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Wie Rechtsextreme in der Gaming-Szene Hass verbreiten

28. Januar 2024

In der Gaming-Community gibt es eine rechte Subkultur. Sie versucht, Spielende für extremistische Ideen zu begeistern und ihre Anhänger weiter zu radikalisieren.

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Ein Mann sitzt vor zwei Bildschirmen und spielt ein PC-Spiel
Rechtsextreme machen zwar nur einen kleinen Teil der Gaming-Szene aus, sind dafür aber umso lauterBild: Björn Larsson Rosvall/TT/picture alliance

Sich als Gamer einer islamistischen Terrororganisation anzuschließen, um unter "Allahu akbar" (Gott ist groß)-Rufen möglichst viele israelische Soldaten zu töten: Das ist in einem Propagandaspiel möglich, das auf der Gamingplattform Steam verkauft wird. 

Das Spiel eines brasilianisch-palästinensisches Entwicklers erschien zwar schon im Jahr 2021, hat aber durch den Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 enormen Aufwind erfahren. Aus dem deutschen Steam-Shop ist das Spiel mittlerweile entfernt worden, in anderen Ländern kann es aber weiterhin runtergeladen werden. Und es ist nicht das einzige Spiel auf der weltweit wichtigsten Plattform für PC-Spiele, das israelfeindliche und antisemitische Inhalte transportiert. Auch rechsextreme Inhalte sind weit verbreitet.

Rechtsextreme profitieren vom Internet

Die Gaming-Community ist riesig. Weltweit spielen mehr als drei Milliarden Menschen regelmäßig Videospiele. So sind viele Freundschaften zwischen Menschen entstanden, die sich ohne das Internet und ihr gemeinsames Hobby womöglich nie begegnet wären. Davon profitieren die so genannten "Neuen Rechten". Es ist eine sehr kleine, aber extrem rechte Subkultur innerhalb der Gaming-Szene entstanden, in der sich Gleichgesinnte treffen, um Hass zu schüren und ihre menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten. Es ist Teil einer Strategie, die sie "Metapolitik" nennt. Ziel ist es, gesellschaftliche Bereiche, in denen es zunächst einmal nicht um Politik geht, zu besetzen und zu beeinflussen. Das können zum Beispiel Sportvereine sein, kulturelle Institutionen oder eben Onlineplattformen für Videospiele. Dort will man rechtes Denken salonfähig machen.

Rechte Medienstrategie

Was und wie sich Rechte auf Gamingplattformen mitteilen, folgt einer Medienstrategie, die auch in sozialen Netzwerken angewandt wird, nämlich dem "Dog Whistling" (dt. Hundepfeife). Sie teilen Inhalte, zum Beispiel satirische Memes, die auf den ersten Blick harmlos wirken. Doch die Postings enthalten antisemitische und rassistische Codes, die sich immer wieder wandeln und oft nur von den Anhängern verstanden werden, erklärt Mick Prinz von der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus einsetzt.

Seien sie aber erstmal in der Welt und würden ständig wiederholt, könne es zu einer Normalisierung von Ausdrücken oder Verschwörungserzählungen kommen - mit der Folge, dass sich die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben und rechte Kampfbegriffe unreflektiert von Teilen der Gesellschaft übernommen werden. Jüngstes Beispiel dafür ist der Begriff "Remigration", das Unwort des Jahres 2024

Antisemitismus auf Gamingplattformen

Bislang konnten Rechte auf den großen Gamingplattformen relativ uneingeschränkt die NS-Zeit glorifizieren, sich in Wehrmachts-Fangruppen zusammenschließen und ihre Weltsicht teilen. Zum einen, weil sie mit Codes arbeiten, zum anderen, weil die Foren kaum moderiert werden oder die Kommunikation in private Chatgruppen abwandert. Zwar gibt es die Möglichkeit, problematische Inhalte oder User zu melden, aber das führt nicht zwingend dazu, dass sie zeitnah gelöscht werden. 

Ein Megafon mit der Aufschrift "Unser Land, unsere Werte"
Die rechtsextreme Identitäre Bewegung will gezielt Gamer erreichen und rechtes Gedankengut salonfähig machenBild: Sachelle Babbar/ZUMA Wire/picture alliance

Propagandaspiele werden auch von Neonazis für Neonazis programmiert. Eine Gruppe rechter Entwickler aus Österreich will mit ihren Spielen "patriotische Werte vermitteln". Tatsächlich verbreiteten sie antisemitische Verschwörungserzählungen. In ihrem ersten Spiel, das von Steam gelöscht wurde, nachdem User es gemeldet hatten, hüpfen die Spielenden als Martin Sellner durch knallbunte Levels. Der österreichische Rechtsextremist ist einer der führenden Strategen der "Neuen Rechten" in Europa. In Deutschland steht das Spiel auf dem Index und darf nicht öffentlich beworben oder an Kinder und Jugendliche verkauft werden. Dennoch soll es laut den Entwicklern selbst 50.000 Mal runtergeladen worden sein. Diese Zahlen lassen sich nicht überprüfen. Aber offensichtlich ist die Zielgruppe groß genug. Denn die Entwickler arbeiten bereits an einem Nachfolger, der aktuell noch auf Steam angekündigt wird. Sie gehören der rechtsextremen Identitären Bewegung an und werden laut der Amadeu Antonio Stiftung von Politikern der rechtspopulistischen Partei AfD (Alternative für Deutschland) mit Geld und Werbung unterstützt.

Zudem gebe es auf der Gamingplattform viele kleinere Titel, die kommerziell zwar nicht erfolgreich, aber teilweise extrem problematisch seien, sagt Mick Prinz. Er berichtet von Games, in denen die Spielenden den Zweiten Weltkrieg aus der Wehrmachtsperspektive erleben und von NS-verherrlichenden Erweiterungen bestehender Spiele, sogenannten Mods (Modifikationen). Diese zusätzlichen Level kann prinzipiell jeder Spielende selbst erstellen und anschließend hochladen und mit anderen Spielenden teilen. "Überall dort, wo User Generated Content entstehen kann, versuchen Rechtsextreme dieses Schlupfloch zu nutzen. Und da entstehen dann sowohl rassistische, aber auch antisemitische Mods", sagt Mick Prinz. Das Attentat von Halle, bei dem ein Rechtsextremist bewaffnet in eine Synagoge eindringen wollte, um möglichst viele jüdische Menschen zu töten, konnte in dem Spiel "Roblox" nachgespielt werden. Inzwischen wurde diese Mod gelöscht.

Großaufnahme einer Tastatur
Kommerziell nicht erfolgreich, aber trotzdem problematisch: Videospiele von Neonazis für NeonazisBild: Filippo Carlot/Zoonar/picture alliance

Kinderspiel verherrlicht NS-Zeit

"Roblox" ist ein Online-Spiel, das weltweit vor allem unter Kindern und Jugendlichen sehr beliebt ist. Es lässt sich als eine Art digitaler Lego-Baukasten beschreiben. Die Spielenden können sich ihre Spielwelt selbst zusammenbauen und in Spielwelten anderer Spieler eintreten. Das ermöglicht Rechtsextremen aber auchSpielwelten zu schaffen, die den Nationalsozialismus verherrlichen. Hitlergruß, Nazi-Uniformen, Hakenkreuzfahnen, Konzentrationslager, Gaskammern - all diese Inhalte waren in dem Kinderspiel zu finden, bis sie gemeldet und gelöscht wurden.

Ende Oktober 2023 veranstalteten Teenager in "Roblox" eine Pro-Palästina-Demo. Der britischen Zeitung "Jewish News" zufolge habe es jedoch nicht nur friedlichen Protest gegeben. Sie veröffentlichte unter anderem Screenshots von einer brennenden israelischen Flagge und von Avataren, die sich in Textnachrichten israelfeindlich äußern. Zwar sind Nazi-Propaganda, Antisemitismus und Rassismus im Spiel offiziell verboten - dennoch tauchen sie immer wieder auf, weil täglich mehr als 70 Millionen Spieler in "Roblox" unterwegs sind und neue Inhalte bereitstellen.

Umgang in Online-Games: Nach wie vor toxisch

Die Anti-Defamation League (ADL)(eine US-amerikanische Organisation, die sich gegen die Diskriminierung jüdischer Menschen einsetzt, Anm. d. Red.) kommt in ihrem jüngsten Report von 2022 zu dem Ergebnis, dass 77 Prozent der Online-Gamer von anderen Spielenden belästigt und beleidigt werden. 34 Prozent der jüdischen Spielenden gaben an, dass sie aufgrund ihrer jüdischen Identität belästigt worden sind. Befragt wurden fast 100 Millionen US-Amerikaner. Die Umfrage zeigt auch, dass 20 Prozent der Spielenden in Online-Spielen auf "White Supremacy" trafen, eine rassistische Ideologie, die davon ausgeht, dass Weiße allen anderen Menschen überlegen seien und daher Anspruch auf eine weiße Vorherrschaft hätten.

Ein junger Mann sitzt vor einem PC, den Kopf in die Hände gestützt
Viele Gamer werden in Online-Spielen belästigt und beleidigt: Betroffen sind vor allem Frauen, People of Colour, Juden und MuslimeBild: Monkey Business 2/Shotshop/picture alliance

"Rechtsextreme sind eine laute Minderheit, fühlen sich aber in der Gaming-Community gerade dann wohl, wenn ableistische, sexistische und rassistische Äußerungen normalisiert werden. In einigen Bereichen der Gameskultur gehört dieser Hass zum Alltag. Es gibt einfach eine Toxizität im Gaming, die nicht zu leugnen ist", sagt Mick Prinz. "Es wäre aber falsch zu sagen, die Gaming-Welt habe ein Problem mit Rechtsextremismus. Es ist die Gesellschaft die ein Problem mit Rechtsextremismus hat."

Erinnerungskultur: Games übernehmen wichtige Funktion

Dem wachsenden Rechtspopulismus in Deutschland, der sich in den Umfragewerten der rechtspopulistischen Partei AfD spiegelt, und den geschmacklosen bis antisemitischen Spielen und Modifikationen etwas entgegenzusetzen, ist das Anliegen des Spielentwicklers Yaar Harell. "Ich habe das Gefühl, dass ein Beben durch die Medien- und Politiklandschaft geht und jetzt verstanden wird, dass wir neue Formen des interaktiven Erzählens und der Erinnerungskultur brauchen", sagt er. Zur Zeit arbeitet Harell an dem Game "Als Gott schlief", in dem die Spielenden in zwei sehr unterschiedliche Rollen schlüpfen: in die eines zehnjährigen jüdischen Mädchens, das 1939 mit ihrem kleinen Bruder in Krakau ums Überleben kämpft und in die eines jungen SS-Offiziers.

Es ist ein Ansatz, den auch der Spieleentwickler Luc Bernard vertritt, der im vergangenen Jahr ein virtuelles Holocaust-Museum für den Shooter "Fortnite" geschaffen hat. Antisemitismus im Gaming lässt sich vielleicht am besten bekämpfen mit konsequentem Löschen rechtsextremer und NS-verherrlichender Inhalte auf den Gamingplattformen - und einem breiten Gegenangebot: Mit Spielen und Modifikationen, die emotional berühren, die für Antisemitismus sensibilisieren und die Erinnerung an den Holocaust wachhalten.