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Wie sich Kölns jüdische Gemeinde nach dem Krieg neu erfand

5. April 2024

Konnte es nach dem Holocaust noch ein normales jüdisches Leben geben? Die verbliebenen Kölner Juden versuchten es, sie beteten in den Trümmern ihrer Synagoge. 1949 wurde dann ein neues Gotteshaus eingeweiht.

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Ein Mann mit Kippa auf dem Kopf sitzt inmitten anderer Menschen
In Köln begann das jüdische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg in einer kleinen Synagoge in der Ottostraße. Heute hat Köln eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands. Bild: Geisler-Fotopress/picture-alliance

Der Radiologe Michael Rado erinnert sich gut an den ebenerdigen, schmucklosen Saal in der Kölner Ottostraße 85. Nicht ganz 15 Sitzreihen nahmen die Betenden auf, ein Vorhang trennte die Bereiche von Männern und Frauen. Rado erlebte hier als 13-Jähriger seine Bar Mizwa, das Erlangen der religiösen Mündigkeit. Heute ist Rado 75 und Co-Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Kölns, Deutschlands ältester jüdischer Gemeinde überhaupt.

Kinder und drei Erwachsene posieren für ein Gruppenfoto, Schwarz-Weiß-Aufnahme
Nach dem Zweiten Weltkrieg erwacht das jüdische Gemeindeleben in Köln zu neuem Leben: Eine Gruppe jüdischer Kinder stellt sich mit ihrem Rabbi für ein Erinnerungsfoto auf. Bild: Privat

1949, genauer: am 6. April vor 75 Jahren, schlägt hier die Wiedergeburtsstunde der Jüdischen Gemeinde zu Köln. Das kleine Gotteshaus in der Ottostraße war Teil des früheren, um 1908 errichteten "Israelitischen Asyls", zu dem ursprünglich auch ein Krankenhaus und ein Altenheim gehörten. Gestapo und SS, verbrecherische Einheiten der Nazis, deportieren 1942 die Alten und Kranken. Bomben fallen auf den Gebäudekomplex.

Schwieriger Neuanfang nach 1945

Mehr als 11.000 Kölner Juden starben in den Vernichtungslagern der Nazis. Wer fand - nach dem Zweiten Weltkrieg und so kurz nach dem systematischen Mord an Millionen Juden - in Köln noch zur jüdischen Gemeinschaft zusammen? "Es waren nur wenige", erzählt Michael Rado, "eine Handvoll." Wer von diesen wenigen hatte Vertrauen in die Möglichkeit eines Neuanfangs an diesem Ort? In einem Land, dessen Bevölkerung Juden jahrelang ausgegrenzt und verfolgt hatte? "Das kann ich Ihnen nicht sagen", sagt Rado und schweigt eine Weile.

Blick in die Synagoge Ottostraße in Köln
Blick in die kleine Synagoge in der Kölner Ottostraße. Später wurde das Gotteshaus durch die größere Synagoge in der Roonstraße abgelöstBild: Kölner Synagogengemeinde

"Die meisten von uns saßen auf gepackten Koffern", berichtet Rado, dessen Eltern es zum Glück rechtzeitig aus Deutschland herausgeschafft hatten - nach Palästina, ins heutige Israel. "Allen war klar, dass man hier nicht bleibt", erinnert er sich, "mit dieser Gewissheit bin ich aufgewachsen." Diese Einstellung habe sich unter den Kölner Juden noch lange gehalten. Seine Eltern kamen 1952 mit ihrem siebenjährigen Sohn zurück nach Deutschland.

Erinnerung an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren

Rado zeigt vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Familienalbum, darauf Fußball spielende Kinder, ein freundlich lächelnder Rabbi mit seinen Schützlingen. Erinnerungen an das jüdische Gemeindeleben, wie es sich in der Ottostraße zu regen begann und später anderswo fortsetzte.

