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WM 2023: Marina Hegering - Achillesferse der DFB-Frauen

Tobias Oelmaier
2. August 2023

Ihre Krankenakte füllt ganze Bücherregale - und doch hat Marina Hegering nie aufgegeben. Bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland soll sie die Abwehr zusammenhalten und das deutsche Spiel ankurbeln.

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Spielszene Marina Hegering gegen Südkorea
Endlich fit für die WM und gleich in der Verantwortung: DFB-Abwehrchefin Marina Hegering (l.)Bild: Patrick Hoelscher/News Images/IMAGO

In der griechischen Mythologie galt Achilles als beinahe unverwundbar. Ein großer Held, Sohn des sterblichen Königs Peleus und der unsterblichen Göttin Thetis. Gestorben ist er aber doch - in der Schlacht um Troja, weil ihm sein Gegner Paris einen Giftpfeil in die Ferse schoss.

Genau dieses Körperteil hatte Thetis nämlich übersehen, als sie ihren Sohn in den Unterweltfluss Styx tauchte, um ihn auf diese Art und Weise unverwundbar zu machen. Das heißt, sie hat es nicht übersehen, sondern ihn am Fuß festgehalten, damit ihn die Fluten nicht davontrügen. So blieb die Stelle trocken und die Ferse des Achilles wurde zum Sinnbild für den Schwachpunkt eines Menschen.

Junioren-Weltmeisterin 2010

Die Achillesferse von Marina Hegering liegt etwas tiefer, nicht an der Sehne oberhalb des Knöchels, sondern eher an der Fußsohle, aber eben auch an der Ferse. Die deutsche Fußball-Nationalspielerin hat zwar - anders als Sagenheld Achilles - all ihre bisherigen Verletzungen überlebt, ihre Anfälligkeit aber hat Hegering wohl schon so manchen Lorbeer gekostet.

Marina Hegering, Alexandra Popp und Svenja Huth jubeln mit WM-Pokal nach der Siegerehrung der U20-WM 2010
Großer Erfolg: Schon 2010 spielte Marina Hegering gemeinsam mit Alexandra Popp und Svenja Huth (v.l.n.r.)Bild: Bjoern Hake/picture alliance

Dabei galt die junge Frau aus Nordrhein-Westfalen als Riesentalent: Bundesligadebüt mit nur 17 Jahren für den FCR 2001 Duisburg, Stammkraft in allen Juniorenauswahlmannschaften des DFB. 2010 war sie bei der U20-Weltmeisterschaft im eigenen Land Kapitänin und führte das Team gemeinsam mit Alexandra Popp und Dzenifer Marozsan zum Titel.

Drei Jahre Zwangspause

Dann aber wurde Hegering erstmals von Paris' Pfeil getroffen. Eine Fersenverletzung wurde immer schlimmer, die erforderliche Operation zog Komplikationen nach sich: "Nach mehreren Operationen gab es Wundheilungsstörungen, die sich nicht besserten“, erinnert sich Hegering. Drei Jahre vergingen, bis sie sie in der Lage war, überhaupt ein Comeback zu versuchen. "Dann kam eine Phase, wo ich mal ins Training rein bin, aber das hat auch nicht zu hundert Prozent funktioniert." Immer wieder Beschwerden, in den besseren Phasen einige Spiele für Bayer 04 Leverkusen, wohin sie zwischenzeitlich gewechselt war. "Aber das waren Eintagsfliegen", sagt sie. 

So stand auch ein Karriereende im Raum, dabei war Marina Hegering da erst Anfang, Mitte 20. Auch ihre Sportstudium, das sie zwischenzeitlich aufgenommen hatte, musste sie wegen den anhaltenden Problemen an ihrer Ferse wieder aufgeben. Stattdessen machte sie eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich, spielte Gitarre, Aber sie gab auch den Traum von der Sportkarriere nicht auf, kämpfte sich zurück, so richtig allerdings erst nach sechs langen Jahren Leidenszeit.

