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Packt das Fußballfieber auch die Vietnamesen in Australien?

Janek Speight in Sydney
26. Juli 2023

Das WM-Debüt Vietnams weckt auch in der vietnamesisch-stämmigen Bevölkerung Australiens Fußball-Begeisterung. Bei der Nachwuchsarbeit hofft man auf einen positiven WM-Effekt - besonders bei den Mädchen.

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Vu Tran trainiert junge vietnamesisch-australische Fußballer in Sydney
"Wir stehen am Anfang" - Vu Tran trainiert junge vietnamesisch-australische Fußballer in SydneyBild: Alima Hotakie/Janek Speight/DW

Abseits der legendären Strände von Bondi, des architektonisch faszinierenden Opernhauses und des Blickfangs Harbour Bridge liegen die Vorstadt Sydneys: breite Straßen, einstöckige Einfamilienhäuser mit großzügigen Hinterhöfen - und bei den Bewohnerinnen und Bewohnern ein ausgeprägter Sinn für Gemeinschaft. Viele Einwanderergruppen haben sich in den Vororten niedergelassen und Australien mit ihrer Kultur bereichert, wobei viele ihre Fußballbegeisterung mitbrachten.

Samstagmorgen im Südwesten der Stadt, auf den weiten Flächen von Hartley's Oval in Canley Vale: Etwa 100 Kinder spielen Fußball. Für die vietnamesisch-australische Gemeinschaft, die etwa 40.000 Mitglieder zählt, ist ein solcher Anblick noch eher ungewohnt. "Historisch gesehen hat hier die akademische Ausbildung Vorrang, weil wir ein Erbe haben, das aus unserer Heimat stammt: aus der Not in Vietnam. Die Eltern haben das Gefühl, dass der einzige Ausweg die Bildung ist", sagt Vu Tran. "Deshalb ist die Beteiligung vietnamesischer Kinder am Sport in Australien noch extrem niedrig. Ich versuche, dieses alte Denkmuster zu durchbrechen."

Vu Tran gründete Ende 2020 die Vietnamesisch-Australische Fußball-Akademie (VAFA) mit dem Ziel, mehr Kinder für den Sport zu begeistern und gleichzeitig ihre traditionellen Werte zu achten. Viele Vietnamesen kamen nach dem Vietnamkrieg, der 1975 endete, als Flüchtlinge nach Australien. "Es ist schwierig, weil Sport immer als Luxus angesehen wurde. Der einzige Weg aus der Armut führt über Bildung. Aber Sport zu treiben ist wichtig für einen ausgewogenen Lebensstil und ein wichtiger Teil der australischen Kultur", sagt Vu. "Wir säen für die Zukunft."

Zwei Kulturen gleichzeitig fördern

Es ist ein milder Wintertag, die Sonne strahlt. Eine leichte, kühle Brise weht verlockenden Bratwurst-Geruch über die Spielfelder, auf denen VAFA-Teams der unter Sechs-Jährigen bis zu jenen der unter 14-Jährigen gegen benachbarte Vereine antreten. "Vietnamesen sind den Australiern von der Mentalität her sehr ähnlich. Wir lieben unsere Barbecues, wir lieben unser Bier, wir haben uns sehr schnell angepasst", sagt Vu. "Alle diese Kinder sind hier geboren, sie sind Australier und unterstützen das Land gerne. Aber wir wollen auch, dass die Kinder stolz auf ihre Herkunft sind. Wenn also Vietnam bei der Weltmeisterschaft spielt, möchte ich, dass sie auch Vietnam unterstützen."

