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Wie gefährlich ist das Kühlwasser aus Fukushima?

13. April 2021

Rund zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe will Japan Kühlwasser aus Fukushima ins Meer ablassen. Nachbarländer und Umweltschützer sind empört. Wie gefährlich ist das Kühlwasser für Mensch und Umwelt?

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Japan Okuma Fukushima Daiichi Workers at new radiation contaminated water tanks
Bild: Getty Images/C. Furlong

Nach langem Zögern hat die japanische Regierung entschieden, dass mehr als eine Million Kubikmeter gefiltertes Kühlwasser aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima kontrolliert in den Pazifik abgelassen werden darf. Für den Kraftwerksbetreiber ist dies ein wegweisender Etappensieg, für Umweltschützer, Fischer und die Nachbarländer ist es dagegen eine erneute Katastrophe. 

Am 11. März 2011 hatte ein gewaltiges Seebeben der Stärke 9,1 einen Tsunami ausgelöst, der im Nordosten Japans verheerende Zerstörungen mit sich brachte und 22.199 Menschen in den Tod reißt. Ein 14 Meter hohe Flutwelle traf auch das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi, die Sicherheitssystem fielen aus, in drei Reaktorblöcken kam es zur Kernschmelze, radioaktive Stoffe wurden freigesetzt. Bis zu 160.000 Menschen mussten die Region vorübergehend oder dauerhaft verlassen.

World Risk Report 2016 UN-University Japan Fukushima
Der Tsunami und der Atomunfall hatten dem Kernkraftwerk Daiichi schwer zugesetztBild: UN Photo/IAEA/Greg Webb

Fast zehn Jahre danach gilt die Lage rund um die Atomruine als stabil. Allerdings wird der Lagerplatz für das radioaktiv belastete Kühlwasser langsam knapp. Schon jetzt lagern 1,233 Millionen Kubikmeter kontaminiertes Wasser in 1043 Tanks. Davon enthalten 958 bereits gefiltertes Wasser und in 71 Tanks befindet sich hochradioaktives Wasser mit Cäsium und Strontium. 

Vertagtes Problem

Weil die zerstörten Reaktoren weiter gekühlt werden müssen und zusätzlich Regen- und Grundwasser in die Anlage eindringen, kommen täglich rund 170 Tonnen Kühlwasser hinzu. 

Seit Jahren ist klar, dass spätestens 2022 die Lagerkapazitäten auf dem Gelände erschöpft sein werden. 

Japan Sechs jahre nach dem Reaktorunglück in Fukushima
Bald sind die bestehenden Lagerkapazitäten nahe der Atomruine ausgeschöpft Bild: Reuters/T. Hanai

Der ehemalige Kraftwerksbetreiber Tepco will das kontaminierte Wasser möglichst bald ins Meer einleiten oder verdampfen. Alternativ könnte man auch weitere Tanks aufstellen oder das Wasser tief ins Erdreich pressen. 

Für den Radioökologen Prof. Dr. Georg Steinhauser von der Leibniz Universität Hannover ist ein Einleiten des Kühlwassers in den Pazifik ganz klar die beste und auch die sicherste Lösung. Steinhauser hat 2013 selber in der Sperrzone rund um die Atomruine Proben entnehmen können. Ein Jahr später war er als Gastprofessor an der Fukushima University tätig. 

Zusätzliche Tank aufzustellen hält Steinhauser für keine gute Idee. Gerade in Hinblick auf die sehr hohe Erdbebengefahr in der Gegend müsse bald eine Lösung gefunden werden, sagt Steinhauser im Interview mit der DW: "Wenn diese Tanks undicht werden und das Wasser ins Grundwasser sickert, dann wird sich dieses Tritium im Grundwasserhorizont in einer relativ geringen Menge Wasser ausbreiten und wenig verdünnen. Das Kühlwasser ins Meer einzuleiten halte ich für beste und sicherste Lösung für Umwelt und Menschheit. Das ist die Lösung, die viele empfohlen haben, auch die Internationale Atomenergiebehörde."

