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Forschung gegen rechts

Sabine Damaschke2. Juli 2012

Die Mordserie an Migranten hat Deutschland erschüttert. Jetzt untersuchen Wissenschaftler aus Jena die Hintergründe des Rechtsextremismus in Ostdeutschland - in einem eigenen "Kompetenzzentrum".

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Eine Gruppe Skinheads während einer Demonstration (Foto: AP)
Symbolbild Rechtsextremismus Verbrechen SkinheadBild: AP

Neun Morde an Männern türkischer und griechischer Herkunft, zwei Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle gehen auf das Konto der rechtsextremen Terrorgruppe des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Erst nach sieben Jahren wurde das Terrortrio aus Jena gefasst. Jetzt untersuchen nicht nur die Behörden, sondern auch Wissenschaftler die Ursachen der Mordserie. Sie blicken dabei vor allem auf den Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Zum neuen "Kompetenzzentrum Rechtsextremismus", das im Juli an der Universität Jena startet, gehört Professor Klaus Dörre. Die Deutsche Welle hat mit ihm gesprochen.

Deutsche Welle: Herr Dörre, an fast jeder Universität wird zum Thema Extremismus geforscht. Was unterscheidet das neue Kompetenzzentrum Rechtsextremismus von anderen Forschungsstellen?

Klaus Dörre: Angesichts der Entwicklung, die wir jetzt hier in Jena erleben – Stichwort: Terror von Rechts – werden Fragen aus der Gesellschaft an die Wissenschaft gestellt. Wie konnten neun Morde innerhalb von zehn Jahren unentdeckt bleiben? Und da hatten wir die Idee, alles, was es bislang an Forschungen zu Rechtsextremismus von Theologen, Psychologen bis hin zu Politikwissenschaftlern und Soziologen gegeben hat, an einen Tisch zu bringen und sich wechselseitig zu informieren. Daraus können neue Forschungsansätze entstehen, die diese Fragen beantworten.

Das Bild zeigt Professor Klaus Dörre, der das neue 'Kompetenzzentrum Rechtsextremismus' der Universität Jena leiten wird (Foto: Universität Jena)
Professor Klaus DörreBild: Universität Jena

Wie beurteilen Sie die Rolle der Wissenschaft für die Aufklärung der rechtsextremen Mordserie? Hätten Forscher dazu beitragen können, die ganzen Ermittlungspannen rund um die Neonaziterrorgruppe um Beate Zschäpe aus Jena zu vermeiden?

Das würde ich so nicht sagen. Zwar gab es schon vor zwölf Jahren eine Reihe von Forschungen, die ziemlich alarmierend waren. Die Öffentlichkeit, aber auch die Politik hat aber nicht darauf gehört. Da ist eher die Frage: Wie kommt es, dass alarmierende wissenschaftliche Befunde tatsächlich nicht das Gehör der politischen Eliten gefunden haben?

Es ist kein Zufall, dass dieses neue Kompetenzzentrum ausgerechnet an der Universität Jena entsteht. Denn Sie wollen sich im Kompetenzzentrum besonders mit der Situation im Osten Deutschlands auseinandersetzen. Warum treten gerade hier die rechtsextremen Gruppen so in Erscheinung?

Erstens stellen wir fest, dass wir in vielen Bereichen ein überdurchschnittlich hohes Potenzial an Zustimmung zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Orientierungen haben. Umfragen, die Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit messen, finden im Osten Deutschlands überdurchschnittliche Zustimmungswerte. Zweitens stellen wir fest, dass die ostdeutsche Neonaziszene besonders militant ist. Wir haben unter den Rechtsextremen, die in Ostdeutschland sind, inzwischen 90 Prozent systemfeindliche Orientierung. Unter systemfeindlich verstehen wir in erster Linie die Bereitschaft, die Demokratie mit außerparlamentarischen Mitteln abschaffen und beseitigen zu wollen.

Wie sieht es an den Hochschulen aus? Sind die Studierenden auch bereit, sich auf rechtsextreme Ideologien einzulassen?

Das offene Auftreten von Rechtsextremen finden wir an der Hochschule selten. Doch wenn wir bestimmte Einstellungen im Alltagsbewusstsein der Studenten ansehen, dann stellen wir durchaus rechtspopulistische Orientierungen fest. Zum Beispiel, wenn es um das Thema Holocaust geht.

Außenansicht des Eingangsbereichs zum nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau mit der Inschrift 'Arbeit macht frei' über dem Tor (Foto: dpa)
Beim Thema Holocaust gibt es durchaus rechtspopulistische Einstellungen an den UnisBild: picture alliance/dpa

Für diesen Teil der deutschen Geschichte fühlen sich heutige Studierende rational und emotional nicht verantwortlich. Im Gegenteil. Sie betonen, dass sie nicht dauernd an dieser schrecklichen Vergangenheit gemessen werden wollen. Und schließlich wird der Holocaust sogar verharmlost. Ein weiteres Beispiel ist ein gewisser Alltagsrassimus. Sie werden auch in Universitätsstädten eine ganze Reihe von fremdenfeindlichen Orientierungen finden, die besonders für migrantische Studierende alles andere als harmlos sind. Das ist eine ganz eigene Problematik, für die man auch einen langen Atem braucht, um sie überhaupt zu bearbeiten.

Welche Impulse gehen von den Hochschulen und insbesondere von den Studenten im Kampf gegen den Rechtsextremismus aus?

Jena ist dafür bekannt, dass um das Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus, in dem sehr viele Studierende mitarbeiten, auch besondere Formen der Widerständigkeit gegen die extreme Rechte kreiert worden sind, etwa Blockade-Aktionen gegen rechtsextreme Festivitäten. In der Stadt hat es einen breiten Konsens gegeben, diese Veranstaltungen nach Möglichkeit zu verhindern. Das heißt, es wurden die Zufahrtswege blockiert, mit friedlichen Mitteln selbstverständlich. Und diese Form des zivilen Ungehorsams verbunden mit der Bereitschaft, auch persönlich etwas zu riskieren, das hat tatsächlich einen Impuls ausgelöst. Und der Impuls ist von Jena ausgegangen, etwa nach Dresden, wo man sich dann nach anfänglichem Zögern auch entschlossen hat, solche Blockade-Aktionen anzuwenden gegen die jährlichen Neonazi-Aufmärsche dort, mit ersten und, glaube ich, durchaus nachhaltigen Erfolgen.

Ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf einer Fahne (Foto: dpa)
Jena wehrt sich gegen NeonazisBild: picture-alliance/dpa

Was wird nun die erste Aufgabe sein, mit der Sie sich beschäftigen?

Es muss ein Plan entwickelt werden, der darauf zielt, die Fragen, die in der Gesellschaft wirklich existieren und die drängen – etwa bezogen auf das Terrornetzwerk -, tatsächlich möglichst schnell und mit empirisch abgesicherten Ergebnissen beantworten zu können.


Das Gespräch führte Sabine Damaschke.