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Flughäfen in der Provinz

Andrea Grunau/Arne Lichtenberg8. April 2013

Kassel-Calden kostete rund 270 Millionen Euro und ist der ganze Stolz der hessischen Landesregierung. Doch Experten sehen im neuesten Regionalflughafen einen typischen Fall für Fehler in der Flughafen-Politik.

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Eine Frau mit Koffer geht auf den Terminal des Flughafens Kassel-Calden zu (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Presse war gar nicht gut für den neuen Flughafen, der in der ersten Aprilwoche (4.4.2013) in der nordhessischen Gemeinde Calden bei Kassel eröffnet wurde: "Abflug in die Pleite" konnte man da schon vor dem allerersten Flug von oder nach Kassel lesen, "Millionengrab in der Provinz" oder "Deutschlands überflüssigster Airport". Wie passend, dass Geschäftsführer Jörg Ries bei der Eröffnung witzelte: "Wir haben fertig". Doch er wollte nur betonen, dass sein Flughafen in der Provinz, der mit 270 statt 150 Millionen Euro weit teurer wurde als kalkuliert, immerhin pünktlich eröffnet werden konnte - im Gegensatz zur Pannen-Baustelle des Berliner Großflughafens.

Flughäfen in Berlin jedenfalls werden gut genutzt, das weiß man, davon aber kann in Kassel zumindest zu Beginn noch keine Rede sein. Am Eröffnungstag wurden rund 30 Fluggäste abgefertigt, doch der nächste Flug ins türkische Antalya für den folgenden Tag fiel aus, nur sechs Passagiere wollten in Kassel abfliegen. Dabei hatte man doch in der Testphase mit bis zu 1400 Test-Passagieren vor den 10 Schaltern in der Abfertigungshalle geprobt. Am 5.4. aber ließ der Reiseveranstalter die sechs Kasseler Antalya-Reisenden zum Flughafen Paderborn bringen. Schließlich ist der nur 70 Kilometer entfernt.

Test-Passagiere in der Abfertigungshalle im Flughafen Kassel-Calden (Foto: Flughafen Kassel-Calden)
Viel Platz für die Test-Passagiere beim Probebetrieb in Kassel-CaldenBild: Flughafen Kassel-Calden

Flügel für Nordhessen, Defizite für die Steuerzahler

Diese Nähe ist einer der Gründe, warum auch Luftfahrtexperte Jens Flottau das Flughafenprojekt Kassel "sehr, sehr kritisch" betrachtet, denn Paderborn ist nicht der einzige Flughafen, der mit Bahn oder Auto schnell erreichbar ist: "Hannover ist nicht weit weg, Frankfurt ist nicht sehr weit weg. Also das ist wirklich mehr ein Auswuchs von Regionalpolitik als von Notwendigkeiten im Luftverkehrsmarkt". Ähnlich sieht es PR-Experte Cord Schellenberg: "Das war ein Vorzeigeprojekt des damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch". Koch wollte bei der Planung um die Jahrtausendwende etwas für den strukturschwachen Norden Hessens tun. Sein Nachfolger Volker Bouffier verkündete zur Eröffnung: "Nordhessen ist eine Region im Aufwind und hat heute Flügel bekommen."

Diese Euphorie kann Jens Flottau im Interview mit der DW überhaupt nicht nachvollziehen: "Es gibt eine Fülle von Regionalflughäfen, die nicht ausgelastet sind und die weitgehend Verluste schreiben." Tatsächlich verzeichnet der Flughafenverband ADV in Deutschland 22 internationale Verkehrsflughäfen, dazu 16 weitere Regionalflughäfen und kleinere Flugplätze: vom Allgäu am Rand der Alpen über das kleine Weeze an der holländischen Grenze bis zum Flughafen Lübeck, wo gerade erst ein neuer Investor die Schließung verhinderte, und Rostock an der Küste. Man schätzt, dass die große Mehrheit aller Deutschen innerhalb von 90 Minuten einen Flughafen mit internationaler Anbindung erreichen kann.

Jörg Ries (lks.), Sprecher der Flughafen-Geschäftsführung in Kassel-Calden überreicht den Schlüssel an Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) (Foto: dpa)
Symbolische Schlüsselübergabe: Jörg Ries (l.) mit Finanzminister Thomas SchäferBild: picture-alliance/dpa

Doch die Branche kriselt: Rund zwei Wochen vor der Eröffnung in Kassel meldete der ADV den "schlechtesten Jahresstart seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009". Die Krise des Regionalverkehrs treffe ganz Europa, sagt Jens Flottau. Wegen der gestiegenen Treibstoffpreise seien kleinere Maschinen nicht mehr rentabel, andererseits seien manche Routen für größere Flugzeuge nicht geeignet. Der Kasseler Flughafenchef Ries sieht trotzdem betont entspannt in die Zukunft. Zwar rechnet er erst für 2020 mit schwarzen Zahlen, die einkalkulierten Verluste aber zahlen die Eigentümer: das Land und die Kommunen, die Steuerzahler also.

Bremse für die Luftfahrt statt sinnvoller Flughafen-Politik?

"Ich sehe überhaupt kein Szenario, wie dieser Flughafen jemals Geld verdienen kann", sagt Jens Flottau. Er beklagt, dass es in Deutschland keine übergreifende Flughafen-Politik gebe, in der man beleuchten würde: "Was ist eigentlich sinnvoll?" Kassel sei es jedenfalls nicht.

Auch Cord Schellenberg sieht kein Engagement der Bundesregierung für Flughäfen. Im Gegenteil: Der Bund habe sich mit der Einführung der Luftverkehrssteuer, die im Jahr eine Milliarde Euro Ertrag bringe, als "Luftverkehrsbremse" betätigt. "Je mehr man den Passagieren in die Tasche greift als Staat, desto weniger kommen die auf die Idee, die berühmten Kurzreisen, Wochenendreisen, Städtereisen zu machen", sagt Schellenberg."Das bremst auch die Entwicklung an den Regionalflughäfen, wo man auf genau diese Kundschaft gehofft hat".

Frankfurt-Hahn Chef: "Wir haben nicht viel Zeit"

Einer der ältesten Regionalflughäfen in Deutschland ist Frankfurt-Hahn. Im Hunsrück hat man vor 20 Jahren die Konversion, die Umwandlung eines US-Militär-Airports in einen zivilen Flughafen, begonnen. Heinz Rethage hat gerade als Chef übernommen und ist bei weitem nicht so entspannt wie sein Kollege im jüngsten Regionalflughafen Kassel. Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat 80 Millionen Euro bis Ende 2014 zugesagt, um die Pleite abzuwenden. "Wir haben nicht viel Zeit", sagt Rethage im DW-Interview. Dabei mache ihm Kassel als Konkurrent keine Sorge, "wir gucken auf Amsterdam, auf Luxemburg und auf Frankfurt, wir gucken nicht auf Kassel".

Dr. Heinz Rethage, Geschäftsführer Flughafen Frankfurt-Hahn vor dem Rollfeld (Foto: hahn-airport.de)
Frankfurt-Hahn Chef Rethage will seinen Regionalflughafen aus der Krise steuernBild: hahn-airport.de

"Fluggesellschaften von unseren Vorteilen überzeugen"

Worauf Rethage gucken und woran er etwas ändern muss, ist die extreme Abhängigkeit vom irischen Billigflieger Ryan Air. Er wickelt in Frankfurt-Hahn 90 Prozent des Passagiergeschäfts ab. Fluch und Segen für Frankfurt-Hahn: Ryan Air sorgt für viel Flugbetrieb, doch der Flughafen verdient viel zu wenig daran. Immer wieder wurde auch über Erpressungsversuche berichtet. Rethage formuliert es so: "Ja, Ryan Air ist hier sehr dominant." Zwei Mitbewerber-Fluggesellschaften habe man mittlerweile gewonnen, das soll ausgebaut werden. Im Sommer muss Rethage den Geldgebern ein Umstrukturierungskonzept vorlegen, die Kosten senken, die Organisation verbessern und eine Idee für die Zukunft entwickeln.

Der Flughafen Frankfurt-Hahn hat etwas, was andere Regionalflughäfen nicht haben, sagt Jens Flottau, er hat Erfolge im Frachtgeschäft. Heinz Rethage ist stolz darauf: "Wir sind immerhin der fünftgrößte Flughafen, was die Fracht angeht in Deutschland." Nach allen Prognosen werde das Wachstum in der Fracht in den nächsten Jahren ansteigen, davon ist Rethage überzeugt. Frankfurt-Hahn habe eine Rundum-Betriebsgenehmigung von 24 Stunden, kurze Wege und gute Preise, schwärmt der Flughafen-Chef. Rethage setzt auf den internationalen Markt. Er will "die Fluggesellschaften in der ganzen Welt von unseren Vorteilen überzeugen".

Ein Flugzeug der irischen Airline Ryanair startet (Foto: dpa)
Frankfurt-Hahn will unabhängiger werden vom Billigflieger Ryan AirBild: picture-alliance/dpa

Vorher aber muss er noch die EU-Kommission überzeugen, denn die prüft derzeit neben vielen anderen Flughäfen in Europa auch für Frankfurt-Hahn, ob die Förderung durch das Land nicht unzulässig den Wettbewerb verzerrt. Sollte die EU eine harte Haltung gegenüber Subventionen durchsetzen, sagt Jens Flottau, werde "die Luft dünner für diese Regionalflughäfen".

Da hat man in Kassel noch ganz andere Sorgen. Für die ersten Wochen im Realbetrieb sind erst wenige Flüge vom Veranstalter bestätigt. Neben der Türkei will man als nächstes Mallorca ansteuern, doch noch müssen sich genügend Fluggäste verbindlich anmelden für den Start in Kassel. Wenn es zu wenige sind, die hier abheben wollen, dann werden sie aus "Nordhessen im Aufwind" wieder in benachbarte Flughäfen gebracht und das nicht mit Flügeln, sondern über die Autobahn.