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WM 2006: Chronologie einer Bewerbung

Christoph Matiss16. Oktober 2015

Hat sich der Deutsche Fußballbund - wie Informationen des "Spiegel" nahelegen - sein "Sommermärchen" erkauft? Die DW-Sportredaktion zeichnet den Weg der deutschen Bewerbung für die Fußball-WM 2006 nach.

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Logo WM 2006 Franz Beckenbauer
Bild: picture-alliance/Sven Simon

Die Geschichte über die Bewerbung Deutschlands zur Ausrichtung der Fußball-WM 2006 reicht inzwischen über 20 Jahre zurück. Wir haben einige Eckdaten seit 1992 zusammengefasst.

November 1992: Auf einer Präsidiumssitzung des DFB entsteht die Idee, für eine Bewerbung Deutschlands um die Ausrichtung der 18. Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006. Ab diesem Zeitpunkt werben der damalige DFB-Präsident Egidius Braun und der damalige DFB-Pressesprecher Wolfgang Niersbach intensiv um Unterstützung im eigenen Land und bei befreundeten Verbänden.

Dezember 1996: Franz Beckenbauer wird als WM-Botschafter gewonnen.

1998: Beckenbauer wird zum Chef des deutschen Bewerbungskomitees und überreicht FIFA-Präsident Sepp Blatter die offizielle Absichtserklärung zur Ausrichtung der WM.

6. Juli 2000: Bei der Turnier-Vergabe in Zürich erhält Deutschland im dritten Wahlgang mit minimalem Vorsprung von 12:11 Stimmen gegenüber Südafrika den Zuschlag zur Ausrichtung der Weltmeisterschaft. Eigentlich sieht es lange so aus, als würden die Afrikaner das Rennen machen. Doch kurz vor der Wahl des Exekutivkomitees schwenken einige Wähler, vor allem aus Asien, um.
Es wird bekannt, dass sich der neuseeländische Delegierte Charles Dempsey seiner Stimme enthalten hatte. Er war vom ozeanischen Verband eigentlich dazu aufgefordert worden, für Südafrika zu stimmen. In diesem Fall wäre es zu einem 12:12-Unentschieden gekommen und die Stimme von Präsident Blatter hätte den Ausschlag gegeben - für Südafrika.

Bildergalerie Joseph Blatter
FIFA-Präsident Blatter: "And the winner is... Deutschland"Bild: picture-alliance/dpa/M. Limina


Dempsey spricht in einem späteren Interview von "Druck durch einflussreiche europäische Interessensgruppen" als Grund für seine Stimmenthaltung. Er habe mit der Enthaltung außerdem dem Gemunkel seiner FIFA-Kollegen, Geld von Südafrika zu nehmen, entgegenwirken wollen. Der damals 78-jährige Dempsey stirbt im Jahre 2008 nach kurzer schwerer Krankheit.

3. Dezember 2010: Der frühere FIFA-Marketingchef Guido Tognoni erklärt im "Aktuellen Sportstudio" im ZDF, die Deutschen hätten dafür gesorgt, dass bei der Vergabe der WM 2006 ein Delegierter gefehlt habe. Nur so sei die knappe 12:11-Mehrheit gegenüber Südafrika zustandegekommen.

7. Februar 2011: Tognoni erläutert seine Andeutungen aus dem Dezember näher. Beim Sportbusiness-Kongress (SpoBiS) in Düsseldorf gibt er an, Deutschland habe die WM 2006 nicht zuletzt durch eine umstrittene politische Entscheidung erhalten. "Die Bundesregierung hat für das Gewinnen der Stimme eines saudi-arabischen Delegierten kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben", sagt Tognoni und bekräftigt: "Die Bundesregierung hat alles getan, um diese Stimme zu bekommen."

FIFA Guido Tognoni Ex-Mediendirektor
Ex-FIFA-Mitglied Tognoni: "Bundesregierung hat alles getan, um diese Stimme zu bekommen"Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Der damalige DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach verweist Tognonis Aussagen ins Reich der Fabeln: "Das ist völliger Humbug, völliger Blödsinn. Ansonsten gibt es keinen Kommentar dazu."

15. Juli 2012: FIFA-Präsident Sepp Blatter, selbst gerade wegen der Schmiergeldaffäre unter Druck, erklärt in einem Interview mit der Schweizer Boulevardzeitung "Blick" indirekt, Deutschland habe die Weltmeisterschaft durch Bestechung erhalten: "Gekaufte WM… Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv". Ob er vermute, dass die WM 2006 gekauft gewesen sei, hakt der Fragesteller nach. "Nein, ich vermute nichts. Ich stelle fest", sagt Blatter.

Franz Beckenbauer und Fedor Ratmann, bis 2003 Vizepräsident des Organisationskomitees, dementieren Blatters Andeutungen vehement.

4. Juni 2015: Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erklärt gegenüber der "Bild"-Zeitung, dass er die Vergabe der WM 2006 für sauber hält. "Deutschland hat eine in jeder Hinsicht hervorragende Bewerbung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 abgeliefert." Diese habe das Exekutivkomitee der FIFA beeindruckt und überzeugt. Schily hält es für ausgeschlossen, "dass von den für die Bewerbung verantwortlichen DFB-Vertretern versucht worden sein sollte, die Mitglieder des Exekutivkomitees durch unlautere Mittel zu beeinflussen".

6. Juni 2015: In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" fordert die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), eine Aufklärung der Gerüchte um die WM-Vergabe: "Nach den Vorkommnissen der letzten Tage muss allen klar sein, dass hinter jeder einzelnen Vergabe einer Fifa-WM Fragezeichen auftauchen."

Hans-Peter Friedrich Sportausschuss 02.09.2013
SPD-Politikerin Dagmar Freitag (r.) mit Innenminister Hans-Peter FriedrichBild: picture-alliance/dpa


In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den für Spitzensport zuständigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière verlangt Grünen-Politiker Özcan Mutlu eine Überprüfung der Bewerbung und die Veröffentlichung der Prüfungsberichte. "Bisher findet um die Vergabe der Fußball Weltmeisterschaft 2006 noch keine breite Diskussion statt. Umso größer sollte unser gemeinsames Interesse sein, zweifelsfrei deutlich zu machen, dass die Weltmeisterschaft 2006 ohne Korruption oder andere Vergünstigungen an Deutschland vergeben und ausgerichtet wurde“, sagte Mutlu.