Wie Ungarn russische Spionage unterstützt
8. Dezember 2022Ende November 2022 haben ukrainische Spezialkräfte einen mutmaßlichen russischen Agenten an einem Grenzübergang nach Ungarn festgenommen. Der Mann war dabei, geheime Informationen in das EU-Land zu schmuggeln - auf einem USB-Stick, den er in seinem Anus versteckt hatte.
Auf dem Datenträger befanden sich gestohlene persönliche Informationen über Führung und Personal des ukrainischen Inlandgeheimdienstes SBU und des militärischen Nachrichtendienstes GUR sowie sensible Informationen über Stützpunkte, Waffen und Logistik der ukrainischen Armee. Wie sich herausstellte, hatte der Spion vor, den Stick bei der russischen Botschaft in der ungarischen Hauptstadt Budapest abzugeben.
Der Journalist Szabolcs Panyi berichtete für das Portal Balkan Insight über den Fall. Er recherchiert schon seit langem über russische Spionagetätigkeit in Ungarn. Budapest, so fürchtet er, könnte zum Zentrum der russischen Spionage innerhalb der Europäischen Union werden. Derzeit arbeiteten mehr als 50 akkreditierte Diplomaten in der ungarischen Hauptstadt, in Prag, Warschau und Bratislava zusammen dagegen kaum mehr als 20. "Es ist bekannt, dass viele Agenten als Diplomaten getarnt arbeiten, da diese Immunität genießen, also nicht von Behörden des Gastlandes verfolgt werden dürfen", erklärt der Journalist.
Immunität für eine Bank
Neben den Mitarbeitern der russischen Botschaft genießen auch die Angestellten der zu Sowjetzeiten gegründeten International Investment Bank (IIB) in Ungarn Immunität. Das Hauptquartier der Bank wurde vor drei Jahren von Moskau nach Budapest verlegt. Damit muss das Geldhaus weder die ungarische Finanzaufsicht noch Strafermittlungen oder Gerichte fürchten.
Schon bei der Ankündigung des Umzugs hatte die ungarische Opposition vermutet, dass die Regierung in Budapest den Ausbau eines KBG-Netzwerks unterstützt. Und dies nicht ohne Grund, denn IIB-Chef Nikolai Kosow kommt aus einer Familie von Spionen: Sein Vater war einst KGB-Resident in Budapest, die Mutter wurde von der russischen Nachrichtenagentur TASS als "eine der bemerkenswertesten Spione des 20. Jahrhunderts" gewürdigt.
Russische Spione haben freie Hand
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 kündigten die bisher an der IIB beteiligten EU- und NATO-Staaten Bulgarien, Rumänien, Tschechien und die Slowakei ihren Rückzug aus der Bank an - Ungarn aber blieb dabei. Darüber hinaus sind seit dem Beginn der russischen Aggression alle EU-Staaten bereit, russische Spione, die unter diplomatischer Tarnung operieren, auszuweisen - nur Ungarn nicht.
Der Investigativjournalist Szabolcs Panyi kann viele Fälle aufzählen, in denen der russische Nachrichtendienst in Ungarn aktiv sei und dies von den ungarischen Behörden ohne Proteste zur Kenntnis genommen werde. Ein Beispiel sei der ehemalige Europaabgeordnete der rechtskonservativen Partei Jobbik, Bela Kovacs, Spitzname "KGBela". Er wurde im April 2014 vom ungarischen Verfassungsschutz angezeigt, aber erst im April 2017 der Spionage für Russland angeklagt. Es dauerte acht Jahre, bis ein rechtskräftiges Urteil gefällt wurde. In dieser Zeit konnte sich Kovacs nach Moskau absetzen, berichtet Panyi im DW-Gespräch.
