Wird Wohnen zum Luxus in Deutschland?
2. August 2023Wer eine schöne Wohnung in guter Lage in Berlin mieten will, braucht viel Geld. Dann kann es schnell gehen. "Ab sofort" wird auf einer Online-Plattform eine "herrlich großzügige 4-Zimmer-Wohnung" im Stadtteil Charlottenburg angeboten. 182 Quadratmeter, möbliert, für 8190 Euro Miete pro Monat. Zuzüglich Heizung, Strom und anderen Nebenkosten sind das mehr als 50 Euro pro Quadratmeter.
Als sozial verträglich gilt in Deutschland ein Mietniveau von 6,50 bis 7,50 Euro. Dafür bekommt man in Berlin noch nicht einmal das "Schnäppchen des Monats". Als solches werden 69 Quadratmeter am östlichen Stadtrand zum Preis von 725 Euro angeboten. Da die Wohnung in der sechsten Etage ohne Aufzug liegt, wird "eine sportliche Familie" gesucht. "Handwerklich begabt" sollte sie angesichts des Renovierungsbedarfs auch sein.
Die Miete frisst das Einkommen auf
In Deutschland liegt das durchschnittliche Nettoeinkommen, also das, was nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben übrig bleibt, laut Statistischem Bundesamt bei 2165 Euro. Rund ein Drittel des Einkommens wird für die Miete ausgegeben. Bei Neuvermietungen reicht das aber oft nicht mehr aus.
In München kostet der Quadratmeter inzwischen 19 Euro Miete, in Stuttgart 18 Euro, in Düsseldorf und Köln 12 bis 13 Euro und in Berlin 11 Euro. "Hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum trifft auf historische Mietpreisanstiege und ein viel zu knappes Angebot", heißt es dazu in einer aktuellen Auswertung des Online-Portals Immoscout24.
Weniger Käufer, mehr Mieter
Deutschland ist traditionell eine Mieter-Nation. Während die Eigentümerquote in Europa durchschnittlich bei rund 70 Prozent liegt, wohnen in Deutschland nur 46 Prozent in den eigenen vier Wänden. In Großstädten noch weniger. In Hamburg rund 22 Prozent, in Berlin lediglich 14 Prozent.
Weltweit steigen die Immobilienpreise. Das ifo-Institut und das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik gehen in einer Studie davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren mit einer durchschnittlichen Steigerung von jährlich neun Prozent zu rechnen ist. Für Deutschland werden gut sieben Prozent angenommen. Zusammen mit gestiegenen Kreditzinsen macht das den Kauf eines Hauses oder einer Wohnung oft unbezahlbar. Als Alternative bleibt nur zu mieten. Das verstärkt die Knappheit auf dem Mietmarkt und führt dort zu weiteren Preissprüngen.
Warum ist der Wohnungsmarkt so angespannt?
Laut einer Studie des Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung fehlen in Deutschland mehr als 700.000 Wohnungen - besonders im preisgünstigen Bereich. Die Bundesregierung hatte angekündigt, für den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu sorgen. Tatsächlich wird in diesem Jahr etwas mehr als die Hälfte erreicht, 2024 wird das Ziel noch deutlicher verfehlt. Das hat das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung errechnet.
Der Ukraine-Krieg und die Inflation haben die Baukosten nach oben getrieben. Experten rechnen vor, dass es schlichtweg unmöglich ist, für weniger als 5000 Euro pro Quadratmeter zu bauen. Fachkräfte und Baustoffe fehlen, auf Baustellen wird die Arbeit eingestellt. Im Mai ist die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen um 25,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken.
Es gibt kaum noch Sozialwohnungen
Um die wenigen noch bezahlbaren Wohnungen konkurrieren immer mehr Menschen. Von den Geflüchteten, die 2015/2016 ins Land kamen, leben rund 25 Prozent nach wie vor in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft, weil sie bis heute keine eigene Wohnung finden konnten. 2022 kamen mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland. In diesem Jahr kommen absehbar rund 300.000 Asylbewerber dazu.
Inzwischen rächt es sich, dass die Politik zu wenig für den Wohnungsbau tut und den sozialen Wohnungsbau über Jahrzehnte vernachlässigt hat. 8,4 Millionen mit öffentlichen Geldern geförderte Sozialwohnungen sind nach 1950 gebaut worden. Doch die verpflichtende Mietpreisbindung entfällt nach längstens 20 Jahren.
Was tut die Politik?
Und es werden weniger neue Sozialwohnungen pro Jahr gebaut, als aus der Preisbindung herausfallen. Resultat: Ende 2022 gab es bundesweit nur noch knapp 1,1 Millionen Sozialwohnungen – ein historischer Tiefstand. Die Linkspartei schlägt ein öffentliches Wohnungsbauprogramm und ein Sondervermögen für bezahlbares Wohnen vor: "Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich initiativ zu werden und mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr für öffentlichen sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen", so die linke Bundestagsabgeordnete Caren Lay.
Doch die Bundesregierung will im Haushalt sparen, das Geld ist knapp. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will den Wohnungsbau über Steuererleichterungen ankurbeln. Im Mai 2023 wurde das Wohngeld erhöht - das ist der staatliche Zuschuss zu den Mietkosten - und der Kreis der Berechtigten erweitert. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Sozialverbände fordern Mietenregulierung
Die Sozialverbände warnen, dass Wohnen für immer mehr Menschen zur Existenzfrage wird. Daraus erwächst sozialer Sprengstoff für die Gesellschaft. Angemessenes Wohnen sei ein Menschenrecht, heißt es bei der Arbeiterwohlfahrt.
In einem Positionspapier wird gefordert, Wohnungspolitik wieder zu einer öffentlichen und staatlichen Aufgabe mit höchster Priorität zu machen und durch eine Regulierung von Bodenpreisen und Mieten für mehr Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen. Kritiker einer starken Regulierung warnen davor, dass noch weniger gebaut werde, wenn der finanzielle Anreiz für Investoren fehlt.
Wohnen auf 7,5 Quadratmetern
Angesichts der massiven Probleme wird sich der Wohnungsmarkt in Deutschland kurzfristig wohl kaum entspannen. Sinkende Preise sind derzeit nur bei Kaufangeboten für ältere Häuser zu beobachten, die alte Heizungen haben und bei denen die energetische Sanierung teuer sein wird.
Wo weiter mit Gas oder Öl geheizt werden muss, wird in Zukunft der CO2-Preis die Heizkosten in die Höhe treiben. Das wird den Druck auf Durchschnittsverdiener weiter erhöhen, die dann nur die Möglichkeit haben, auf weniger Wohnfläche auszuweichen. Vielleicht wird es dann noch mehr Anzeigen wie diese aktuelle aus Berlin geben: Da sucht eine Frau eine Mitbewohnerin für eine Ein-Zimmer-Wohnung mit 15 Quadratmetern. Kostenpunkt 120 Euro.