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Politik

"Wir brauchen eine neue Rassismus-Debatte"

Kay-Alexander Scholz
1. Februar 2018

Warum stört das Kopftuch einer Akademikerin, das einer Putzfrau nicht? Extremismusforscher untersuchen, wie und warum sich die Einstellung gegenüber Muslimen verändert. Der Aufstieg der AfD gilt als wichtiger Faktor.

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Berlin Kreuzberg AfD-Wahlplakat
Bild: picture-alliance/dpa/W. Steinberg

Durch die rechtspopulistische Pegida-Bewegung und die AfD hat sich ein anti-muslimischer Rassismus sozial und politisch organisiert, dieses Fazit zieht die Rassismusforscherin Yasemin Shooman. Bei einem Pressegespräch des "Mediendienstes Integration" in Berlin sagte sie, eine ablehnende und abwertende Haltung gegenüber Islam und Muslimen gebe es aber schon länger.

Als 2010 der damalige Bundespräsident Christian Wulff sagte, dass der Islam zu Deutschland gehöre, löste er damit eine heftige Debatte aus. Shooman verwies auch auf ältere Studien, in denen etwa jeder zweite Befragte der These zustimmte, dass es zu viele Muslime in Deutschland gebe. Die AfD knüpfe an genau solche Einstellungen an.

Zur Frage nach den Gründen stellte Shooman zwei Thesen vor: Paradoxerweise hänge viel mit dem Aufstieg und der Integration der Minderheiten zusammen. Die Kopftücher der türkischen Gastarbeiter hätten nicht interessiert, als sie von Putzfrauen getragen wurden, sagte Shooman. Sie störten erst, als sie von Akademikerinnen getragen wurden. Als Moscheen noch in Hinterhöfen versteckt waren, hätte es weniger Protest gegeben als jetzt, da Moscheen in Ortschaften sichtbar werden.

Warum immer nur Abgrenzung?

"Wir brauchen eine neue Rassismus-Debatte", forderte Shooman. Diese dürfe sich nicht nur auf den rechtsextremen Rand beschränken, sondern müsse mitten in die bürgerliche Mitte führen. Die fühle sich - wie die Wahlergebnisse der AfD zeigten - zum Teil von Rechtspopulisten angesprochen.

Deutschland Pressegespräch zum Thema Muslime und AfD
Yasemin Shooman, Rassismusforscherin in Berlin, und Suleman Malik von der Ahmadiyya-GemeinschaftBild: DW/K. A. Scholz

Wichtig sei es zu klären, warum Identitätsfragen immer über Abgrenzung und nicht über Gemeinsamkeiten funktionierten. Welche Funktionen haben Stigmatisierungen? Inwieweit sind Muslime Projektionsflächen für Vorbehalte gegen andere gesellschaftliche Minderheiten?

Muslime als Feindbild

Suleman Malik, Landessprecher der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft in Thüringen, berichtete vom Moschee-Streit in der Landeshauptstadt Erfurt, der auch von der AfD und der Identitären Bewegung befeuert worden sei. Vor einigen Tagen hatte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zu einer Großdemo aufgerufen und von einer "nötigen De-Islamisierung" gesprochen. "Da waren auch militante Nazis unter den Demonstranten", berichtete Malik.

Deutschland Pressegespräch zum Thema Muslime und AfD
Yasemin Shooman zeigte Beispiele für das gefährliche Spiel der Rechten mit ÄngstenBild: DW/K. A. Scholz

Yasemin Shooman verwies darauf, wie sich in Teilen der AfD eine Täter-Opfer-Umkehr breit mache. Behauptet würde ein "Geburten-Dschihad", also eine islamische Unterwanderung Europas durch hohe Geburtenzahlen. Tatsächlich sei inzwischen aber die Sicherheit der Muslime immer häufiger nicht gewährleistet, sagte Shooman. 91 Angriffe auf Moscheen habe es im Jahr 2016 gegeben. Das Gerede von einer "islamischen Bombe" zeige, wie die AfD die Grenze des öffentlich Sagbaren auf Kosten der Muslime verschoben habe.

Muslime würden von der politischen Rechten einer "modernisierten" Form des Rassismus ausgesetzt. Dort, wo früher "Ausländer raus" skandiert wurde, seien jetzt Muslime das Feindbild. Der Rassismus sei mit dem Ziel modernisiert worden, in bürgerliche Schichten hinein anschlussfähig zu werden.

Die AfD an ihren Taten messen

"Entgegentreten geht nur durch Dialog", sagte Suleman Malik und berichtete von einem Treffen mit dem AfD-Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen. Es gehe um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Nicht alle in der AfD seien Rechtsextreme, sagte Malik. Man müsse die Partei an ihren Taten messen.

Shooman zeigte sich skeptischer, zumal jede Debatte von den Rechtspopulisten instrumentalisiert oder gern auch skandalisiert würde. Es sei wichtig zu unterscheiden, welches Ziel diese Skandalisierung habe: Um eine gemeinsame Lösung zu finden oder nur, um Argumente als Munition für weitere Stigmatisierung zu finden.

Was heißt eigentlich Religionsfreiheit?

Daniel Legutke, Referent für Menschenrechte und Berater der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, fragte nach, auf welcher Basis ein solcher Dialog überhaupt stattfinden könne. Er sieht bei der AfD das Recht auf Religionsausübung für Muslime nicht gewährleistet.

Die Religionsfreiheit werde von der AfD auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit beschränkt, führte Legutke aus. Die Ausübung der Religion werde aber eingeschränkt, wenn Kopftuch, Muezzin-Ruf und Minarett verboten würden. Die AfD befasse sich also mit Inhalten der Religion. Der Vorteil von Religionsfreiheit aber sei, dass sich der Staat in die Inhalte gerade nicht einmische. 

Deutschland Pressegespräch zum Thema Muslime und AfD
Daniel Legutke (li.), Referent für Menschenrechte bei der "Deutschen Kommission Justitia et Pax"Bild: DW/K. A. Scholz

Legutke ging auch auf die immer wiederkehrende deutsche Debatte um eine "Leitkultur" ein. Die AfD definiere diese als christlich-jüdisch-abendländisch. Als Vertreter der christlichen Kirchen wehre er sich gegen eine solche Vereinnahmung, sagte Legutke: "Wir sind schließlich kein Kulturverein."

Extremismusforscherin Yasemin Shooman ging in ihrer Bewertung der Lage für Muslime in Deutschland durch die Wahlerfolge der AfD am weitesten. Sie warnte vor einem neuen Rassismus. Man dürfe nicht unterschätzen, was bestimmte Aussagen mit Kindern und Jugendlichen machten. Wenn etwa behauptet würde: Es gibt zu viele Muslime in Deutschland! Was sollte denn daraus folgen? Shooman nannte das "ein Lehrstück an Demagogie".