Wie geht es weiter nach Kochs Rücktritt?
26. Mai 2010"Politik ist nicht mein Leben." Mit diesem Satz hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) am Montag seinen Rücktritt aus der Politik begründet. Aber trotzdem muss das politische Leben in Hessen und auf Bundesebene weitergehen.
Nachfolgeszenario vorbereitet
Wie – das wird sich genauer in den nächsten Wochen zeigen. Am Dienstagabend wurden in Wiesbaden aber mit der Wahl von Volker Bouffier zum Kandidaten für den CDU-Landesvorsitz zunächst die Weichen in Richtung "Koch-Abschiedswunschplan" gestellt. Der Landesvorstand und die Kreisvorsitzenden der Hessen-CDU nominierten einhellig Bouffier für die Wahl am 12. Juni beim CDU-Landesparteitag. Aber der 52-jährige Koch favorisiert seinen aktuellen Innenminister nicht nur für den Posten des Parteichefs in Hessen sondern natürlich auch als Ministerpräsidenten. Koch will am 31. August sein Amt als Regierungschef aufgeben und in die Wirtschaft wechseln.
Dann wäre der Weg frei für den 58-jährigen Bouffier. Der Mittelhesse ist wohl der Mann, der in der Parteibasis den meisten Rückhalt hat. Ganz leicht dürfte dessen Benennung der Öffentlichkeit aber nicht zu vermitteln sein. Denn derzeit muss sich der Minister vor einem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags verantworten. Die Opposition wirft Bouffier vor, im Juli 2009 seinen Parteifreund Hans Langecker zum Präsidenten der hessischen Bereitschaftspolizei ernannt haben - ohne ein vorheriges Auswahlverfahren und sogar unter Missachtung eines Gerichtsbeschlusses. Bouffier weist die Vorwürfe entschieden zurück. Möglicherweise wird Bouffier aber daher mehr eine Art Übergangs-Ministerpräsident, der den Weg für eine jüngere Generation bereiten muss.
"Schwarzer Sheriff"
Der in Gießen geborene und aufgewachsene Jurist war immer Roland Kochs Mann fürs Grobe. Ob Rasterfahndung, Kennzeichenlesegeräte oder Telekommunikationsüberwachung - Bouffier hat sich auch in der Innenpolitik stets für die Verschärfung oder den Einsatz neuer Überwachungsmethoden eingesetzt. Seine kompromisslose Haltung bei der Kriminalitätsverfolgung brachte ihm den Spitznamen "Schwarzer Sheriff" ein: Für die Opposition war das ein Schimpfname, für seine Partei ein Ehrentitel.
So überraschend die Nachricht, so überraschend unaufgeregt die Reaktionen darauf. Bis Mittwoch (26.05.2010) hat es nur wenige Stellungnahmen zur Entscheidung Kochs gegeben. So wird Bundeskanzlerin Angela Merkel nur mit dem Satz zitiert: "Ich bedaure den Rückzug von Roland Koch aus der Politik". Gegenüber den Reportern, die sie auf ihrer Auslandsreise in der Golfregion begleiten, ergänzt sie noch, dass sie Koch als Ratgeber vermissen werde.
"System Koch"
Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle dankte dem CDU-Politiker für "lange Jahre erfolgreichen Wirkens", auch als Koalitionspartner in Hessen. Er bedauerte den Abschied. "Ich kenne ihn, ich schätze ihn", sagte Westerwelle. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach vom "Rückzug des Systems Koch", der sich trotz "Kampagnen gegen Minderheiten" elf Jahre habe halten können. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärte: "Wie seltsam aus der Zeit gefallen Koch mittlerweile war, kann man daran erkennen, dass seine Vorschläge, auch, vor allem und zunächst bei der Bildung zu sparen, selbst in den eigenen Reihen auf keine große Zustimmung stießen."
Aus der CDU-Spitze hat Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder seine Partei aufgefordert, "rasch zu klären, wie die CDU besser zusammenstehen kann.“ Offen fordert der Junge-Union-Vorsitzende die Frage zu beantworten, „ob und wer überhaupt die bisherige Rolle von Koch übernehmen kann und soll". Gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" erklärt Mißfelder weiter: „Mit Koch ist ausgerechnet in einer ganz schwierigen Situation für unser Land und für die CDU bedauerlicherweise ein Eckpfeiler im Präsidium der Union weggebrochen."
Koalition wird fortgeführt
Die hessische FDP wird die Koalition mit der CDU auch nach Kochs Rücktritt fortsetzen. Das kündigten der FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn und der Chef der FDP-Landtagsfraktion, Florian Rentsch, in Wiesbaden an. Laut Hahn müsste nach dem Rücktritt in einer Landtags- Sondersitzung Ende August der Nachfolger Kochs gewählt werden. Die hessische SPD wertete Kochs Rückzug als "politischen Offenbarungseid“. Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel sagte: "Es ist ein gutes Stück Flucht aus der Verantwortung.“ Der Grünen-Vorsitzende Tarek Al-Wazir sprach von Auflösungserscheinungen bei der CDU. "Das System Koch ist in letzter Konsequenz gescheitert."
Der Parteienforscher Jürgen Falter sieht hinter dem Rückzug Kochs die Enttäuschung über verbaute Karrierepläne. Die Entscheidung habe "möglicherweise etwas damit zu tun, dass er seine politischen Aussichten für höhere Ämter als nicht mehr so rosig angesehen hat“, sagte der Professor an der Universität Mainz. Dies gelte vor allem für das Amt des Bundeskanzlers. Die Bundes-CDU werde durch den Rückzug von Koch erheblich geschwächt.
Rücktrittsgrund: Enttäuschung?
Nach Meinung Falters ist "er ist ja immerhin der unbestrittene Wortführer des konservativen Flügels der CDU". Der Rückzug Kochs bringe aber auch die hessische CDU in eine "relativ schwierige Situation", sagte Falter weiter. Koch hinterlasse "eine Riesenlücke in der hessischen CDU, aber auch in der Bundes-CDU“. Auf Bundesebene könne sie aber leichter ausgefüllt werden.
In den vergangenen Jahren war immer wieder über einen Rückzug Kochs vom Amt des Ministerpräsidenten spekuliert worden. Aber immer mit Blick auf höhere Ämter: Da war er zuletzt als Nachfolger des gesundheitlich angeschlagenen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble im Gespräch oder zuvor als EU-Kommissar in Brüssel. Politisch totgesagt wurde Koch auch schon mehrfach. Etwa nachdem er im Zuge der Parteispendenaffäre 2000 der Lüge bezichtigt worden war oder nach der verheerenden Niederlage bei der Landtagswahl 2008. Immer wieder stand er danach auf.
Autorin: Marion Linnenbrink (dpa, afp, apn, rtr)
Redaktion: Annamaria Sigrist