Wie Museen das Klima schützen
11. Dezember 2019Als sich jeden Freitag Schüler am Invalidenpark in Berlin-Mitte zur Fridays-for-Future-Demonstration versammeln, mischt sich Johannes Vogel unter die jungen Leute. Er ist Direktor des Museums für Naturkunde, sein renommiertes Haus liegt keine 200 Meter vom Veranstaltungsort entfernt. "Die jungen Menschen zeigten ein großes Interesse an Wissenschaft und an der wissenschaftlichen Herangehensweise zum Klimaschutz. Und damit war mir klar, dass es hier eine große gemeinsame Schnittmenge zwischen diesen jungen Leuten sowie Forscherinnen und Forschern gibt."
Kurzentschlossen lud er die Schüler im März 2019 zu sich ins Naturkundemuseum ein – und das bis heute: Jeden Freitag finden im Anschluss an die Demonstrationen gut besuchte Workshops mit Wissenschaftlern zu Klimafragen statt. Eintritt frei. Keine Eintagsfliege, der Direktor hat die teilnehmenden Wissenschaftler bereits fürs nächste Jahr gebucht.
"Für Natur" heißt der neue Slogan des Naturkundemuseums Berlin. Anders als bei Museen der Bildenden Kunst oder des Altertums ist der Klimabezug dank des Sammelns, Bewahrens und Ausstellens von Naturobjekten hier bereits offensichtlich. Doch Direktor Vogel und sein Team wollen mehr: Sie verstehen das Museum als politische Institution, die nicht nur Politiker zu klimapolitischen Veranstaltungen einlädt, sondern bald auch eigene Positionspapiere zum Klimawandel veröffentlichen will. Zu dieser Haltung gehört auch, als Museum selbst Ressourcen zu sparen: "Unser gesamtes Lüftungssystem wird über eine Geothermie-Anlage betrieben, das heißt wir laufen – bis auf die Pumpen – fast CO2-neutral." Dafür wurde das denkmalgeschützte Haus aus dem 19. Jahrhundert, das eine schier unglaubliche Sammlung von 30 Millionen Objekten beheimatet, bereits teilsaniert.
Energiefresser Neubau
So umfassend wie das Berliner Naturkundemuseum denken bislang nur wenige Institutionen in Deutschland. Fragt man in Fachkreisen nach guten Vorbildern für ein "grünes Museum", erntet man Schulterzucken. So fehlen bereits die Grundlagen für ein klimaschonendes Umdenken. "Wenn Sie ein Museum fragen, wie viel Energie es eigentlich verbraucht, werden Sie keine zufriedenstellende Antwort bekommen. Ich kenne wirklich kein einziges Museum in Deutschland, das eine vollständige CO2-Bilanz seiner physischen Präsenz und seines Betriebs abrufen kann", sagt Professor Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin.
Diese Bilanz ist durchaus komplex: Der ökologische Fußabdruck beinhaltet nicht nur den Energieverbrauch von Heiz- und vor allem Klimaanlagen, die für ein optimales Raumklima von beispielsweise historischen Gemälden sorgen und in vielen Museen rund um die Uhr laufen. Hinzu kommen weitere Komponenten wie Beleuchtung, Flugreisen von Kuratoren, Abfallmanagement und nicht zuletzt der Leihverkehr von Kunstwerken, die aufwendig verpackt um die Welt fliegen.
Kritisch sieht Professor Simon auch die derzeitige "Orgie des Museumneubaus". Als Gründungsdirektor des "Institute for Preservation of Cultural Heritage" an der Yale University hat er unter anderem die Energieeffizienz von Museumsgebäuden berechnet. "Selbst wenn ein Neubau nach modernsten, umweltfreundlichen Standards gebaut ist und mit minimaler Energie betrieben werden kann, dauert es aufgrund der im Bau enthaltenen 'grauen Energie' – Stahl, Glas, Zement müssen geschmolzen, gebrannt, hergestellt werden – viele Jahrzehnte, bis sich die Energiebilanz des neuen Gebäudes mit der eines bestehenden Gebäudes ausgeglichen hat."
Bürokratie verhindert Klimaschutz
Ohne den eigenen ökologischen Fußabdruck genau zu kennen, ist es schwer, diesen zu reduzieren. Da eine Vielzahl deutscher Museen sich in staatlichem oder kommunalem Besitz befindet und von öffentlichen Vereinen oder Stiftungen betrieben werden, sind nicht nur die Museen, sondern auch die Kulturpolitik gefragt. Mit einem offenen Brief richteten sich Anfang November Künstler, Forscher und Direktoren führender Museen wie das Museum Ludwig in Köln, die Hamburger Kunsthalle oder die Kunsthalle Düsseldorf an Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Die Forderung: Eine zentrale Taskforce solle ins Leben gerufen werden, die Museen berät, gemeinsam Ziele formuliert und zügig einen Maßnahmenkatalog für einen nachhaltigeren öffentlichen Kunstbetrieb erarbeitet.
"Alle sind eigentlich guten Willens, aber es ist einfach schwierig", sagte Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, zu der Initiative im Deutschlandfunk. "Bei uns müssen beispielsweise die Klimaanlagen erneuert werden. Wir sind da mit so vielen bürokratischen Situationen konfrontiert." Dziewior hofft, dass ein stärkeres staatliches Interesse helfen könne, diese Hürden abzubauen.
Auch Professor Simon gehört zu den Unterzeichnern. Für ihn ist es nicht nur ein wichtiges Zeichen an die Kulturpolitik, sondern auch an die Kollegen: "Für viele Museumsdirektoren sind Klimawandel und Klimaschutz sehr weit entfernt von der Realität ihrer täglichen Herausforderungen, als würden sie auf einem anderen Planeten passieren."
Nur mit Nachhaltigkeit bleiben Museen relevant
Ähnlich schätzt es auch Christopher Garthe ein, Kreativdirektor und Berater für Nachhaltigkeit in Museen und Ausstellungen. "Insgesamt stehen wir hier in Deutschland noch am Anfang", meint Garthe, der derzeit eine Ausstellung über Extremwetter für das Klimahaus Bremerhaven konzipiert. Für den Berater ist Klimaschutz kein nettes Extra, mit dem sich ein Museum schmückt. "Wenn Museen in Zukunft relevant bleiben wollen, müssen sie Nachhaltigkeit als Kernwert berücksichtigen. Museen setzen Steuergelder ein, und damit müssen sie auch zeigen, wie sie zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen können, und wie sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen."
Dabei besteht Nachhaltigkeit nicht nur aus Klimaschutz. Vielmehr geht es grundlegend darum, die Bedürfnisse der heutigen Generation sicherzustellen, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden. "Enkel-Faktor" nennt Garthe das verkürzt und verweist auf die vier Säulen der Nachhaltigkeit im Museumsbetrieb: Ökologie, Ökonomie, Soziales und nachhaltige Programmatik.
Ist das Museum offen für alle Bevölkerungsgruppen? Ist es barrierefrei? Woher stammt die Sammlung, unter welchen Umständen ist man an die Kunstwerke gekommen? Wie nachhaltig sind die Arbeitsprozesse innerhalb des Museums? Wie stark ist man von Fördermitteln abhängig? Zahlreich sind also die Fragen, die beispielsweise von Nachhaltigkeitsbeauftragten beantwortet werden könnten – solche Stellen vermisst Garthe jedoch, selbst in den größten und renommiertesten Häusern in Deutschland.
Chancen der Digitalisierung
Es geht also um grundsätzliches Umkrempeln, um das Entstauben von Museumsstrukturen. Das Naturkundemuseum Berlin hat hier mit einem "Zukunftsplan" die öffentlichen Geldgeber überzeugt: 660 Millionen investieren Bund und Land für Neubau, Sanierung und Modernisierung. Stück für Stück arbeiten sich Johannes Vogel und sein Team vor. Ein Beispiel: Die Digitalisierung der Sammlung. So verleiht das Museum jährlich 40.000 Exponate, die sorgfältig verpackt um den Globus geschickt werden. Kein unerheblicher ökologischer Fußabdruck. Daher setzt das Museum seit 2012 verstärkt aufs Digitale – mit ersten beeindruckenden Einsparungen: So sind die Ausleihen im Bereich der Hautflügler, also unter anderem Bienen, Hummeln und Wespen, bereits um 80 Prozent zurückgegangen.
Zugegeben: Das Naturkundemuseum lässt sich hier nur schwer mit weiteren Museen vergleichen. So geht ein Großteil der Leihgaben an Wissenschaftler, deren Fragestellungen sich auch mit virtuellen Daten beantworten lassen. Würden sich auch Museumsbesucher mit Projektionen weltbekannter Gemälde zufriedenstellen lassen? Einen Versuch wäre es wert. Oder zumindest die Überlegung, ob Kunstwerke sich nicht auch über den Seeweg oder mit Elektrofahrzeugen transportieren lassen.