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Politik

Wirbel um saudische NGO für Homosexuelle

Kersten Knipp | Khaled Salameh
7. Dezember 2019

Von Schweden aus will die Initiative Mokhtalif für die Rechte homo- und transsexueller Menschen in Saudi-Arabien eintreten. Die Gruppe kämpft gegen viele Widerstände - nicht nur von Seiten des saudischen Königshauses.

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Symbolbild Homosexualität
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/McPhoto

Feminismus, Homosexualität und Atheismus haben in der Lesart des saudischen Königshauses eines gemeinsam: Alle drei stehen für eine extremistische Haltung. So stellt es der saudische Sicherheitsdienst in einem Video dar. Das postete er - so berichten mehrere Medien - Anfang November für wenige Tage auf Twitter, löschte es dann aber wieder. Die Behörde, so die britische BBC, distanzierte sich von dem Video. Es sei fehlerhaft gemacht und die Produzenten hätten ihre Aufgabe nicht angemessen erledigt.

Dennoch sind es Vorfälle wie dieser, die die 26-jährige saudische Staatsbürgerin Rowan Otef dazu veranlasst haben, in ihrem Exil in Schweden die erste saudische Nichtregierungsorganisation (NGO) für die Rechte homo-, trans- und bisexueller Menschen zu gründen. Mokhtalif heißt die Gruppe, auf Deutsch "Verschieden" oder "Anders".

Vier Anliegen

Die Idee, eine solche NGO zu gründen, sei 2017 in Saudi-Arabien entstanden, sagt Otef im DW-Interview. Ein Jahr später beantragte sie Asyl in Schweden. Von dort aus will sie nun für die Rechte der LGBT-Community eintreten. Ende November wurde ihre Organisation in Schweden offiziell anerkannt. Ihr Gesicht will sie aus Sicherheitsgründen aber nicht öffentlich zeigen.

Für Homosexuellenrechte: Mokhtalif auf Twitter

Mokhtalif habe vier Anliegen, erklärt Rowan Otef. Erstens wolle sie Homosexualität und andere von der heterosexuellen Norm abweichende Sexualität entkriminalisieren. Zweitens wolle sie dazu beitragen, dass Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender in Saudi-Arabien unter gesetzlichen Schutz gestellt würden. Drittens wolle sie erreichen, dass in Saudi-Arabien öffentlich über geschlechtliche und sexuelle Identität gesprochen werden könne, so etwa in den Schulen des Landes. Und schließlich trete sie dafür ein, dass alle Mitglieder der LGBT-Community einen angemessenen, von den Vorgaben der Religion unabhängigen Gesundheitsdienst in Anspruch nehmen könnten. 

Schwulenfeindliche Gesetzgebung

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Im Jahr 1928 orientierten sich saudische Religionsgelehrte an den Schriften des im 17. Jahrhundert lehrenden Juristen Yusuf al-Karmi al-Maqdisi. Der war der Ansicht, Homosexualität müsse mit dem Tod bestraft werden. In einem in den 1980er Jahren in Kraft getretenen Regelwerk gilt Homosexualität als eine Straftat, die mit Verhaftung und Gefängnis geahndet werden kann.

Dass der Sicherheitsdienst das Thema nun noch einmal in einem Video aufgegriffen hat, sieht Heba Morayef, bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika zuständig, als beunruhigende Entwicklung. "Diese Erklärung ist höchst gefährlich und hat ernsthafte Folgen für Meinungsfreiheit, Leben, Freiheit und Sicherheit in dem Land. Es kratzt den Lack des Fortschritts unter (Kronprinz) Mohammed bin Salman ab und lässt die intolerante Seite des Königreichs zutage treten. Es kriminalisiert die Identität einiger seiner Bürger ebenso wie progressive und reformerische Ansichten und Ideen innerhalb des Landes."

Saudi Arabien Riad Stadtansicht Luftaufnahme
Konservatives Königreich im Umbruch: Blick auf die saudische Hauptstadt RiadBild: picture-alliance/AP Photo/N. El-Mofty

Enttäuschte Hoffnungen

Ähnlich sieht es auch Rowan Otef von Mokhtalif. Anfangs seien sie und ihre Freunde optimistisch gewesen, dass sich die von Mohammed bin Salman angestoßen Reformen zumindest im Ansatz auch auf die Homosexuellen-Szene auswirkten, sagt Rowan der DW. Doch als das Königreich im September 2019 insbesondere an Ausländer gerichtete Richtlinien bekanntgab, die auch das Cross-Dressing - das Tragen von typischerweise dem anderen Geschlecht zugeschriebener Kleidung - unter Strafe stellte, sei der Optimismus verflogen. "Und als wir neulich eine Nachricht an die Mitglieder der Nationalversammlung richteten, antworteten diese, indem sie per Twitter einen Bann über uns verhängten. Man kann sich also vorstellen, wie sehr LGBT-Personen unterdrückt werden."

Diese Einschätzung teilt auch das Internetportal Asher & Lyric, das sich sicherem Reisen widmet. Es präsentierte im vergangenen November eine Studie zur Reisesicherheit für Homosexuelle. Diese listet Saudi-Arabien als das viertgefährlichste Land für LGBT weltweit auf, direkt hinter Nigeria, Katar und Jemen.

Ein polemischer Tweet

Wie sehr das Thema Homosexualität polarisiert, zeigt ein Tweet von Ahmed Mansour, einem bekannten Journalisten und Moderator beim Fernsehsender Al-Jazeera, dem Kritiker vorwerfen, den Muslimbrüdern nahezustehen. Mansour kommentierte einen Twitter-Eintrag von Mokhtalif, in dem die Organisation mitteilte, dass sie nun gesetzlich anerkannt sei. Sie erwähnte allerdings nicht, dass die NGO in Schweden registriert wurde. Ahmed Mansour stellte es so dar, als sei die Anerkennung in Saudi-Arabien selbst erfolgt:

Ob dies das jüngste Werk des Dieners der beiden heiligen Stätten sei, fragte er mit polemischem Unterton. "Eine offizielle Schwulenorganisation erklärt auf ihrer Seite, dass sie den Gesetzen entspreche und offiziell registriert sei? Ich verstehe nicht, wohin man die saudische Bevölkerung führen will. Wo sind die Gelehrten, die ihre Zunge hüten und deren Herzen erblinden?"

Äußerungen wie diese zeigen, wie umstritten das Thema der Homosexualität in der arabischen Welt noch immer ist. Saudi-Arabien hat jüngst einige gesellschaftliche Reformen auf den Weg gebracht. So dürfen Frauen etwa Auto fahren und ohne Zustimmung ihrer männlichen Verwandten ins Ausland reisen. Gleichzeitig befinden sich aber führende Frauenrechts-Aktivistinnen in Haft. Das Land durchlebt einen Wandel: zu langsam für die einen, ausgesprochen schnell für die anderen - und von umfassenden Menschenrechten für alle noch weit entfernt. 

Saudische Schwestern auf der Flucht

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika