Die EU-Agrarpolitik muss reformiert werden. Nur wie?
9. Januar 2019Eigentlich ist ziemlich klar, welche Landwirtschaft sich die Bürger in der Europäischen Union wünschen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der grünen Heinrich-Böll-Stiftung zeigt: 76 Prozent der Befragten in Deutschland bewerten den Trend hin zu immer größeren Höfen als negativ oder sehr negativ. Drei von vier der Befragten stimmten im November 2018 sogar zu, dass die EU ihre jährlichen Zahlungen von rund 60 Milliarden Euro besonders stark an die verbliebenen Kleinbetriebe verteilen sollte. Besonders interessant an dieser Umfrage ist, dass Frauen der Erhalt von kleinbäuerlichen Strukturen deutlich wichtiger erscheint als Männern.
Höfesterben: Kleinbetrieben fehlen das Geld und der Nachwuchs
Wie weit Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, darauf wirft der am Mittwoch in Berlin veröffentlichte "Agrar-Atlas 2019" ein grelles Licht. Das 50-seitige Impulspapier der Heinrich-Böll-Stiftung und der Umweltschutz-Organisation BUND zeigt, dass die EU-Direkthilfen für Landwirte bislang einem ganz anderen Schema folgen. 70 Prozent der EU-Gelder werden pro Hektar verteilt. Wer viel Land bewirtschaftet, bekommt auch viel Geld aus Brüssel. Dieser Mechanismus hat das Höfesterben zwar nicht ausgelöst. Beschleunigt wurde diese Entwicklung dadurch aber allemal, kritisieren die Autoren im Agrar-Atlas. "Was für die EU-Kommission zählt, ist einzig und allein die Dominanz der EU-Agrarindustrie auf dem Weltmarkt sowie die Steigerung ihrer Exportmengen", sagt Christian Rehmer, Leiter Agrarpolitik für den Umweltverband BUND.
Das Ergebnis dieser Politik ist deutlich: Inzwischen bewirtschaften 3,1 Prozent aller Betriebe mehr als die Hälfte des Agrarlandes in Europa. Und die Betriebsgrößen steigen weiter, weil zwischen 2003 und 2013 mehr als ein Drittel aller Bauernhöfe aufgegeben hat (siehe Infografik 1). Und das ist erst der Anfang: ein Drittel aller Landwirte in der EU ist im Rentenalter und in vielen Fällen fehlt der Nachwuchs, oder schlicht das Kapital. Was nach der Hofschließung an Ackerflächen übrig bleibt, übernehmen größere Landwirtschaftsbetriebe, oder zunehmend Investoren, die auf steigende Bodenpreise spekulieren.
Besonders große, industrielle Betriebe finden sich inzwischen in Tschechien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, ebenso wie in Nord- und Ostdeutschland. Kleinbäuerlich geht es vor allem in Polen, Rumänien und Griechenland zu. Die EU-Agrarzahlungen heizen diesen Trend zur Industrialisierung der Landwirtschaft weiter an, nicht zuletzt, weil Gelder unfair verteilt werden (siehe Infografik 2). Ein Drittel der EU-Direktzahlungen landet bei 131.000 von insgesamt 6,7 Millionen Betrieben. In Mittel- und Osteuropa ist die Schieflage besonders groß.
Jetzt wird in der EU über den neuen Haushalt und eine Reform der Verteilung der Agrar-Gelder diskutiert. Die Verhandlungen dürften sich noch hinziehen. Nach den derzeitigen Plänen der EU-Kommission soll das Prinzip der Direktzahlungen pro Hektar beibehalten werden. Es ist aber eine Obergrenze geplant: Ab 60.000 Euro pro Betrieb sollen die Gelder reduziert und bei 100 000 Euro vollständig gekappt werden. Bis der nächste Haushalt der EU 2021 beginnt, muss auch die Agrar-Reform stehen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU verkompliziert die Sache weiter. Denn mit Großbritannien scheidet der zweitgrößte Nettozahler der Union aus. In der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) könnte dies Einschnitte von bis zu 20 Prozent bedeuten.
Wie viel ist den EU-Staaten Artenschutz und Tierwohl wert?
Die Autoren des Agrar-Atlas befürchten, dass der Rotstift vor allem bei den Investitionen in Artenschutz und der Verbesserung des Tierwohls angesetzt wird. Also just bei den Bereichen, die von den Bürgern in Umfragen als die zentrale Aufgaben der EU-Landwirtschaft benannt werden. Neben guter Produktqualität und fairen Löhnen für die Beschäftigten. Bislang fördert die EU-Agrarpolitik ländliche Entwicklung, Ökolandbau und den Schutz von Vögeln und Insekten mit lediglich 30 Prozent des Budgets. Und dort wo Artenschutzprogramme finanziert werden, wie bei den Zahlungen für "ökologische Vorrangflächen", ist der Erfolg zweifelhaft (siehe Infografik 3).
Der Schlüssel liegt für die Autoren des Agrar-Atlas deshalb vor allem in einem Mentalitätswandel. Die Ideen dafür existieren, darunter: Kleinbetriebe müssten finanziell besser gestellt werden als Großbetriebe. Nur so könne die Wachstumsspirale unterbrochen werden. Wenn Landwirte Flächen weniger intensiv bewirtschaften, und dadurch Feldvögeln, Insekten und Kleintieren eine Rückkehr auf Äcker ermöglichen, müsste das honoriert werden. Pestizidfreier Getreideanbau sollte höhere Prämien erhalten als der klassische Monokultur-Anbau, der auf viel Pestizide und viel Dünger setzt. Insgesamt gilt es, die Anreiz-Strukturen neu zu sortieren und an Klimaschutz und Tierwohl auszurichten.
Um den Gewässerschutz zu verbessern könnte die Fleisch-Überproduktion gedrosselt werden. Zudem sollte stärker darauf geachtet werden, dass Tierhaltung und Ackerbau wieder stärker aneinandergekoppelt werden. Denn nur so hat das Futter kurze Transportwege, ebenso wie die Nutzung von Mist als Dünger für die Pflanzenzucht möglich wird. Für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, ist klar, dass jetzt die Zeit für eine Kurskorrektur ist. "Statt industrieller Großbetriebe sollten Bäuerinnen und Bauern gefördert werden, die etwas für den Natur-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz tun."