Fukushima Okuma
Verlassene Häuser im Sperrgebiet, das weiterhin nicht betreten werden darfBild: picture-alliance/dpa/L. Nicolaysen

Das sehen viele Anwohner und Umweltschützer, Fischer und auch die Nachbarstaaten allerdings anders. Sie werfen der Regierung vor, die billigste und schnellste Lösung für das Problem gewählt zu haben. Stattdessen sollten nach Meinung dieser Kritiker mehr Lagertanks außerhalb des Werksgeländes gebaut werden, bis eine sichere Lösung gefunden ist.

Sie werfen den japanischen Behörden zudem vor, die Strahlungswerte des Kühlwassers herunterzuspielen. Sie fürchten eine weitreichende Kontaminierung des Ozeans, mögliche Umweltschäden, dramatische Umsatzeinbußen und einen gewaltigen Imageschaden. 

Emotionale Debatte um das Kühlwasser

Aufgrund zahlreicher Skandale und einer völlig intransparenten Informationspolitik ist das Vertrauen von Betroffenen und Umweltschützern in den ehemaligen Kraftwerksbetreiber Tepco und die eng mit der Atomindustrie verflochtene Regierung  mit ihren Behörden äußerst gering. Entsprechend ist auch eine sachliche Diskussion über die Entsorgung des kontaminierten Kühlwassers kaum möglich.

Das kontaminierte Kühlwasser und Grundwasser wird laut Tepco durch das Filtersystem ALPS (Advanced Liquid Processing System = ALPS) geschickt, das 62 Radionuklide herausfiltern kann - mit Ausnahme von Tritium. Liegen die Grenzwerte nach der Filterung zu hoch, dann werde der Reinigungsprozess eben wiederholt, beteuert Tepco. 

Wie gefährlich ist Tritium?

Das zurück bleibende Tritium ist ein Wasserstoff-Isotop. Zwar ist Tritium radioaktiv, aber bei weitem nicht so gefährlich wie Cäsium-137 oder Strontium-90. Denn Tritium ist ein weicher Betastrahler und schon eine Plastikfolie oder die menschliche Haut reichen, um die meiste Strahlung abzuschirmen. 

“Wer vor dem Tritium Sorgen hat, ist nicht ausreichend aufgeklärt. Das Tritium stellt weder für Mensch noch für Umwelt, eine Gefahr dar, wenn es schön langsam ins Meer hineinverdünnt wird. Das ist ein Bruchteil dessen, was von den Atomwaffentests dort noch drin ist. Und das wird in Kürze unter die Nachweisgrenze verdünnt werden. Also davor braucht wirklich niemand Angst zu haben“, sagt Steinhauser. 

Japan Sechs jahre nach dem Reaktorunglück in Fukushima
Das Filtersystem kann laut Tepco 62 Radionuklide herausfiltern - mit Ausnahme von Tritium. Bild: Reuters/T. Hanai

Auch Burkhard Heuel-Fabianek, Leiter des Geschäftsbereichs Strahlenschutz am Forschungszentrum Jülich,  hält eine Einleitung des Kühlwassers in den Pazifik für "radiologisch unbedenklich". Selbst wenn Tritium in den Körper gelange, sei das Risiko gering. Tritium werde kaum im Gewebe gebunden, erläutert er im Interview mit der DW: "Weil Tritium praktisch Teil des Wassers ist, scheidet der Körper das relativ schnell wieder aus, das hat also keine so hohe biologische Wirksamkeit wie andere Stoffe." 

Ganz anders sei es, wenn etwa das krebserregende Strontium-90 in den menschlichen Körper gelangt: "Strontium wird in die Knochenstruktur aufgenommen und man bekommt es nicht mehr aus dem Körper heraus, wenn es einmal in die kristalline Struktur der Knochen eingebaut ist." 

Auch für die Umwelt sieht Radioökologe Steinhauser keine Risiken. "Tritium akkumuliert sich nicht wieder. Das ist nicht wie Quecksilber im Thunfisch. Tritium ist radioaktiver Wasserstoff in Form eines Wassermoleküls. In keinen Algen, in keinem Plankton reichert sich dieses radioaktive Wasser an, sondern es verdünnt sich weiter, und weiter und weiter.“

Der Pazifik als gewaltiger Verdünner

Bevor das tritiumhaltige Wasser ins Meer abgelassen wird, soll es soweit verdünnt werden, dass der Grenzwert bei 60.000 Becquerel pro Liter liegt. Das entspricht dem internationalen Grenzwert für das Verklappen ins Meer.  

