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Willkommenskultur - non!

Christoph Hasselbach17. September 2015

Weder die französische Politik noch die Mehrheit der Gesellschaft versteht die großzügige deutsche Flüchtlingspolitik. Selten lagen beide Länder so über Kreuz wie jetzt.

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Flüchtlingszelte in Paris Foto: Getty Images/AFP/ J. Saget
Bild: Getty Images/AFP/ J. Saget

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande seien sich in der "Beurteilung der gegenwärtigen Flüchtlingssituation einig", hieß es am Montag aus dem Berliner Kanzleramt, nachdem Deutschland wieder Grenzkontrollen eingeführt hatte. Auch in der Frage einer EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen durch feste Quoten ist Hollande offiziell auf Merkel-Linie.

An konkreter Großzügigkeit ließ es Frankreich aber bisher zu wünschen übrig, jedenfalls in den Augen deutscher Politiker. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer zetert in der "Passauer Neuen Presse": "Frankreich nimmt gerade einmal so viele Flüchtlinge auf wie bei uns ein Landkreis im Allgäu. Das ist egoistisch. Wenn es schwierig wird, gibt es in Europa keine Solidarität mehr." Frankreich hatte sich bereiterklärt, 24.000 Flüchtlinge aufzunehmen; In Deutschland werden in diesem Jahr 800.000 erwartet, Vizekanzler Sigmar Gabriel rechnet sogar mit einer Million.

Flüchtlingskind mit Kuscheltieren Foto: picture-alliance/dpa/N. Armer
Kuscheltiere für Flüchtlingskinder in München: menschliche Geste oder gefährlicher Lockruf?Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Merkels "Lockrufe Richtung der Millionen"

Aber die Kritik geht auch in die umgekehrte Richtung. Denn Frankreichs Politiker von links bis rechts haben kein Verständnis für Merkels Politik der offenen Tür. Der Sozialist Malek Boutih, Sohn algerischer Einwanderer, sagte vor wenigen Tagen im französischen Fernsehen: "Die Großzügigkeit der deutschen Bevölkerung kann man begrüßen, aber Merkel hat einen schweren politischen Fehler begangen, als sie einseitig einen Lockruf für Flüchtlinge aussprach. Das Verhalten von Frau Merkel löst Krisen in den Nachbarländern Deutschlands aus, zuallererst in Frankreich." Damit sei sie sogar "eine Verbündete von Marine Le Pen geworden." Denn die Ängste in der französischen Bevölkerung nützten der Vorsitzenden des rechtsextremen Front National.

Auch bei den "Republikanern", der konservativen Parteineugründung unter dem früheren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, schütteln viele den Kopf über Merkel. Das wiegt umso schwerer, als die "Republikaner" eine Art französisches Pendant der CDU/CSU sind und enge Kontakte zur deutschen Union haben. Pierre Lellouche, der außenpolitische Sprecher der Partei, hat im Deutschlandfunk über Merkel gesagt: "Sie hat eine Krise beschleunigt, die jetzt nicht mehr zu bewältigen ist." Auch er spricht von einem "Lockruf in Richtung der Millionen".

Sarkozy, der bei der nächsten Präsidentschaftswahl erneut antreten könnte und als Präsident eng mit Merkel zusammengearbeitet hat, warnt im Fall eines weiteren Zustroms vor einer "Auflösung der französischen Gesellschaft". Er ist auch gegen eine Quotenregelung. Bereits im Juni hatte Sarkozy gesagt, Aufnahmequoten wären so, als wenn ein Klempner bei einem Rohrbruch nicht das Wasser stoppen, sondern es in der Wohnung besser verteilen wollte.

Der armenischstämmige konservative Ex-Minister Patrick Devedjian verstieg sich sogar vergangene Woche zu dem Ausspruch: "Die Deutschen haben uns unsere Juden genommen und uns Araber gegeben", entschuldigte sich aber später für diesen "deplatzierten Witz".

Dass die deutsche Flüchtlingspolitik ein gefundenes Fressen für Marine Le Pen sein werde, war ohnehin klar. "Ich werfe der deutschen Kanzlerin vor, ganz Europa eine illegale Einwanderung aufzuerlegen, nachdem sie ihm bereits ihre Finanzordnung auferlegt hat", sprach Le Pen geschickt gleich zwei wunde Punkte der französischen Seele an. Und der Satz, "Wir sind nicht die Fußmatte von Frau Merkel", war wohl auch als Kritik an Hollande zu verstehen, der in ihren Augen der Kanzlerin allzu willig folgt.

Marine Le Pen Foto: Getty Images/AFP/D. Charlet
Marine Le Pen wird zugetraut, mindestens die erste Runde der nächsten Präsidentschaftswahl 2017 zu gewinnen.Bild: Getty Images/AFP/D. Charlet

Frankreichs Erfahrungen mit Einwanderung

Doch nicht nur die Politik, auch die französische Gesellschaft tickt anders in der Migrationsdebatte als Deutschland. Nach einer kürzlichen Umfrage will gut die Hälfte der Franzosen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Sogar mehr als 60 Prozent sind dafür, Asylbewerber aus Syrien zu behandeln "wie alle anderen" - das Gegenteil der deutschen "Willkommenskultur", wie sie Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien beschwören.

Doch woher kommen diese Unterschiede? Professor Frank Baasner, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, erklärt sie im DW-Gespräch damit, "dass die demographische Situation in Frankreich völlig anders ist als in Deutschland" und dass es in Deutschland "keine stabile, fest verankerte Rechtsaußenpartei" gebe wie den Front National.

Auch seien die Erfahrungen in Frankreich mit Einwanderung "nicht wirklich glücklich". Daraus müsse man aber nicht auf ähnliche Integrationsprobleme in Deutschland schließen. Der "kolonialistische Hintergrund" als Last der Geschichte entfalle bei Deutschland weitgehend. Auch habe Frankreich die "Illusion" gehabt, durch eine spezielle Afrikapolitik den Maghreb und die Staaten südlich der Sahara stabilisieren zu können. Diese "historische Wunde" Frankreichs wirke nach. Deutschland habe dagegen, nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung, eine "relativ große Anpassungsfähigkeit" bewiesen - "ökonomisch, mental, psychologisch". Das gelte inzwischen auch für Einwanderung und habe die Gesellschaft "dynamisiert".

Wo sind Wille und Weitsicht?

Sollten die Unterschiede bleiben und beide Seiten nicht aufeinander zugehen, könnte das schwerwiegende Konsequenzen haben. Schon heute machen französische Politiker Angela Merkel für den Aufstieg von Marine Le Pen verantwortlich.

Frank Baasner glaubt allerdings, dass Frankreich und Deutschland bei dem Thema wieder zusammenfinden werden, so wie sie auch in der Griechenland-Krise am Ende zusammengefunden hätten. Einmal hätten alle Europäer inzwischen verstanden, dass "wir da alle zusammen ein Problem haben". Der Handlungsdruck sei groß genug. Doch dazu müssten gemeinsamer "politischer Wille" und "Weitsicht" kommen. Noch vermisst er beides.