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"Wir sind ein europäisches Land"

Lavinia Pitu30. Mai 2014

Die Republik Moldau hält an ihrem Ziel fest, EU-Mitglied zu werden. Das sagt die moldauische Außenministerin Natalia Gherman im DW-Interview. Doch auf dem Weg dahin rechnet sie mit zahlreichen Schwierigkeiten.

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Natalia Gherman, Außenministerin der Republik Moldau in Berlin (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Deutsche Welle: Die Republik Moldau soll am 27. Juni in Brüssel das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnen. Es gibt Befürchtungen in Ihrem Land, das Abkommen könnte Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen der Republik Moldau und der Russischen Föderation haben. Gibt es deshalb Überlegungen in Chisinau Teile des Abkommens auszuklammern, um eine Gegenreaktion aus Moskau zu vermeiden?

Natalia Gherman: Die Republik Moldau wird das gesamte Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Dieses beinhaltet auch die Errichtung einer Freihandelszone zwischen der Republik Moldau und der EU. Dadurch wird die Republik Moldau viel attraktiver als Handelspartner und was die Absicherung ausländischer Investitionen angeht. Durch die Umsetzung des Abkommens wird die Republik Moldau ein noch verlässlicherer Partner - auch für die Russische Föderation und die anderen Handelspartner. Wir haben nicht vor, die Freihandelszone innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu verlassen.

Diese regionale Freihandelszone steht nicht im Gegensatz zur EU-Handelspolitik, vorausgesetzt, beide Vereinbarungen entsprechen der Preispolitik der Welthandelsorganisation (WTO). Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, die Öffnung eines Marktes mit 500 Millionen Verbrauchern, bietet unserer Wirtschaft und dem Außenhandel neue Perspektiven.

Die politische Opposition in Chisinau ist aber anderer Meinung, was das Assoziierungsabkommen mit der EU angeht.

Ja, die Opposition - die Kommunistische Partei und die Sozialistische Partei - stützt ihre Wahlkampf-Strategie im Vorfeld der Parlamentswahlen im Herbst auf ein Alternativ-Modell, auf die Integration der Moldau in die Eurasische Union. Dieses Projekt wurde von der Russischen Föderation initiiert und vorangebracht. Natürlich unterstützt Russland die moldauischen Politiker, die das Projekt begünstigen. Allerdings herrscht in der Republik Moldau Demokratie, der Pluralismus wird respektiert. Wenn eine Diskussion über beide Modelle, über die Zukunft des Landes stattfindet, muss diese in einem legalen Rahmen und aufgrund von Studien und Tatsachen geführt werden.

Das ist leider nicht immer der Fall. Die EU wird von der Opposition als ungeeigneter Partner dargestellt, der nicht zum Wachstum und zur Entwicklung der Moldau beiträgt. Wir, die pro-europäischen Parteien, belegen durch Studien und konkrete Argumente genau das Gegenteil. Vor allem unsere Nachbarländer haben gezeigt, dass die EU zu ihrer Modernisierung und Entwicklung beigetragen hat. Hinzu kommt noch das Solidaritätsgefühl, das die EU in Krisensituationen mitbringt. Die EU-Mitglieder können mit Unterstützung rechnen, sowohl in finanziellen und wirtschaftlichen Engpässen, als auch in den Bereichen Sicherheit und Stabilität. Wir möchten das gleiche Sicherheitsgefühl wie unsere Nachbarn Rumänien, Bulgarien oder die Baltischen Staaten haben.

Mit welchen Herausforderungen muss die Republik Moldau im Kontext der Ukraine-Krise rechnen, in ihren Bemühungen, sich der EU anzunähern?

