Corona: Österreich setzt auf Massentests
8. Februar 2021Sechs Wochen war Österreich im Lockdown, seit Montagfrüh sind Schulen und Geschäfte im Land wieder geöffnet. Hinter den Kulissen allerdings streiten sich die Beteiligten. Vor allem über den Umgang mit dem an Deutschland grenzenden Bundesland Tirol.
Fachleute warnen vor der unkontrollierten Ausbreitung der in Südafrika entdeckten Variante des Coronavirus. Eine Abschottung der Region war im Gespräch, am Ende entschied sich die österreichische Bundesregierung für eine Reisewarnung im eigenen Land: Wien rät von nicht notwendigen Reisen nach Tirol ab und ruft Reiserückkehrer aus dem Bundesland auf, sich dringend testen zu lassen.
Die Lockerungen im Handel und in den Schulen gelten gleichwohl für ganz Österreich. Dabei liegt die wöchentliche Inzidenz mit mehr als 100 Infektionen auf 100.000 Einwohner deutlich über dem Wert, der aktuell für Deutschland angegeben wird und wohl zu einer Verlängerung des Lockdowns führen dürfte.
Getrennte Wege
Bislang hatte sich Österreich in der Coronakrise immer wieder an den Maßnahmen des großen Nachbarlandes orientiert, doch nun schlägt das Neun-Millionen-Einwohner-Land eine andere Richtung ein.
Die Bevölkerung sei Lockdown-müde, bilanzierte Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Interview mit der Zeitung "Welt am Sonntag": "In den letzten beiden Wochen sind unsere Ansteckungszahlen nicht mehr gesunken, weil sich immer weniger Leute an die Vorschriften gehalten haben und sich wieder nach mehr Freiheit sehnen."
Ganz ohne Gegenleistung gibt es die neuen Freiheiten für die Bürger aber nicht. Das Land etabliert in vielen Bereichen ein strenges Test- und Kontaktverfolgungsregime. Kein Friseurtermin mehr ohne aktuellen Corona-Test und auch für die Einreise gelten von Mittwoch an verschärfte Bestimmungen.
Demnach müssen sich vom 10. Februar an auch Berufs- und Schulpendler elektronisch registrieren und testen lassen. Für alle anderen Besucher gelten noch strengere Regeln: Wer aus Bayern schnell über die Grenze zum Tanken wollte, müsste auch mit negativem Test erst einmal in Quarantäne.
Druck von den Eltern
Die schärferen Kontrollen an der Grenze gehören zum Preis der Lockerungen für die eigene Bevölkerung. Der Druck auf die Regierung hatte sich dabei von mehreren Seiten aufgebaut: Vor allem die vom Tourismus abhängige Wirtschaft schlug Alarm.
Doch nicht nur die Unternehmen verlangten einen Kurswechsel. Auch an den Schulen im Land habe sich großer Unmut aufgebaut, erklärt Gewerkschafter Paul Kimberger im DW-Interview.
"Der Druck von Elternseite war enorm hoch", konstatiert Österreichs oberster Lehrergewerkschafter für die Pflichtschulen. Die Alternative zum Präsenzunterricht ist aus seiner Sicht an ihre Grenzen gekommen.
"Die Erkenntnis der letzten Wochen und Monate ist, dass Distanzlernen den Präsenzunterricht nicht ersetzen kann. Da geht es nicht so sehr um die Wissensvermittlung, als um die Frage der Schule als soziales Gefüge."
Ähnlich sieht das auch der zuständige Bildungsminister: "Es ist ganz wichtig, dass Kinder und Jugendliche ihre Freunde wiedertreffen", so Heinz Faßmann von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP). "Und dass die Kinder wieder eine verbindliche Zeitstruktur bekommen."
Massentests sollen Sicherheit bringen
Der Zeitpunkt der Öffnung, da sind sich Gewerkschaften und Politik einig, ist angesichts der beschleunigten Verbreitung der Mutationen heikel. Um die Lage dennoch unter Kontrolle zu behalten, setzt die Regierung auf die massive Ausweitung von Testungen, geteilte Klassen sowie ein Wechselmodell für die älteren Jahrgänge.
Vor dem Unterricht müssen sich fortan alle Schüler mit dem in Österreich liebevoll "Nasenbohrer-Test" bezeichneten Antigen-Test auf das Coronavirus testen. Nur wer einen negativen Corona-Schnelltest vorweisen kann, darf am Präsenzunterricht teilnehmen. Wer den alle paar Tage notwendigen Test nicht machen will, muss von zuhause lernen.
Anders als der von professionellem medizinischen Personal verwendete Test, der die Probe vom hinteren Rachenraum nimmt, wird beim "Nasenbohrer-Test" das Wattestäbchen nur wenige Zentimeter in die Nase eingeführt.
Das ist für die Kinder deutlich angenehmer, aber auch unzuverlässiger beim Aufspüren von Infizierten. Immerhin 32 positive Testergebnisse meldeten die Behörden nach dem ersten Schultag alleine für die Hauptstadt Wien.
"Der logistische Aufwand für die Maßnahme ist enorm", erklärt Gewerkschafter Kimberger. "Wir brauchen 1,8 Millionen Antigen-Selbsttest für die Schülerinnen und Schüler. Wir benötigen eine enorme Logistik für die Teststationen der mehr als 126.000 Lehrerinnen und Lehrer in Österreich. Auch die werden ja regelmäßig getestet."
Nächster Lockdown in drei Wochen?
Die Vorgaben der Regierung für die Schulen gehen unter anderem zurück auf eine Studie, die Forschende aus Österreich im Januar erarbeitet hatten. Die Physikerin Jana Lasser von der Medizinischen Uni Wien und dem "Complexity Science Hub Vienna" zählt zu ihren Autoren.
Sie hält eine Öffnung der Schulen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen für möglich. "In der Modellrechnung sehen wir, dass es unter den Maßnahmen, die bei uns in Österreich in den Schulen jetzt getroffen werden, im Schnitt zu keinem bis maximal drei bis vier Folgefällen kommt, wenn es zu einem Eintrag des Virus in die Schule kommt", so Lasser gegenüber der DW.
Dabei sei die Gefahr der Verbreitung je nach Schultyp unterschiedlich und dürfte bei Grundschulen am niedrigsten sein. Ihre meist sehr überschaubare Größe, die in Österreich mit gut 20 Kindern kleinere Klassenstärke und der weitgehende Verzicht auf Fachlehrer, die täglich mehrmals die Klassen wechseln, komme diesem Schultyp zugute, so Lasser
Ob die Massentests die Sicherheit in den Schulen tatsächlich erhöhen, dürfte sich schon bald abzeichnen. Düstere Prognosen habe er zuletzt häufig gehört, berichtet Gewerkschafter Kimberger: "Manche Experten sagen, dass diese Schulöffnung schon in drei Wochen zu Ende ist und wir dann wieder schließen müssen."