Infografik - Radioaktivität im Meer nach Fukushima - DE
Zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe erreichte die Radioaktivität die Westküste der USA

Vermutlich würde das Ablassen des kontaminierten Wassers ins Meer auch nicht in Küstennähe geschehen, etwa an der Atomruine selbst, sondern weiter draußen auf offener See. 

"Was viele nicht wahrhaben wollen ist der alte englische Ausspruch: 'The solution to pollution is dilution.' wenn man es verdünnt bis zu einem Punkt, wo es ungefährlich wird, dann ist es eben ungefährlich", betont Steinhauser.  

In welchem Umfang sich das kontaminierte Kühlwasser über den Zeitraum von 10 Jahren nach der Reaktorkatastrophe verbreiten wird, hat GEOMAR, das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, bereits 2012 in einer anschaulichen Animation simuliert.  

Ablenkungsmanöver der Verantwortlichen? 

Nach Darstellung von Greenpeace versuchen die japanische Regierung und Tepco das Augenmerk auf das weniger gefährliche Tritium zu lenken, um von den anderen Radionukliden abzulenken, die auch nach der Reinigung noch im Wasser verbleiben.

"Die japanische Regierung hat eine sehr gute Arbeit geleistet, indem sie die Aufmerksamkeit der Medien und des heimischen Publikums auf das Tritium im Wasser gelenkt und behauptet hat, dass es keine Gefahr für die Umwelt darstellt", sagt Shaun Burnie, leitender Nuklearfachmann von Greenpeace, gegenüber der DW. "Das kontaminierte Wasser enthält viele Radionuklide, von denen wir wissen, dass sie sich auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auswirken - einschließlich Strontium-90", behauptet Burnie.

Japan Kashiwazaki-Kariwa
Eine fünfzehn Meter hohe neue Schutzwand soll die Atomruine vor weiteren Tsunamis schützen Bild: DW/K. Dörrer

Geleakte interne Tepco-Dokumente sollen laut Burnie beweisen, dass zahlreiche radioaktive Elemente wie Jod, Ruthenium, Rhodium, Antimon, Tellur, Kobalt und Strontium sich auch durch die Reinigung nicht auf einen "nicht nachweisbaren" Wert reduzieren ließen. 

Auf der offiziellen Tepco-website führt der ehemalige Kraftswerksbetreiber detailliert auf, wie hoch deraktuelle Wert der jeweilige Radionuklide pro Tank ist oder sein soll. Für Außenstehende sind aber weder die Vorwürfe, noch diese Werte wirklich zu verifizieren. 

Verdampfen als Alternative?

Sollte das verklappen des Kühlwassers ins Meer nicht in Frage kommen, könnte das tritiumhaltige Wasser auch erhitzt und der entstehende Dampf in die Luft entsorgt werden. Das Verfahren ist nicht neu, der Grenzwert für Tritium liegt bei 5 Becquerel pro Liter Luft. 

Trotzdem halten viele Forschende und auch die ehemalige Betreiberfirma Tepco das Verdampfen für eine weniger gute Alternative, weil der freigesetzte radioaktive Wasserstoff in der Luft schwerer zu kontrollieren sei. Der Wind könnte die radioaktive Wolke in weit entfernte Gebiete tragen. 

Auch nach Ansicht von Prof. Georg Steinhauser sei es sicherer, das kontaminierte Wasser über einen langen Zeitraum hinweg allmählich ins Meer abzulassen. "Das ist mir persönlich sehr viel lieber, als wenn das da verdampft. Selbst wenn es geringe Konzentrationen sind, die da in meiner Atemluft sind und dann übers Land ziehen. Auch wenn es harmlos ist: Noch harmloser ist es, wenn es im Ozean verschwindet." 

Der Artikel wurde zuletzt am 13.04.2021 aktualisiert.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund