach China gebracht hatten, sollte der Kalender reformiert werden. Schalls Aufgabe war schwierig. Der chinesische Kalender basiert auf dem Sonnen- und Mondjahr zugleich, der westliche dagegen nur auf dem Umlauf der Sonne. Es gab in einem Zeitraum von 19 Jahren sieben Schaltmonate, zugleich wurden Jahre jeweils in einem 60-Jahre-Zyklus zusammengefasst.
Der Hofastronom
Zusammen mit einem Kollegen schloss sich Schall in ein Kämmerlein ein. Dort wurde angestrengt nachgedacht, berechnet, analysiert – und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in eine Form gebracht, die den Erfordernissen des chinesischen Kalenders entsprach. 1635 legte Schall 150 Bändchen als Verbesserungsvorschlag vor. Später avancierte Schall sogar zum Leiter der Astronomischen Sternwarte. Für seine Verdienste erfuhr er höchste Ehren – der Kaiser verlieh ihm den Rang eines hochrangigen Mandarins und hörte auf seinen Rat.
Während seiner rasanten Karriere verschaffte sich der Deutsche allerdings einige Feinde. Auch weil er Chinesen zum Christentum bekehrte. 1665 wurde Schall aufgrund einer Intrige zum Tod wegen Hochverrats verurteilt: Bei lebendigem Leib sollte er zerstückelt werden. Doch der Zufall rettete ihm das Leben. Bald verheerte ein Erdbeben Peking. Dieses wurde als Zeichen himmlischen Zorns gegen Schalls Verurteilung gedeutet, und er wurde freigelassen. Knapp ein Jahr darauf starb der Astronom eines natürlichen Todes, und wurde in Peking zu Grabe getragen. Als Reformator des chinesischen Kalenders ist der deutsche Priester bis heute in China bekannt.