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Das deutsche Eishockey-Wunder

Tobias Oelmaier
4. Juni 2021

Das deutsche Eishockey-Nationalteam steht im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Riga. Gegen die favorisierten Schweizer gelingt ein überraschender, haarscharfer Sieg. Jetzt soll sogar eine Medaille her.

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Eishockey | WM Viertelfinale | Schweiz - Deutschland
Bild: Oksana Dzadan/AP Photo/picture alliance

"Wir haben heute wieder Geschichte geschrieben. Jetzt wollen wir natürlich noch mehr", sagte Marcel Noebels freudetrunken nach seinem entscheidenden Penalty-Treffer zum 3:2 (0:1,1:1, 1:0) gegen die favorisierte Schweiz. Mit einer Körpertäuschung hatte er den Schweizer Schlussmann links aus dem Tor gelockt, den Puck dann nach rechts zurückgelegt, um ihn einhändig mit ganz langem Arm am Beinschoner vorbei ins Netz zu bugsieren.

Noebels hatte auf dem Eis von Riga die Nerven behalten, auch wenn ihm, wie er zugab, zuvor tausend Gedanken durch den Kopf gegangen waren. "Das hat in der Liga schon mal geklappt und ich bin davon ausgegangen, dass der Schweizer Torwart diesen Trick noch nicht kannte", erklärte der Profi der Berliner Eisbären seinen Coup, der für das DEB-Team den Einzug ins Halbfinale der Eishockey-Weltmeisterschaft bedeutete.

Eishockey | WM Viertelfinale | Schweiz - Deutschland
Einhändig ins Halbfinale - Marcel Noebels verwandelt seinen Penalty gegen den Schweizer Torwart Leonardo GenoniBild: Roman Koksarov/dpa/picture alliance

Dabei hätte eine Schulterverletzung, zugezogen beim 2:1-Sieg im letzten Gruppenspiel gegen die Gastgeber, seinen Einsatz im WM-Viertelfinale fast verhindert. "Ich bin eher pessimistisch", hatte Bundestrainer Toni Söderholm am Dienstag noch gesagt. Zwei Tage später wurde der "Spieler des Jahres" in der Deutschen Eishockeyliga DEL zum Matchwinner. Noebels ist mit seinen 29 Jahren einer der Routiniers im deutschen Team, bei der WM in Lettland ist er der zuverlässigste Scorer.

Gute Mischung

Doch es ist die Mischung, die den unerwarteten Erfolg ausmacht: Leon Gawanke etwa, Noebels' Berliner Vereinskollege, ist Anfang der Woche erst 22 geworden - und war verantwortlich dafür, dass das DEB-Team überhaupt in der Verlängerung gegen die Schweizer kam. 43 Sekunden vor Schluss markierte der Verteidiger den Ausgleich zum 2:2. Dabei hatte es Mitte des zweiten Drittels nach einem 0:2-Rückstand gar nicht mehr nach dem ersten WM-Halbfinale seit elf Jahren ausgesehen.

Mit Kampfgeist, Teamspirit und einem unbändigen Willen drehte die Mannschaft des finnischen Trainers Söderholm die Partie. Dabei ist der beste deutsche Eishockeyspieler, vielleicht sogar der derzeit beste der Welt, gar nicht dabei. Leon Drasaitl nahm die Strapazen der Reise einschließlich erforderlicher Corona-Quarantäne nach dem NHL-Aus seiner Edmonton Oilers gar nicht erst auf sich. 

Eishockey | WM Viertelfinale | Schweiz - Deutschland
Stratege im Hintergrund - Bundestrainer Toni Söderholm gibt Anweisungen, sein Team setzt sie hervorragend um.Bild: Roman Koksarov/dpa/picture alliance

Ohne Topstar Draisaitl

So avancierten andere zu Helden: Mathias Niederberger, der vorzügliche Goalie, der nacheinander die Stars aus Kanada, Finnland und den USA zur Verzweiflung brachte, auch wenn er Niederlagen gegen die Finnen und die USA nicht verhindern konnte. In der Abwehr geben Kapitän Moritz Müller, Top-Talent Moritz Seider und der torgefährliche Korbinian Holzer Stabilität, vorne zaubern die NHL-Profis Dominik Kahun, Tom Kühnhackl und Tobias Rieder - oder eben Marcel Noebels.

Kahun, Teamkollege von Draisaitl in Edmonton, hatte noch in der Nacht nach dem Ausscheiden im Stanley Cup seine Koffer gepackt, sich ins Flugzeug nach Riga gesetzt. Jetzt schwärmt er von der Stimmung in der DEB-Riege: "Diese Mannschaft ist unglaublich. Es ist genauso hier wie bei den Olympischen Spielen. Ich spüre denselben Geist in der Kabine wie damals", sagte der Olympia-Silbergewinner von 2018.

Nun geht es im Halbfinale am Samstag gegen Titelverteidiger Finnland. Eigentlich eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Aber diese WM hat gezeigt: Mit den Deutschen ist zu rechnen. Eine Medaille - es wäre die erste bei einer Eishockey-Weltmeisterschaft seit 1953. Geht es nach Verteidiger Moritz Seider, könnte der Traum jetzt Wirklichkeit werden: "Wir müssen uns nicht verstecken. Wir werden sicher immer eine Chance auf Medaillen haben in den nächsten Jahren. Ganz sicher."