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Wie treffsicher ist das Sturmgewehr G36?

Ben Knight / Christoph Hasselbach3. Juni 2016

Untauglich für den Einsatz in Afghanistan, gefährlich für die Soldaten: So die Kritik am Standardgewehr der Bundeswehr. Die Waffenfirma Heckler & Koch streitet vor Gericht um ihr Prestigeprodukt und um ihren Ruf.

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Bundeswehrsoldat mit G36 (Foto: Imago/C. Thiel)
Bild: Imago/C. Thiel

Heckler & Koch, Deutschlands bekanntester Hersteller von Kleinfeuerwaffen, hat viel zu verlieren. Das Unternehmen beliefert die Bundeswehr seit 20 Jahren mit dem Sturmgewehr G36 und arbeitet seit über 50 Jahren mit den deutschen Streitkräften zusammen. Diesen guten, verlässlichen Ruf will Heckler & Koch vor dem Landgericht Koblenz verteidigen. Das Bundeswehr-Beschaffungsamt hatte Gewährleistungsforderungen erhoben, weil das G36 bei Überhitzung nicht ausreichend treffsicher sei. Doch Heckler & Koch hält die Waffe für einwandfrei. Wer Recht hat, muss jetzt das Gericht klären.

Die ersten Zweifel an dem Sturmgewehr äußerte das Magazin "Der Spiegel" 2012. In dem Artikel hieß es, bei Entfernungen von mehr als 300 Metern sinke die Treffsicherheit des Gewehrs "um ein Drittel". Das Magazin berief sich auf interne Untersuchungen der Bundeswehr. Befehlshaber der ISAF-Schutztruppe in Afghanistan, so "Der Spiegel", hätten die Soldaten angewiesen, bei einem schnellen Abfeuern von großen Mengen Munition den Gewehrlauf eine Weile abkühlen zu lassen.

Vertreter von Heckler & Koch verteidigten daraufhin verärgert ihr G36 und deuteten an, hier sei eine Verschwörung der Medien im Gange. Doch nur wenige Wochen später stieß die "Bild"-Zeitung auf einen Bundeswehrbericht an den damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière mit ähnlichen Vorwürfen. Weitere Presseberichte folgten, die sich zum Teil auf durchgesickerte Hinweise von Mitarbeitern offizieller Prüfstellen beriefen. Diese machten entweder einzelne Bauteile des Gewehrs verantwortlich oder bestimmte Munition, die angeblich den Lauf stärker erhitze als andere.

Neue Bedingungen für ein altes Gewehr

Im März 2015 erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz, das G36 habe Präzisionsprobleme. Heckler & Koch reagierte mit einer gereizten Stellungnahme, in der es unter anderem hieß, es deute vieles darauf hin, dass "die für unser Produkt relevanten Parameter fortlaufend willkürlich geändert wurden".

Der Verteidigungsexperte Sebastian Schulte vom Fachmagazin "Jane's Defence Weekly" sagte der Deutschen Welle mit Blick auf die lange Einsatzdauer des G36: "Es ist normal, dass die Anforderungen an eine Waffe im Laufe von 20 Jahren geändert werden. Eine Waffe ist nur ein Werkzeug wie ein Hammer oder ein Bohrer, und wenn sich die Umstände auf der Baustelle ändern, muss man auch das Werkzeug verändern."

Ursula von der Leyen (Foto: Reuters/H. Hanschke)
Verteidigungsministerin von der Leyen hat bereits eine vollständige Ausmusterung des Sturmgewehrs angekündigtBild: Reuters/H. Hanschke

Das G36 wurde Ende der 1980er Jahre entworfen, als sein wahrscheinlichster Einsatz zur Abwehr eines sowjetischen Angriffs in Mitteleuropa war. Ein Einsatz galt damit auch "unter den klimatischen Bedingungen in Europa", betont Schulte. "Wenn man das Gewehr dann mit nach Afghanistan nimmt, wie es die Bundeswehr von 2002 an getan hat, hat man natürlich auch andere Einsatz- und Klimabedingungen."

Einen Monat nach ihrer Pressekonferenz zog von der Leyen die Reißleine. Sie kündigte an, dass die Bundeswehr alle ihre 167.000 G36-Sturmgewehre im Laufe der nächsten Jahre ausmustern werde. Sie deutete aber nicht an, dass die Streitkräfte künftig mit einem anderen Hersteller zusammenarbeiten würden.

Von der Leyen unter Rechtfertigungsdruck

Eine Untersuchung, die vom Bundesverteidigungsministerium in Auftrag gegeben worden war, kam zu dem Ergebnis, auch wenn negative Testergebnisse nicht von der Hand zu weisen seien, gebe es doch keine Hinweise, dass deutsche Soldaten wegen der Treffsicherheit des Gewehrs gefährdet worden wären. Eine Umfrage unter 200 Soldaten hat ergeben, dass es im Einsatz keinerlei Schwierigkeiten mit dem bei der Truppe beliebten Gewehr gegeben hat.

Auch Verteidigungsexperte Sebastian Schulte glaubt, abgesehen von "einzelnen Fällen" einer Überhitzung habe das G36 keine schwerwiegenden grundsätzlichen Mängel. Immerhin sei es seit 20 Jahren das Standardgewehr der Bundeswehr und werde auch von Streit- und Polizeikräften in mehr als 40 anderen Ländern verwendet. "Wenn das Gewehr schwere technische Mängel hätte, wäre das vor langer Zeit herausgekommen."

Waffenproduktion (Foto: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod)
Die Oberndorfer Firma Heckler & Koch beliefert die Bundeswehr seit JahrzehntenBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Nach dem Gerichtstermin am Freitag verfestigt sich der Eindruck, dass die Kammer der Auffassung von Heckler & Koch folgen wird. Danach sieht das Gericht nach derzeitigem Stand keine Mängel beim G36, gemessen an den vertraglichen Anforderungen. Der Vorsitzende Richter Ralph Volckmann wies am Freitag darauf hin, mit dem Einsatz des Gewehres in Afghanistan mit extremen Temperaturschwankungen hätten sich möglicherweise die Anforderungen an das Standardgewehr der Bundeswehr geändert. Trotzdem habe das Ministerium das bei weiteren Bestellungen des G36 nicht zum Thema gemacht. Der Vertrag sei so geschlossen worden, "wie er in der Vergangenheit immer geschlossen wurde".

Eine endgültige Entscheidung soll aber erst am 2. September fallen. In der Zwischenzeit will das Verteidigungsministerium ein neues Gutachten vorlegen, das die Mängel des Gewehrs belegen soll. Sollte das Gericht aber dem Waffenhersteller Recht geben, hätte die Verteidigungsministerin zumindest ein politisches Problem. Denn sie hat ja bereits die Ausmusterung des G36 angekündigt.