Islamische Theologie und Dialog
25. Januar 2010Mit unsicheren Schritten bahnt sich Medhi Rasvi einen Weg durch die Schnee- und Eismassen auf dem Campus der Hamburger Universität. Der gebürtige Inder ist 80 Jahre alt, Moslem und als Imam eine Galionsfigur des interreligiösen Dialoges in Hamburg. Nicht sein Alter, nicht das Wetter können ihn stoppen. Imam Medhi Rasvi ist einer von vielen unermüdlichen Streitern für das friedvolle Miteinander der Religionen.
Wie dialogfähig ist der Islam? Dieser Frage gehen Forscher aus dem In-und Ausland bei einer Tagung nach. Lange Zeit galt die Al-Azhar-Universität in Ägypten als spirituelles Zentrum und Richtung weisend für Koranauslegungen. Doch in der globalisierten Welt sind muslimische Strömungen und Stimmen vielschichtiger, differenzierter geworden, wie die Forscher aus der Türkei, Südafrika, Amerika oder Deutschland belegen.
Ein Islam - viele Stimmen
Halima Krausen ist Deutsche und eine der wenigen weiblichen Imame, die sowohl eine Universitätsausbildung als auch eine traditionelle theologische Ausbildung haben. Die aktuellen Konflikte belegen, dass bislang viel zu wenig gesprochen werde zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Religionen, argumentiert sie.
Welche Gestalt, welche Aufgaben hat der Islam in heutigen Gesellschaften? Wo wird er missbraucht? Der südafrikanische Islamwissenschaftler Abdulkader Tayob, derzeit als Gastprofessor in Hamburg, sieht die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung des Islam und plädiert für eine Rückbesinnung auf spirituelle Wurzeln.
Wichtige Wurzeln
Jose Casanova pflichtet bei. Der amerikanische Religionssoziologe betont, dass sich eine spirituelle Rückbesinnung durchaus vertrage mit einer Modernisierung des Islam. Die Trennung von Staat und Religion gelte speziell in Europa als Prüfstein. Doch auch in Amerika, so erinnert Casanova, gäbe es starke Überschneidungen zwischen beiden Lebensbereichen. Das führe nicht zwangsläufig zu Terrorismus, erklärt er und ergänzt: "Vielleicht sind heute Muslime Terroristen weil sie so modern sind. Und sie haben den Terrorismus von der Moderne gelernt, nicht vom traditionellen Islam."
Nach zeitgemäßen Formen für den Islam sucht an der Universität Ankara auch die Professorin für islamische Geschichte, Nahide Bozkurt. Sie bemängelt, dass einige Muslime die heiligen Korantexte allzu wörtlich, allzu fundamentalistisch auslegten: "Manche versuchen den Propheten Mohammed zu imitieren. Aber das geht nicht. Man kann nicht alles eins zu eins in die Gegenwart übertragen. Die Gesellschaften haben sich geändert. Wir haben uns geändert. Man sollte das auseinander halten: sich etwas zum Vorbild nehmen und etwas nachahmen."
Schwierige Vermittlung
Die Professorin von der Universität Ankara forscht vor allem zur Gleichstellung der Frau im Islam. Und belegt, dass es feministische Theologinnen im Islam genauso gibt wie Fundamentalismus. Die Religion wird vielfältiger - wie derzeit jede andere der großen Weltreligionen. Sie alle müssen sich neuen Herausforderungen stellen. Zum Beispiel der zeitgemäßen Auslegung theologischer Texte. Aber auch der Frage, wie das theologische Wissen den Schülern mit und ohne Migrationshintergrund in einer globalisierten Welt nahegebracht werden kann. Die Hamburger Universität wird künftig mehr denn je daran arbeiten.
Vermutlich im Juni wird an der Universität Hamburg eine "Akademie der Weltreligionen" gegründet. Schon lange träumen Wolfram Weisse, bisher Leiter des interdisziplinären Zentrums für Weltreligionen im Dialog, und seine Wissenschaftskollegen von dieser Chance. Der Religionspädagoge und seine Mitstreiter haben REDCO geleitet, das erste europäische Forschungsprogramm, das den Religionsunterricht an Schulen in europäischen Ländern untersucht hat.
Systematischer Dialog
Sie haben ein Modell für den Hamburger Religionsunterricht geprägt, bei dem Muslime, Juden, Christen und Buddhisten gemeinsam unterrichtet werden. Was fehlte waren Mitarbeiter und die finanzielle Ausstattung für weitere Forschungsvorhaben. Nun hat die schwarz-grüne Regierungskoalition im Senat offenbar grünes Licht gegeben - der Dialog der Religionen soll also demnächst in Hamburg genauer untersucht werden. Die künftige Akademie der Weltreligionen könne hier einiges zur Klärung beisteuern, erklärt Weisse: "Die Universität hat die Möglichkeit, durch Befragungen systematischer Art Aussagen zu gewinnen, die zeigen: Wie ist denn das Barometer der Verständigungsbereitschaft? Wo sind Anzeichen von Ungeduld, von Intoleranz, von Ausschluss?"
Autor: Ute Hempelmann
Redaktion: Klaus Krämer