Wie Rechtspopulisten eine Stadt verändern
2. November 2019Als Stadtbeamtin dürfe sie die von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) geführte Stadtregierung nicht kritisieren, stellt Sofia Lenninger zu Beginn klar. Sie ist in Sölvesborg für den Kauf von Kunst für den öffentlichen Raum zuständig, einem Ort, der mit seinen knapp 10.000 Einwohnern eher aufgrund seiner Geschichte als seiner Größe als Stadt gilt.
Am Hafen, wo ein "Poesie-Generator" aus Granit aufgestellt ist, zeigt sie auf ein hohes Betonsilo, von dem aus Künstler einmal den islamischen Gebetsruf ausgestrahlt haben. Über die jüngste umstrittene Entscheidung des Stadtrats, dass von der öffentlichen Hand erworbene Kunst "traditionell und zeitlos" und nicht "provokant" sein soll, spricht sie zunächst nicht - doch das Thema liegt in der Luft.
Und irgendwann platzt es doch aus Lenninger heraus: "Ich finde, die Regelung macht alles ein bisschen langweilig", seufzt sie mit einer Spur Wut in der Stimme. "Es ist uninteressant. Was ist der Sinn von Kunst, wenn man darauf achten muss, ob sie provokant ist?"
Zwei Tage später wird Lenninger entlassen. In einer Pressemitteilung erklärt die Bürgermeisterin von Sölvesborg, Louise Erixon, es habe Meinungsverschiedenheiten bezüglich Lenningers Rolle und Aufgaben als Chefin des städtischen Kulturressorts gegeben.
Feindbild "kulturelle Elite"
Erixon, die Verlobte des SD-Vorsitzenden Jimmie Akesson, steht seit einem Jahr an der Spitze des Stadtrats - und macht bereits Schlagzeilen in überregionalen Medien. "Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was die breite Öffentlichkeit für schön und interessant hält, und dem, was eine winzige kulturelle Elite für aufregend hält", erklärte Erixon Mitte Oktober zur besten Sendezeit in der wöchentlichen Interviewshow von Radio Schweden. "Wir glauben nicht, dass herausfordernde oder provokante zeitgenössische Kunst auf einen öffentlichen Platz oder in eine Schule passt."
Als Beispiel nannte Erixon Zeichnungen der Künstlerin Liv Strömquist, die menstruierende Frauen zeigen und derzeit in Stockholmer U-Bahn-Stationen zu sehen sind.
Bei der von Erixon ins Visier genommenen "kulturellen Elite" sorgt die lokale Kulturpolitik der Schwedendemokraten für Aufregung. Gitte Orskou, die Leiterin des Moderna Museet, Stockholms bedeutendstem Museum für moderne Kunst, bezeichnete sie etwa als "gruselig" und "absurd" und wagte einen Vergleich mit dem Dritten Reich, "wo das, was vom politischen Establishment nicht gebilligt wurde, als 'entartete Kunst' bezeichnet wurde." Schwedens Kulturministerin Amanda Lind indes verurteilte den Vorstoß als "erstaunliche, gefährliche Position".
Erfolgreiche Symbolpolitik
Sölvesborg in Südschweden steht nicht nur wegen seiner rechtspopulistischen Bürgermeisterin im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Stadt ist auch Akessons Heimatort. Der in Stockholm lebende SD-Chef hat dort seinen Zweitwohnsitz und seine Partei richtet in Sölvesborg ihr jährliches Sommerfest aus, auf dem Akesson als Keyboarder mit seiner Band auftritt.
Die neue städtische Kulturpolitik macht nicht bei dem Verbot "provokanter" Kunst halt. Die Anweisung ist nur eine von zahlreichen umstrittenen Regelungen, die die Schwedendemokraten gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern auf kommunaler Ebene - der konservativen, wirtschaftsliberalen Moderaten Sammlungspartei, den Christdemokraten und den lokalen SoL-Parteien - in einem 220-Punkte-Plan zusammengefasst haben.
Das Paket sieht unter anderem vor, dass die Gay-Pride-Flagge von städtischen Gebäuden verbannt wird und Kindergartenkinder kein Kopftuch tragen dürfen. Alle drei Regelungen sind kaum mehr als Symbolpolitik: Die Regenbogenflagge wurde bisher ohnehin nur einmal jährlich gehisst, in der Stadt tragen Kleinkinder kein Kopftuch und Lenninger sagt, sie könne sich an keine Situation erinnern, in der sich die Stadt zwischen dem Kauf "provokanter" und "zeitloser" Kunstwerke entscheiden musste.
"Ich denke, dass eine nationale Strategie dahintersteckt", sagt Anders Sannerstedt, Politikwissenschaftler an der Universität Lund. "Was in Sölvesborg passiert, ist kein Zufall: Es entspricht weitgehend den Wünschen des nationalen Parteivorstands und des Parteivorsitzenden."
Was auch immer die Strategie ist - der Plan der Schwedendemokraten scheint aufzugehen. In einer Umfrage der Zeitung "Dagens Nyheter" schnitt die Partei kürzlich auf nationaler Ebene so gut ab wie noch nie zuvor. Lediglich ein Prozentpunkt fehlte den Rechtspopulisten, um den führenden Sozialdemokraten den Rang abzulaufen. Unterdessen erklärte Akesson, er sei "so bereit, wie ich nur sein könnte", um Premierminister zu werden.
Bunter Widerstand
Doch die Politik der Schwedendemokraten in Sölvesborg sorgt nicht nur auf nationaler Ebene für Aufregung, sondern hat auch liberale Bürger und lokale Künstler auf die Barrikaden getrieben. Überall im Ort sieht man Regenbogenflaggen. Sie hängen in den Fenstern von Wohnhäusern und Geschäften, von Dächern und an den Fahnenmasten vor Bürogebäuden.
Eine der Flaggen gehört Elisabet Svensson, einer Keramikerin und Malerin, die als eine der letzten einheimischen Künstlerinnen einen städtischen Auftrag erhielt. Sie sagt, sie wolle gegen die "sehr, sehr dumme Entscheidung, einen Streit um diese Flagge vom Zaun zu brechen", protestieren. "Sie wissen nicht, was sie tun", sagt sie über die Stadtregierung.
Alfred Appelros ist 24 und Werbeunternehmer in Sölvesborg. Er hat die Pride-Flagge zuletzt regelmäßig auf seinen in der ganzen Stadt verteilten digitalen Werbetafeln gezeigt. "Als Eigentümer eines der größten Medienkanäle hier haben wir die Verantwortung, etwas zu sagen", so Appelros. "Für uns verkörpert die Pride-Flagge, dass jeder den gleichen Wert hat, und wir möchten, dass die Menschen lieben können, wen sie wollen."
Vor rund zwei Wochen versammelten sich mehr als 400 Menschen auf dem zentralen Platz Sölvesborgs, um für Gleichberechtigung, freie Meinungsäußerung und freie Kultur zu demonstrieren. Im kommenden Mai werden wohl Tausende Schwule und Lesben aus ganz Schweden zur allerersten Gay-Pride-Parade Sölvesborgs anreisen.
Abzuwarten bleibt, ob der Widerstand die Pläne der SD-Strategen durchkreuzt - oder ob er vielmehr genau das ist, was die Rechtspopulisten beabsichtigt haben.