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PolitikEuropa

Wie Europa seine Bürger überwacht

Barbara Wesel
8. November 2022

In vielen Ländern der EU wird Spionagesoftware verwendet und politisch missbraucht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Zwischenbericht des Europaparlaments. Er sieht demokratische Rechte in der EU gefährdet.

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Pegasus Spyware
Bild: Vesa Moilanen/Lehtikuva/dpa/picture alliance

Als Elon Musk Twitter kaufte, soll EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sofort gewarnt haben, dass der US-amerikanische Kurznachrichtendienst sich an die Regeln der Europäischen Union halten müsse. Wenn aber europäische Regierungen Spionagesoftware missbrauchten, dann interessiere das die Institutionen in Brüssel kaum, so kritisiert die Berichterstatterin im sogenannten Pega-Komitee des Europaparlamentes, die niederländische Europaabgeordnete Sophie in 't Veld. Dabei sei es eine ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Rechte, wenn zahlreiche Mitgliedsländer Pegasus und ähnliche Software unkontrolliert einsetzten und Regierungskritiker, Journalisten und Oppositionelle unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit ausspähten.

Spionagesoftware ist eine europäische Affäre

"Der Missbrauch ist eine gesamteuropäische Affäre", so heißt es im Zwischenbericht der Untersuchungskommission, den Sophie in 't Veld am Dienstag vorlegte. "Mitgliedsländer haben die Spähsoftware gegen ihre Bürger zu politischen Zwecken eingesetzt sowie um Korruption und kriminelle Aktivitäten zu verdecken." Dabei sei keine der nationalen Behörden bereit gewesen, dem EU-Parlament konkrete Auskünfte zu erteilen, man habe sich auf öffentlich zugängliche Quellen stützen müssen.

Trotzdem glaubt das Komitee, eine Menge Fakten zusammengetragen zu haben. "Wenn das Puzzle aus 1000 Teilen besteht, haben wir 900 davon in der Hand", sagt Sophie in 't Veld. Man könne davon ausgehen, dass alle europäischen Mitgliedsländer Spionagesoftware gekauft hätten und manche damit auch lukrativen Handel betrieben. "Zypern und Bulgarien sind die Exportzentren, Irland bietet Steuerarrangements. Und Luxemburg ist das Finanzzentrum für viele Mitspieler unter den Herstellern." Der sogenannte Wiretapper's Ball, das jährliche Treffen dieser Industrie, finde in Prag statt und Malta gelte als bevorzugter Aufenthaltsort für die Protagonisten.

Bekanntestes Beispiel ist dabei die israelische Firma NSO, die die Spionagesoftware Pegasus herstellt, die in Griechenland für einen politischen Skandal sorgte. Das Unternehmen habe eine Präsenz in Zypern und Bulgarien und wickele die Finanzen über Luxemburg ab. Es profitiere vom Binnenmarkt und der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU. Der Verkauf der Software sei bewusst undurchsichtig und die Firmenstrukturen komplex, heißt es im vorgelegten Bericht - aber "das Geschäft boomt und ist lukrativ".

Griechenland, Ungarn, Polen - die Vorwürfe reißen nicht ab

Prominentestes Opfer der Ausspähung von Oppositionspolitikern und Journalisten in Griechenland ist der Chef der sozialdemokratischen Pasok-Partei und Europaabgeordnete Nikos Androulakis. Sein Mobiltelephon war mit der Spähsoftware Predator infiziert.

Mittlerweile werden die Listen mutmaßlicher Betroffener immer länger. Am vergangenen Wochenende bestritt Premierminister Kyriakos Mitsotakis einmal mehr, mit den jüngsten Anschuldigungen etwas zu tun zu haben. "Es ist eine Schande zu behaupten", sagte er im Sender ANT1, "der Premierminister habe seine eigenen Minister ausgespäht." 

Griechenland I Premier Kyriakos Mitsotakis
Seit Wochen unter Druck wegen "Spygate": Der griechische Premier Kyriakos MitsotakisBild: Dimitris Papamitsos/Greek Prime Minister's Office/AP/picture alliance

Dagegen hält Nikos Marantzidis, Medienexperte an der Universität Makedonien in Thessaloniki, den Regierungschef für verantwortlich: "Erst hat er gesagt, alles sei rechtmäßig, jetzt sagt er, dass er die Probleme um Pegasus und Predator beheben werde. Es ist unmöglich, allen Erklärungen zu glauben." Schlimmer sei aber, dass die Affäre den Glauben vieler Griechen an die demokratische Verfasstheit des Landes erschüttere: "Viele sind schockiert, weil wir wieder in eine autoritäre Phase eintreten." Inzwischen will die griechische Regierung den Verkauf solcher Spionagesoftware verbieten. 

Ausführlich widmet sich der Bericht des Europaparlaments auch den Regierungen in Budapest und Warschau. Ungarn sei als eines der ersten Länder in den europäischen Überwachungsskandal verwickelt gewesen. Nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden über 300 politische Aktivisten, Journalisten, Anwälte und andere ausgespäht. "Der Einsatz von Pegasus erscheint als Teil einer kalkulierten strategischen Zerstörung der Presse- und Meinungsfreiheit durch die (ungarische) Regierung", heißt es dazu in dem Report.  

Israel: Logo der NSO-Group
Der Pegasus-Produzent: Im Mittelpunkt der Affären steht der israelische Hersteller von Überwachungssoftware NSOBild: Sebastian Scheiner/AP Photo/picture alliance

Polen habe die rechtlichen Möglichkeiten zum Ausspähen seit dem vergangenen Jahr ins nahezu Grenzenlose ausgeweitet. "Die Rechte von Opfern wurden minimiert und juristische Gegenmittel in der Praxis bedeutungslos", so der Untersuchungsbericht. Die Regierungspartei habe volle Kontrolle und die Opfer könnten sich an niemanden mehr wenden. 

Es braucht neue Regeln gegen Überwachungstechnologie - und Kontrollen 

Amnesty International hat inzwischen über 100.000 Unterschriften für eine Petition an die Vereinten Nationen gesammelt, um den Verkauf und die Weitergabe von Spionagesoftware zu unterbinden. "Es ist dringend notwendig, die Menschenrechte beim Export von Überwachungstechnologie besser zu schützen", schreibt Amnesty-Generaldirektorin Agnès Callamard. "Wir erleben eine globale Krise durch Spähsoftware, in der gezielte Eingriffe in die Privatsphäre von Journalisten, Aktivisten und Anwälten genutzt werden um sie zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern." UN-Mitglieder müssten damit aufhören, solche Software als Unterdrückungsinstrument einzusetzen oder sie zu tolerieren.

Ein Moratorium will auch die Berichterstatterin im Pega-Komitee des Europaparlaments. Darüber hinaus fordert Sophie in 't Veld, dass alle Anschuldigungen untersucht werden müssten, am besten durch Interpol, sowie ein Rahmen für die legale Nutzung geschaffen und zweifelhafte Exportlizenzen für Spionagesoftware ausgesetzt werden müssten. Die Abgeordnete räumt dabei selbst ein, dass es keinen Mechanismus gibt, neue Regelungen durchzusetzen.