Sollte sich die Situation in der Ukraine verschlechtern, laufen wir Gefahr, den Transitverkehr durch ukrainisches Gebiet für unseren Handel mit der Russischen Föderation, mit Kasachstan und anderen Ländern in Zentralasien und dem Kaukasus zu verlieren. Wir wünschen uns eine schnellstmögliche Stabilisierung der Situation in der Ukraine. Ein weiteres Risiko gibt es im Energiesektor. Falls Russland seine Gaslieferungen an die Ukraine stoppt, ist die Republik Moldau sofort betroffen. Wir importieren russisches Gas, sind aber gleichzeitig ein Transitland für den Erdgasexport in andere südosteuropäische Länder. In diesem Fall hätten wir eine Alternative. Zusammen mit der rumänischen Regierung haben wir den Bau einer Gas-Pipeline in Rumänien zwischen Iasi und Ungheni begonnen, die am 27. August in Betrieb genommen wird. Auf diese Weise finden wir Anschluss an den europäischen Erdgasmarkt und sichern den Zugang zu alternativen Quellen. Zusammen mit unseren rumänischen Partnern prüfen wir eine Ausweitung des Projekts auf Chisinau und andere Regionen, so dass wir langfristig das ganze Land versorgen könnten. Die europäischen Partner unterstützen diese Pläne.

Wie wichtig ist derzeit die Rolle Rumäniens für die politischen Entwicklungen in Chisinau?

Sehr wichtig. Rumänien ist unser europäischer Nachbar. Nicht nur unser gemeinsames geschichtliches und kulturelles Erbe, sondern auch der europäische Integrationsprozess verbindet uns. Wir freuen uns sehr, dass wir in unserer Entwicklung sowohl von der Politik als auch der Gesellschaft in Rumänien bedingungslos unterstützt werden. Die Rolle, die Rumänien in Brüssel und in anderen europäischen Hauptstädten für die Republik Moldau einnimmt, wird von uns sehr geschätzt.

Wie sieht aus der Perspektive Chisinaus die europäische Agenda nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU aus? Welches sind die nächsten Schritte, die Sie unternehmen werden?

Wir werden uns natürlich für die Umsetzung des Abkommens vorbereiten, das am 1. Oktober in Kraft treten wird. Das moldauische Parlament will das Abkommen kurz nach der Unterzeichnung ratifizieren. Dann beginnt der Wahlkampf - am 30. November finden Parlamentswahlen statt. Wir werden die Vorteile dieses Abkommens kommunizieren und hoffen, die Bürger der Republik Moldau davon zu überzeugen, dass dies der einzige Weg zur Entwicklung und Modernisierung des Landes ist. Was Rumänien oder den Baltischen Staaten gutgetan hat, muss auch für die Republik Moldau gelten. Wir sind ein europäisches Land, nicht nur wegen der geopolitischen Lage, sondern auch durch unsere Geschichte, unser Erbe und unsere Zivilisation. Wir vertreten die gleichen Werte wie die anderen europäischen Staaten. Das Assoziierungsabkommen mit der EU, der visafreie Verkehr in die EU - das sind unsere Argumente im Wahlkampf. Und ich bin zuverlässig, dass die Bürger der Republik Moldau die richtige Wahl treffen werden.

Welche politische Lösung für die Lage in der separatistischen Region Transnistrien halten Sie für realistisch, angesichts der Ereignisse im Osten und Süden der Ukraine?

Meiner Meinung nach ist die europäische Integration, sind die Ergebnisse dieses Prozesses die effizientesten Argumente zu Gunsten der Wiedervereinigung der Republik Moldau. Und das jüngste Beispiel ist entscheidend. Als die EU Visa-Erleichterungen für die moldauischen Bürger beschloss, stieg die Zahl der transnistrischen Bewerber für den moldauischen Pass sofort an. Das Gleiche wird auch nach dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit der EU passieren. Die Idee ist, die Transparenz zu fördern, das Handelsklima zu verbessern, das Land zu modernisieren, die Chancen für Exporte und ausländische Investitionen zu steigern. Die Krise in Transnistrien ist gerade durch die europäische Integration der Republik Moldau zu lösen.

Natalia Gherman ist seit Mai 2013 Außenministerin der Republik Moldau.

Das Gespräch führte Lavinia Pitu.