Junge Fußballer spielen im Hartley's Oval in Sydneys Vorort Canley Vale.
"Wir säen für die Zukunft": Junge Fußballer im Hartley's Oval in Sydneys Vorort Canley ValeBild: Alima Hotakie/Janek Speight/DW

Das ist jedoch nicht immer einfach. Wenn Vu für seine Akademie wirbt, verwendet er die vietnamesische Flagge eher zurückhaltend, weil vor allem Vertreter der älteren Generation unter den vietnamesischen Einwandererinnen und Einwandern sie mit dem kommunistischen Nachkriegsregime in der alten Heimat in Verbindung bringen. In der WM, bei der Australien Co-Gastgeber ist und an der Vietnam erstmals teilnimmt, sieht Vu die ideale Gelegenheit, die Kinder mit hochklassigem Fußball vertraut zu machen und sie für ihre beiden Kulturen zu begeistern: "Ich halte mich aus der Politik heraus. Ich  möchte nur sicherstellen, dass sich die Kinder ihrer Herkunft bewusst und stolz darauf sind. Diese Weltmeisterschaft ist eine Chance. Sie wird für eine Menge Begeisterung sorgen."

Stars von morgen?

Während der Vormittag vergeht, gibt es auf den Plätzen immer wieder bewegende Momente. Etwa wenn Carlyle, Kapitän der U10-Mannschaft, seine Mannschaft beruhigt, als gegnerische Spieler sie rassistisch beleidigen. Oder wenn der vier Jahre alte Theo, dessen übergroßes Trikot fast bis zu den Knien reicht, ein Tor schießt, hoch springt und wie Superstar Cristano Ronaldo mit einem "Siuuu"-Ruf jubelt.

Der vierjährige Fußballer Theo in einem Trikot, das ihm bis zu den Knien reicht.
Spielt ein vietnamesischer Australier wie Theo eines Tages für die Nationalmannschaft?Bild: Alima Hotakie/Janek Speight/DW

"Das ist die Zukunft", strahlt Vu. "Wenn wir sie dazu bringen können, mitzumachen, dann habe ich keinen Zweifel daran, dass wir in 20 Jahren oder sogar früher einen Jungen vietnamesischer Herkunft haben werden, der für Australien spielt. Und das ist wahrscheinlich gar nicht so weit weg, wie man denkt. Es gibt hier Kinder, die schon auf sehr hohem Niveau spielen."

Mädchen für Fußball gewinnen

Allerdings räumt der VAFA-Gründer ein, dass es in seinen Teams an Mädchen mangelt. "Sie fehlen uns im Augenblick noch. Aber der Hype um die WM wird sicher viel mehr Mädchen motivieren", glaubt Vu, der in den kommenden Monaten an den Schulen der Stadt vor allem Mädchen anwerben will. "Die WM wird ihnen vor Augen führen, dass Mädchen genauso gut Fußball spielen können wie Jungen. Das Potenzial ist enorm."

Emily engagiert sich ehrenamtlich für die VAFA. Ihre beiden Söhne spielen bereits dort. Sie setzt darauf, dass auch ihre beiden jüngeren Töchter die Chance bekommen, in Zukunft in einem reinen VAFA-Mädchenteam zu spielen. "Ich hoffe, dass die VAFA nach der WM ihre erste Mädchenmannschaft haben wird. Und ich würde mich freuen, dieses Team zu trainieren", sagt Emily. "Wir haben gesehen, dass die Matildas [die australische Nationalmannschaft der Frauen - Anm. d. Red.] vor ausverkauftem Haus spielen. Ich denke, dass sich nach dieser Weltmeisterschaft die Ansichten der [vietnamesisch-stämmigen] Eltern ändern werden."

WM-Schwung mitnehmen

Erfolg fördert die Popularität des Fußballs. Während WM-Debütant Vietnam wohl nicht in der Lage sein wird, diesen Erfolg bei der Endrunde zu liefern, haben die Matildas eine echte Chance, im Turnier weit zu kommen. "Wenn wir das Viertelfinale oder das Halbfinale erreichen, wird der Fußball so richtig durchstarten", sagt Vu. "Und ich werde versuchen, diesen Schwung in der vietnamesischen Gemeinschaft zu nutzten. Wir haben gerade erst angefangen."

Als er vor drei Jahren sein Projekt gründete, kamen zu den Spielen weniger als 20 Kinder. Inzwischen sind es mehr als 100. "Da ist noch viel Luft nach oben. Wie gesagt: Wir haben gerade erste angefangen."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.