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Wie Lebensmittel wieder billiger werden könnten

17. Januar 2023

In Deutschland steigen die Kosten für Lebensmittel seit über einem Jahr. Um den Haushalten zu helfen, wird über eine Senkung der Mehrwertsteuer nachgedacht. Davon könnten Klima und Biodiversität profitieren. Könnten ...

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Symbobildbild Deutschland Lebensmittel Obst Gemüse Supermarkt Mehrwertsteuersenkung
Die Mehrwertsteuerbefreiung sollte "so schnell wie möglich umgesetzt werden, denn eine gesunde und gleichzeitig klimafreundliche Ernährung sollte sich in Deutschland jede und jeder leisten können", sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner.Bild: Wolfgang Maria Weber/imago images

Die Inflation ist weiterhin hoch. Nahrungsmittel sind in Deutschland zwischen November 2021 und November 2022 um gut 21 Prozent teurer geworden. Um die Haushalte zu entlasten, kocht daher wieder eine Diskussion darüber hoch, die Mehrwertsteuer auf bestimmte Lebensmittel zu senken. So hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) Anfang Januar erneut die Abschaffung der Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel befürwortet. Auch das Umweltbundesamt (UBA) und der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) fordern eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel.

Grundsätzlich sind Grundnahrungsmittel bislang mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent besteuert. Für andere Produkte werden 19 Prozent erhoben. Eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst, Gemüse, Getreideerzeugnisse und pflanzliche Öle könnte für Privathaushalte eine Entlastung von rund vier Milliarden Euro jährlich bedeuten, so eine erste Schätzung vom Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner.

Symbolbild Deutschland Inflation
In den vergangenen 20 Jahren waren die Lebensmittelpreise weniger angestiegen als andere Lebenshaltungskosten. Zwischen 2000 und 2019 lag die Teuerung durchschnittlich noch knapp unter 1,5 Prozent.Bild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Wer profitiert von einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel?

Allerdings profitieren nicht alle Menschen gleichermaßen von einer solchen Maßnahme. Haushalte mit geringerem Einkommen geben einen relativ großen Teil ihres Geldes für Lebensmittel aus im Vergleich zu Wohlhabenderen. Dementsprechend hätten sie auch mehr von einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel.

Aber auch Gutverdienende, die es weniger nötig haben, würden durch eine solche Maßnahme beim Essen sparen, heißt es von Sebastian Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung. "Der französische Käse aus dem Delikatessenladen für 5,99 Euro pro 100 Gramm würde um rund 40 Cent billiger, der abgepackte Gouda für 60 Cent pro 100 Gramm gerade einmal um vier Cent", rechnet der Ökonom als Beispiel vor. Absolut würden Reichere also stärker entlastet - allerdings nicht unbedingt in Relation zu ihrem Gesamteinkommen.

Zudem geben wohlhabende Haushalte in absoluten Zahlen bis zu doppelt so viel Geld für Lebensmittel aus im Vergleich zu Haushalten mit geringerem Einkommen. Nicht weil sie mehr essen, sondern weil sie teurere, hochwertigere Lebensmittel konsumieren. Darauf weist Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hin.

Günstiger Essen, gesünder leben

Neben der finanziellen Entlastung sollen niedrigere Preise für bestimmte Lebensmittel auch eine Lenkungswirkung entfalten: Hin zu Gemüse, weg von Fleisch. "Ziel einer solchen Mehrwertsteuersenkung wäre es, den Anreiz für eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu erhöhen, indem Obst und Gemüse billiger werden, gerade im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln wie Fleisch", heißt es von Anne Markwardt von der Verbraucherzentrale VZBV.

"Auch wenn viele Menschen in Deutschland dies nicht gerne hören, so müssen wir viel weniger Fleisch und andere tierische Produkte konsumieren", sagte Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Somit sei eine Befreiung bei der Mehrwertsteuer von Obst, Gemüse und Getreide sowohl aus sozialer, ökologischer als auch gesundheitlicher Perspektive eine wichtige und überfällige Entscheidung der Bundesregierung.

Niedrigere Preise könnten auch den Bio-Lebensmitteln helfen. Zur Zeit würden Reformhäuser und andere Geschäfte, die hochwertige Bioprodukte vermarkteten, unter einem massiven Umsatzeinbruch leiden, beklagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. "Der Trend geht bei Bio momentan eindeutig in den Discountbereich." Viele Landwirte seien deshalb etwas vorsichtiger im Hinblick auf eine Umstellung auf Bio-Produktion.

Sinken die Preise tatsächlich?