Bewegte Geschichte der Kölner Juden

Denn die Gemeinde wuchs. Sie beschloss, die alte, von den Nazis niedergebrannte Synagoge an der Roonstraße wiederaufzubauen. Gut zehn Jahre später wird am 20. September 1959 das neue alte Gotteshaus eingeweiht. Es ist der jüngste Höhepunkt in der 1.700 Jahre alten Geschichte der Kölner Gemeinde. Sie gilt als die älteste im Europa nördlich der Alpen, in Deutschland sowieso. Erstmals erwähnte der römische Kaiser Konstantin in einem Edikt aus dem Jahr 321 eine jüdische Gemeinde in Köln. Die Juden lebten in Köln, bis sie der Rat 1423 der Stadt verwies. Erst 1798, unter französischer Besatzung, durften sie zurückkehren.

Außenansicht einer Synagoge
Wiedererrichtet im neo-romanischen Stil: die Kölner Synagoge in der Roonstraße Bild: DW/Weitz

Mehrere Synagogenbauten folgten, darunter 1861 ein großer Komplex in der Glockengasse - nahe dem berühmten Duftwasserhersteller 4711 - und schließlich 1899 das Gotteshaus an der Roonstraße, erkennbar im neo-romanischen Stil. Bis 1933, dem Beginn der Naziherrschaft, hat Köln mit rund 18.000 Mitgliedern die fünftgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland. Doch sämtliche Synagogen und Bethäuser der Domstadt werden 1938 geplündert und dann in Brand gesetzt.

Gottesdienste in Trümmern

1945: Zum Gottesdienst treffen sich die wenigen überlebenden Kölner Juden zunächst in den Trümmern an der Roonstraße, später dann in einem Betsaal in der Ottostraße, schließlich in der kleinen Synagoge.

Papst Benedikt bei seinem Besuch der Kölner Synagoge
Papst Benedikt XVI. stattet dem jüdischen Gotteshaus während des Weltiugendtags in Köln 2005 einen Besuch abBild: picture-alliance/dpa

In der wiedererrichteten Synagoge in der Roonstraße entsteht ein Zentrum mit Saal, Verwaltungstrakt, Jugendheim, Kindergarten und Altersheim. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer, der einst von den Nazis abgesetzte Kölner Oberbürgermeister, fördert das Projekt. Das Land Nordrhein-Westfalen gibt Geld für den Wiederaufbau. An der Eröffnung im September 1959 nehmen Vertreter aus Politik, Kirche und Kultur teil. "Neben der Freude standen sicherlich auch die Schatten der Vergangenheit", zitiert der Sender Domradio aus dem Gemeindeblatt.

Ein Mann mit Brille lächelt
Michael Rado, Co-Vorsitzender der Jüdischen Synagogengemeinde KölnBild: Jüdische Synagogengemeinde Köln

"Die Situation in Köln war damals keineswegs so, dass man von einem friedlichen Miteinander von jüdischen und nichtjüdischen Kölner Bürgern hätte sprechen können." Der damalige Rabbiner Zvi Asaria wird mit den Worten zitiert: "Wir werden toleriert. Das ist alles."

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde zählt auch der Besuch von Papst Benedikt XVI. während des katholischen Weltjugendtages 2005 in Köln. Heute hat die jüdische Gemeinde Kölns rund 5000 Mitglieder. "Manche von Ihnen haben wieder das Gefühl, auf gepackten Koffern zu sitzen", sagt der Co-Vorsitzende Michael Rado. Grund sei die gewachsene Bedrohung durch Rechtsextremismus und Antisemitismus. Doch sei die Hälfte der Mitglieder über 50 Jahre alt. Bei ihnen gebe es wenig Tendenzen, Deutschland in Richtung Israel zu verlassen. "Ich persönlich fühle mich nicht bedroht", sagt Rado, "solange diese Regierung die Juden ausreichend schützt - und das tut sie."