Spielszene Dänemark gegen Deutschland bei der EURO 2022, MArina Hegering liegt nach einem Foul an Pernille Harder am Boden
Kann auch mal härter einsteigen: Hegering (am Boden) foult bei der EM 2022 Dänemarks Star Pernille Harder (r.)Bild: Mark Pain/empics/picture alliance

Elf Tage vor ihrem 29. Geburtstag durfte Hegering dann endlich erstmals für die "richtige" Frauen-Nationalmannschaft auflaufen und machte sich bei den DFB-Frauen gleich unverzichtbar. Bei der WM in Frankreich 2019 absolvierte die zweikampfstarke Innenverteidigerin alle Spiele bis zum Ausscheiden im Viertelfinale, bei der EM 2022 in England war sie, inzwischen 32-jährig, erneut Abwehrchefin. Der Siegeszug des deutschen Teams endete erst im Endspiel gegen die Engländerinnen, Hegering wurde von der UEFA in die "Elf des Turniers" gewählt.

Wiederholt sich Geschichte?

Jetzt, bei der WM in Australien und Neuseeland, hat Marina Hegering die ersten beiden Partien verpasst. Paris hat wieder zugeschlagen, allerdings war es diesmal wohl nur ein Streifschuss, eine Fersenprellung. Wie sehr sich ihr Fehlen auf das deutsche Spiel auswirkt, konnte man besonders bei der Niederlage gegen Kolumbien feststellen. Da hätte es eine wie sie gebraucht: kopfballstark, durchsetzungsstark, konstruktiv im Aufbau und mit der nötigen Ruhe in kritischen Situationen. 

Vor allem, wo doch in Giulia Gwinn eine wichtige Außenverteidigerin das Turnier verpasst, wo Carolin Simon sich kurz vorher schwer verletzte, wo Felicitas Rauch sich das Knie geprellt hat, wo ihre kongeniale Partnerin in der Abwehrzentrale, Sara Doorsoun, mit einer Muskelverletzung früh raus musste.

Wie wäre das Duell mit den körperbetonten Kolumbianerinnen wohl ausgegangen, hätte "Maschina", wie Doorsoun sie wegen ihrer Fitness und Härte einst nannte, mitspielen können? Hätte Hegering den 2:1-Siegtreffer in der Nachspielzeit zugelassen?

Der Traum vom Titel zum Karriereabschluss

Im letzten Gruppenspiel am Donnerstag in Brisbane gegen Südkorea wird Hegering wieder mitwirken können - und wegen der vielen Ausfälle in der Abwehr auch gleich die Hauptverantwortung in der Defensive tragen. Ihre Rückkehr bedeute "ganz viel", sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. "Sobald Marina auf dem Trainingsplatz steht, ist das ein Mehrwert für jede Mannschaft." Und im Stadion dürfte sich dieser Mehrwert noch vervielfachen. 

Marina Hegering bejubelt den Pokalsieg 2023 mit ihrem VfL Wolfsburg gegen den SC Freiburg
Marina Hegering bejubelt den Pokalsieg 2023 mit ihrem VfL Wolfsburg gegen den SC FreiburgBild: Wunderl/Beautiful Sports/IMAGO

Klar ist: Nur mit einem Sieg gegen die Koreanerinnen kann das Achtelfinale sicher gebucht werden. Und dann ist alles möglich fürs deutsche Team, selbst der Titel. Davon hat Marina Hegering inzwischen einige gesammelt mit ihren Vereinen, auch wenn sie zu einigen gar nicht viel beitragen konnte wegen ihrer Verletzungshistorie. Aktuell steht sie beim VfL Wolfsburg unter Vertrag. Im kommenden Jahr soll Schluss sein mit der aktiven Karriere, das Turnier in Down Unter ist ihr letztes mit der Nationalelf.

Der WM-Titel aber wäre die Krönung einer über weite Strecken verhinderten Erfolgsgeschichte. Australien als Troja für Marina Hegering. Nur dass Achilles schon vorher ahnte, dass er in der Schlacht sterben würde. Er zog nur dorthin, weil er wollte, dass man ihn nie vergessen würde. Marina Hegering, und mit ihr eine ganze Fußball-Nation hofft einfach nur, dass sie kein weiterer Pfeil treffen möge und dass die Ferse hält.