Entfalten kann sich eine solche Lenkungswirkung allerdings nur, wenn die Mehrwertsteuersenkung auch von den Unternehmen an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird. "Wir haben grundsätzlich im deutschen Lebensmitteleinzelhandel einen relativ großen Wettbewerbsdruck, so dass man erwarten kann, dass zumindest längerfristig die Mehrwertsteuersenkung an die privaten Haushalte weitergegeben wird", sagt Stefan Bach vom DIW. Kurz- und mittelfristig bezweifelt er, dass die Unternehmen angesichts der hohen Inflation, Energie- und sonstigen Kosten eine Mehrwertsteuersenkung zügig weitergeben.

Einen Hinweis darauf, wie Unternehmen auf Mehrwertsteuerveränderungen reagieren, gibt es beim Blick auf die befristete Mehrwertsteuersenkung in der zweiten Jahreshälfte 2020. Damals wurde die Mehrwertsteuer für sechs Monate gesenkt (von 19 auf 16 Prozent beim regulären Steuersatz beziehungsweise von sieben auf fünf Prozent beim ermäßigten Steuersatz).

Nach einer Untersuchung der Bundesbank wurde die Steuersenkung gesamtwirtschaftlich zu 60 Prozent an die Kunden weitergegeben. Die Forscher des Münchner Ifo-Instituts kamen für den Lebensmittelbereich auf 70 bis 80 Prozent. Allerdings war damals die Situation eine andere, weil nicht nur Lebensmittel von der Mehrwertsteuersenkung betroffen waren, weil es keine derartige Inflation wie jetzt gab und weil bekannt war, dass die Steuererleichterung nur befristet war. Insgesamt sei es schwierig, die Wirkung einer Mehrwertsteuersenkung zu prognostizieren, meint Bach vom DIW. Es gebe einfach zu wenig Erfahrung, weil die Mehrwertsteuer eine eher junge Steuer sei, bei der es in der Vergangenheit meist die Tendenz gab, sie zu erhöhen.

Deutschland Reduzierte Mehrwertsteuer sieben Prozent
Anfang April hat die EU-Kommission die europäische Mehrwertsteuerrichtlinie geändert. Seitdem ist ein Nullsteuersatz auf lebensnotwendige Güter erlaubt.Bild: Ferdinand Ostrop/AP Photo/picture alliance

Und was kostet es den Staat?

Es lässt sich aber einschätzen, wieviel Geld dem Staat entgeht. Gegenwärtig bringt die Erhebung von sieben Prozent an Mehrwertsteuer auf Lebensmittel Einnahmen von etwa 15 Milliarden Euro im Jahr, sagt Bach. "Diese Einnahmen würden dann wegfallen und müssten durch andere Einnahmen kompensiert werden oder das Defizit würde weiter erhöht."

Dieses Geld, dass der Staat durch eine Mehrwertsteuersenkung nicht bekäme, würde in den kommenden Jahren dann aber für wichtige Aufgaben fehlen - wie eine Erneuerung der Infrastruktur, eine Stärkung des Bildungswesen und der Dekarbonisierung, moniert Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung.

Aber: Die Mehrwertsteuerbefreiung von Obst und Gemüse fördere auf der anderen Seite eine gesunde Ernährung und spare so langfristig auch Kosten, beispielsweise im Gesundheitssystem, wendet Anne Markwardt von der VZBV ein.

Auch auf die relativ hohe Inflation hätte eine Mehrwertsteuersenkung einen kleinen Effekt. Immerhin machen Lebensmittel laut Statistischen Bundesamt 2022 fast zehn Prozent des Warenkorbes aus, der für die Inflationsmessung genutzt wird. Die Maßnahme könnte die Inflation um schätzungsweise 0,6 bis 0,7 Prozent senken, meint Bach.

Spanien hat Mehrwertsteuer bereits gesenkt

Während hier noch diskutiert wird, sind andere Länder bereits vorangegangen. Polen und die Türkei haben ihre Mehrwertsteuer auf Lebensmittel bereits 2022 gesenkt. Allerdings auch auf Fleisch. 

In Spanien wird dagegen seit dem ersten Januar 2023 die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse, Brot und Milch vorübergehend komplett gestrichen - von der Regelung ausgenommen sind Fleisch und Fisch. Die Steuerfreiheit soll vorerst sechs Monate lang gelten.

Während im Allgemeinen dadurch die Preise gesunken sind, hat die spanische Verbraucherschutzorganisation FACUA in der ersten Januarwoche sieben Einzelhandelsketten bei der Nationalen Wettbewerbskommission angeprangert, weil sie die Senkung nicht weitergegeben hätten. 

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion