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Wie Marktwirtschaft das Klima retten kann

8. November 2017

In Deutschland ist die Energiewende im vollen Gange. Und trotzdem: Seit sieben Jahren sind die CO2-Emissionen nicht gesunken. Also Stillstand beim Klimaschutz? Funktioniert Europas Emissionshandel nicht?

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Future Now Projekt Methanhydrat Bild 2 Gaskraftwerk
Bild: picture-alliance/dpa

Deutschland hat das hehre Ziel, bis 2020 40 Prozent weniger Treibhausgase zu produzieren als im Jahr 1990. Dieses Ziel ist inzwischen in weite Ferne gerückt. "Nur 30 Prozent statt 40 Prozent weniger CO2 ist nicht ein bisschen daneben, das wäre eine krachende Verfehlung des Klimaziels für 2020", sagt Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik "Agora Energiewende". Wie aber kann das sein, wo es doch seit 2005 ein europäisches Emissionshandelssystem gibt, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern?

Um das zu verstehen, zuerst ein Blick zurück zu den Grundlagen. Den Klimawandel begrenzen, das bedeutet den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, denn CO2 ist die Hauptursache für die Erderwärmung. Natürlich könnte man Kohlendioxidemissionen schlichtweg verbieten. Oder man lässt die Marktmechanismen wirken, um sein Ziel zu erreichen. Die Idee dahinter: Wenn CO2 einen Preis hat und damit Kosten verursacht, dann haben Unternehmen einen Anreiz, in alternative Technologien zu investieren und so ihre Emissionen zu reduzieren. In der Theorie klingt das logisch, aber funktioniert der Markt auch in der Praxis?

Zwei Wege, ein Ziel

Inzwischen gibt es weltweit viele Regionen, in denen Kohlendioxid mit einem Preis versehen wird. Einige Länder setzen dabei auf eine CO2-Steuer. Dabei bestimmt der Staat die Höhe der Steuer, die auf eine bestimmte Menge an emittiertem Kohlendioxid gezahlt werden muss. Die Regierung legt also den Preis für CO2 fest und die Unternehmen entscheiden, ob und in welcher Menge sie zu diesem Preis Kohlendioxid in die Luft pusten oder ob sie in Alternativen investieren. Somit bestimmt der Markt, welche Gesamtmenge an CO2 ausgestoßen wird.

Eine zweite Möglichkeit ist, ein Emissionshandelssystem (EHS) für Kohlendioxid einzuführen. Beim Emissionshandel wird die Gesamtmenge, die an CO2 ausgestoßen werden darf, festgelegt und dann dem Markt überlassen, einen Preis zu bilden. In diesem System bekommen Unternehmen Zertifikate, die ihnen erlauben, eine bestimmt Menge an CO2 auszustoßen. Stoßen sie weniger aus, können sie ihre Zertifikate verkaufen, emittieren sie mehr, müssen sie zusätzliche Zertifikate kaufen. Durch Angebot und Nachfrage entsteht ein Marktpreis für Kohlendioxid-Emissionen. Auch hier bekommen die Unternehmen einen Anreiz, in saubere Technik zu investieren. Außerdem reduziert sich die Gesamtmenge der ausgegebenen Verschmutzungsrechte jedes Jahr. Aufgrund der Deckelung heißt das System auch "Cap and Trade" (deutsch: Deckeln & Handeln).

Kühltürme Braunkohlekraftwerk Jänschwalde
Für CO2-Emissionen, die bei der Stromerzeugung entstehen, brauchen die Energieerzeuger Zertifikate.Bild: picture-alliance/R4200

Europas Handel ungenügend

Vor rund 13 Jahren hat sich die EU für ein solches Emissionshandelssystem entschieden, dem neben den 28 EU-Mitgliedstaaten auch Norwegen, Island und Liechtenstein angehören. Allerdings wird nur die Energiewirtschaft und energieintensiven Industrie vom EHS erfasst. Ihre Anlagen verursachen rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen in Europa. Seit 2012 ist auch der innereuropäische Luftverkehr in den Handel mit Emissionsrechten einbezogen.

Was sich gut für die Umwelt anhört, war bislang aber wenig wirkungsvoll. Hat also der Markt versagt? Nein, der Markt hat gut funktioniert, nur die Politik hat das System nicht richtig gestaltet: Von Anfang wurden zu viele Zertifikate ausgegeben und ein großer Teil der Zertifikate wurden auch noch verschenkt. So sollte verhindert werden, dass besonders energieintensive Branchen wie die Zement- und Stahlindustrie aus der EU abwandern. Hinzu kam, dass seit 2008 weniger emittiert wurde, als es Zertifikate auf dem Markt gab.

Ein Überangebot von Zertifikaten führt aber zu einem niedrigen CO2-Preis. Der lag 2016 bei unter vier Euro pro Tonne Kohlendioxid, wie das Climate Action Network beklagt. "Die Anreize für Emissionsminderungen sind zu niedrig oder gar nicht vorhanden - das Emissionshandelssystem kann so nicht funktionieren", kritisiert Juliette de Grandpré vom World Wildlife Fund (WWF). Damit nicht genug, zwischen 2008 und 2015 konnte die europäische Schwerindustrie mehr als 25 Milliarden US-Dollar an Gewinn erzielen, indem sie die zu viel ausgegebenen Zertifikate am Markt weiterverkaufte, prangert das Climate Action Network an.

Nun will die EU die Zertifikate künftig stärker verknappen und die Überschüsse so schrittweise abbauen, um so den Preis für CO2 zu erhöhen. Allerdings müssen sich die Mitgliedsstaaten, das EU-Parlament und die EU-Kommission noch auf das genaue Vorgehen einigen.

Mindestpreis für CO2

Der gegenwärtige Preis für CO2 ist in der EU zu niedrig, das sagt auch Andreas Löschel, Professor für Energie- und Ressourcenökonomik an der Universität Münster. Wenn der Preis nicht steige, müsse Deutschland alleine Maßnahmen treffen, um seine Ziele zu erreichen, meint er. Eine Möglichkeit wäre, einen Mindestpreis für Kohlendioxid einzuführen. "Großbritannien hat schon einen Mindestpreis für CO2 und da sieht man große Erfolge."

Ein höherer CO2 Preis in Kombination mit niedrigen Gaspreisen habe dazu geführt, dass in Großbritannien weniger Strom mit Kohle und mehr mit Gas produziert werde und die Emissionen entsprechend gesunken seien, erklärt Löschel. Er fordert aber auch, dass bei der Einführung eines Mindestpreises in Deutschland gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden müssten, damit die Stromproduktion oder CO2-intensive Industrien nicht ins günstigere Ausland abwandern. Würden sie von dort ihre CO2-intensiven Produkte nach Deutschland importieren, würden im Endeffekt keine Emissionen eingespart.

Ottmar Edenhofer
Ottmar EdenhoferBild: DW/I. Quaile

Für einen Mindestpreis ist auch Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Unter anderem deswegen, weil die EU-Mitgliedsstaaten weiter ihre eigene Klima- und Energiepolitik betreiben wollen mit dem Emissionshandel. Die Folge ist: Wenn im gegenwärtigen Emissionshandelssystem in Europa ein Land seine Emissionen stärker reduziere, würde das dazu führen, dass entsprechend viele Zertifikate auf dem Markt blieben, folglich der Preis weiter sinke und so andere Länder mehr CO2 emittieren könnten, meint Edenhofer. "Gerade hier würde der Mindestpreis helfen, denn dadurch würden die Anstrengungen, die einzelne Mitgliedsstaaten zusätzlich unternehmen, nicht vollständig zunichte gemacht werden, da der Preis nur auf das Niveau des Mindestpreises sinken könnte", so Edenhofer im DW-Gespräch.

Nicht alle Branchen erfassst

Es gibt aber noch mehr am europäischen Emissionshandelssystem zu bemängeln als nur den niedrigen Preis. Mit dem System sind nämlich nur knapp 50 Prozent der CO2-Emissionen in der EU abgedeckt. Insbesondere die am stärksten steigenden Emissionen, nämlich die des Verkehrs, werden nicht berücksichtigt. "Die Idee war ja, mit einem Kern anzufangen und das System schrittweise zu erweitern", erläutert Löschel. "Das Ziel muss aber sein, einen höheren CO2 Preis in allen Bereichen zu bekommen." So sind beispielsweise  Heizöl und Gas, die zur Erzeugung von Wärme gebraucht werden, niedrig besteuert. Hier müssten Steuern erhöht werden, um einen ähnlichen Effekt wie im Emissionshandelssystem zu erzielen, glaubt Löschel.

Weltweiter Umgang mit CO2

Und wie sieht es in anderen Teilen der Welt aus? 2017 haben über 40 Nationen und 25 Regionen (Städte, Bundesstaaten oder andere Regionen) Emissionshandelssysteme oder CO2-Steuern eingeführt. Davon sind nach Angaben der Weltbank insgesamt rund 15 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen betroffen.