Hacker im ungarischen Außenministerium
Aus seinen Recherchen und denen seiner Kollegen geht auch hervor, dass russische Hacker seit mindestens 2012 immer wieder in die IT-Netze und in die interne Kommunikation des ungarischen Außenministeriums eingedrungen sind - und auch nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine. Die Regierung in Budapest habe diese Vorfälle zwar nie bestätigt, aber die westlichen Verbündeten Ungarns wüssten genau, dass die IT-Systeme des Ministeriums verseucht sind. Aus diesem Grund teilten sie geheime Informationen mit Ungarn nur mit Vorsicht.
Zu erheblichen Sicherheitsrisiken führte auch die Einbürgerung ethnischer Ungarn aus der Ukraine und die "goldene Visa-Regelung". Sie sah vor, dass Ausländer mit dem Ankauf von sogenannten Wohnsitzanleihen im Wert von 300.000 EUR plus 60.000 EUR Prozessgebühr ein Fünfjahres-Visum für die Schengen-Zone erhalten konnten. Das Programm begann im Jahr 2013 und wurde vier Jahre später auf Druck der EU wieder eingestellt.
In Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Recherche-Team Molfar, das militärische Investigationen und Factchecking für Osteuropa macht, deckten Panyi and Co. den Fall von Andrej Naryschkin auf. Der Sohn von Sergej Naryschkin, dem Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, kam mit seiner Familie mit einem "goldenen Visum" nach Budapest und konnte ungestört in der ungarischen Hauptstadt leben.
Kontakte bis zum Ministerpräsidenten
Naryschkins Wohnung war als Firmeneigentum eines Geschäftsmannes registriert, der seit mehr als zehn Jahren mit Antal Rogan befreundet ist, dem Leiter des Kabinettsbüros des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Rogan war bis 2017 für die Vermarktung des goldenen Visums zuständig, zuerst als Leiter des zuständigen Parlamentsausschusses und ab 2015 als Kabinettchef des Ministerpräsidenten. Nach Angaben von Transparency International haben Firmen, die Orbans Regierungspartei Fidesz nahestehen, etwa 411 Millionen Euro an der Vermarktung der Goldenen Visa verdient.
Auch die Einbürgerungsverfahren für Angehörige der ungarischen Minderheit in der Ukraine führten zu Sicherheitsproblemen. Da die Kontrolle mangelhaft war, konnten viele ukrainische Staatsbürger die ungarische Staatsbürgerschaft erwerben, die nicht einmal Ungarisch sprachen. Sie erhielten so unbeschränkte Reisefreiheit im Schengen-Raum. Im Amtsblatt der Regierung kann man immer wieder Berichte über den Entzug der ungarischen Staatsbürgerschaft für ukrainische Doppelstaatsbürger lesen. Offenbar hatten sie bei ihrer Einbürgerung betrogen. Auch so könnten russische Geheimdienstler freien Zugang zu den Schengen-Ländern bekommen haben.
Abhängig von Russland
Panyi und seine Kollegen untersuchten auch die Hintergründe der engen Beziehungen der Orban-Regierung zu Putin. Sie kamen zu dem Schluss, dass Moskau die ungarische Regierung erpressbar gemacht hat - etwa durch die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen und durch gemeinsame Geschäfte im Energiebereich sowie bei der Erweiterung des Atomkraftwerkes in Paks mithilfe russischer Technologie und Finanzierung.
"Die Kooperationen im Bereich der Energiewirtschaft aber auch die Aktivitäten des russischen Nachrichtendienstes in Ungarn haben historische Wurzeln", erklärt Panyi. Da die billige Energie im ungarischen Wirtschaftsmodell und in europäischen Versorgungsketten systemrelevant sei, sei diese Zusammenarbeit nie in Frage gestellt worden. Im Gegenteil, sie sei eher als Vorteil für den Wirtschaftsstandort Ungarn gewertet worden und habe dazu geführt, dass alle Regierungsparteien in Ungarn auf gute Beziehungen zu Russland setzten. Hinzu komme, dass Angehörige der politischen und wirtschaftlichen Elite oft in Russland studiert und Russen oder Russinnen geheiratet hätten. Auch dies habe den russischen Einfluss in Ungarn gestärkt.