Infografik Emissionshandel DEU

Die größte Initiative in dieser Richtung plant zurzeit China. Die Volksrepublik stößt so viel klimaschädliches Kohlendioxid aus wie kein anderes Land. Nun will China bis 2018 einen Emissionshandel aufbauen. Davon erfasst werden sollen bis zu 10.000 Unternehmen aus verschiedenen Branchen wie Stahlproduktion, Energieerzeugung und Papierherstellung.

Nummer zwei der Kohlendioxid-Emittenten sind die USA. Auch wenn Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen wird - es gibt in den USA viele Initiativen, Kohlendioxid zu begrenzen. 2012 hat Kalifornien als erster Bundesstaat ein Emissionshandelssystem eingeführt. Erst im August diesen Jahres haben neun Bundesstaaten im Nordosten der USA angekündigt, ihren regionalen Handel mit CO2-Zertifikaten im nächsten Jahrzehnt auszuweiten.

Bisherige Preise zu niedrig

Die vielen Initiativen weltweit haben aber fast alle eines gemeinsam: Der Preis für CO2 ist zu niedrig, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Davon sind der britische Ökonom Nicholas Stern und der US Nobelpreisträger Joseph Stiglitz überzeugt. Stern hatte vor über zehn Jahren im gleichnamigen Stern-Report die Folgen der weltweiten Erderwärmung durchgerechnet, was damals viel Aufsehen erregte.

Nun haben die beiden Wissenschaftler erneut gerechnet und verkündet, dass jede Tonne CO2 bis 2020 mindestens 40 bis 80 US-Dollar kosten sollte. Bis 2030 sollte der Preis schrittweise auf 50 bis 100 US-Dollar je Tonne angestiegen sein. Nach Angaben der Weltbank liegt aber der Preis für drei Viertel der CO2-Emissionen, die von einem System irgendwo in der Welt verteuert werden, bei unter 10 US Dollar pro Tonne.

Es gibt aber auch einige Länder, die bereits jetzt hohe Preise für CO2 haben. In Schweden wird eine Steuer von über 126 US-Dollar pro emitierter Tonne CO2 erhoben. In der Schweiz und Liechtenstein gibt es eine Steuer von 84 US-Dollar, in Finnland über 60, in Norwegen 52 und in Frankreich 33 US-Dollar pro Tonne CO2. "Die meisten Länder haben aber Preise, die weit unter der Bandbreite liegen", beklagt Stern. Außerdem werden nur rund 15 Prozent der CO2 Emissionen eingepreist.

Nicht nur, dass der Preis zu niedrig ist, zum Teil wird Kohlendioxid auch noch subventioniert - weltweit um durchschnittlich 150 US-Dollar je Tonne, sagt Klima-Ökonom Edenhofer. Das ergibt sich unter anderem daraus, dass Ölexporte subventionieren werden und die Luftverschmutzung durch die Nutzung von Kohle nicht vom Verursacher bezahlt werden muss. Solche Subventionen konterkarieren den Preis für CO2-Emissionen und behindern so, dass über den Markt die Emissionen eingeschränkt werden.

Weltweites System zu kompliziert

Damit Unternehmen bestehenden CO2-Preisen nicht durch Umzug in andere Ländern ausweichen können, erscheint es auf den ersten Blick sinnvoll, einen weltweiten CO2 Preis einzuführen. Einige Initiativen, sich überregional zusammenzuschließen, gibt es bereits. So soll der europäische Markt für den Emissionshandel künftig auch die Schweiz einschließen. Von einem globalen Preis für Kohlendioxid sind wir aber noch weit entfernt. "Das erste, was kommen muss, sind lokale Systeme" glaubt Löschel. "Und wenn es in den großen Regionen eine gewisse Durchdringung gibt, dann kann man sich überlegen, wie man das zusammenbringen kann."

Edenhofer hält es für notwendig, dass die Länder weltweit nach 2030 einen annähernd einheitlichen Preis haben sollten, um das 2 Grad Ziel des Abkommens von Paris zu erreichen. "Ich glaube, dass ein globaler Emissionshandel nicht die richtige Struktur ist", meint er aber. Damit sei die Weltgemeinschaft überfordert. Vielmehr sollten sich einzelne Nationalstaaten zu CO2-Preisen verpflichten und die Preise sollten sich aneinander annähern, damit keine Wettbewerbsnachteile für einzelne Länder enstünden.

"Wir werden solche konvergierenden Preise nur hinbekommen, wenn die reicheren Länder die ärmeren Länder unterstützen, dass sie sich solche CO2-Preise leisten können. Und dafür gibt ess ja ein Instrument, nämlich den Green Climate Funds." Über diesen Funds sollen Gelder für Projekte zur Minderung von Treibhausgasemissionen als auch zur Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern bereitgestellt werden.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion