Alte Römerschätze unter deutschen Kohlegruben
28. Juni 2023Das rheinische Braunkohlerevier im Westen Deutschlands beherbergt riesige Kohlegruben. Sie machten Anfang des Jahres weltweit Schlagzeilen, als Klimaaktivisten in der Ortschaft Lützerath für einen Abbaustopp demonstrierten. Während die Folgen der Kohleförderung auf das Klima in den Mittelpunkt des Interesses rückten, erhielten die antiken archäologischen Überreste, die beim Abbau fossiler Brennstoffe regelmäßig zu Tage gefördert werden, weniger Aufmerksamkeit.
Viele Funde stammen aus der Zeit, als sich die Römer am Rhein niederließen, nachdem Julius Cäsar die gallischen Kriege (58 bis 51 v. Chr.) geführt und die lokalen germanischen Stämme ausgerottet hatte. Die Stadt Köln ist, neben anderen Städten wie Trier und Aachen, ein Produkt dieser Besiedlung.
Römische Siedlungen im Rheinland
Neben Köln entstanden auch in den fruchtbaren Nachbargebieten mehrere römische Siedlungen. Alfred Schuler, Archäologe beim LVR-Amt für Bodendenkmalpflege in Titz bei Köln, erklärt, wie hier Getreide angebaut und an andere Städte wie Neuss oder Köln und an die Stationen der römischen Legionäre verkauft wurde - vor allem zur Versorgung der Stadtbevölkerung. "Das war praktisch die Kornkammer der Grenzen des Römischen Reichs, des römischen Lebens in unserer Region", sagt er. "Das ist der Grund, warum die römischen Gutshöfe relativ dicht beieinanderstanden und es hier in der Römerzeit kaum Wald gab. Fast alles wurde landwirtschaftlich genutzt."
Steinkohlebergbau und Archäologie
Heute ist die Region zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach, das sogenannte Rheinische Braunkohlerevier, eher für den Braunkohleabbau bekannt als für die alten Römer, die einst hier lebten.
Im Januar kamen Tausende von Klimaaktivisten, darunter die schwedische Gründerin von Fridays for Future, Greta Thunberg, in die Region, um den deutschen Energiekonzern RWE an der Ausweitung des Kohleabbaus unter dem Dorf Lützerath zu hindern.
Erst die Archäologen, dann die Bagger
Die Mammut-Bagger, die riesige Kohlegruben graben, zerstören nicht nur die heutigen Dörfer, sondern möglicherweise auch die unter ihnen liegenden Überreste alter Siedlungen. Um das kulturelle Erbe zu schützen, gründeten RWE, das Land Nordrhein-Westfalen und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) 1990 gemeinsam eine archäologische Stiftung.
Ihr Ziel sei es, archäologische Relikte freizulegen, sagt der LVR-Archäologe Robin Peters. Im Gespräch mit der DW erklärt er, wie die Experten dabei vorgehen: Zunächst werde entschieden, unter welchen Bereichen des Bergwerksgeländes wertvolle Artefakte verborgen sein könnten. "Wir versuchen, scheibchenweise Einblicke in den Boden zu gewinnen und versuchen zunächst, in diesem Bereich, unter dem Oberboden, Spuren zu entdecken", erklärt er. Solche Spuren könnten etwa Verfärbungen sein, die auf Holzbauten, Pfostenlöcher, Mauerreste oder auch Fundamentreste hinweisen.
Dann beginnen die archäologischen Ausgrabungen - und zwar bevor der eigentliche Kohleabbau loslegt. "Wir graben immer im Tagebauvorfeld, nicht im Tagebau selbst." Denn klar ist: Wo der Tagebau einmal begonnen hat, bleibt von Archäologie nichts mehr übrig.
Sensationsfunde in den Kohlegruben
Auf diese Weise stießen Experten kürzlich in Borschemich bei Köln auf das Grab einer römischen Priesterin - ein Sensationsfund!
Experten zufolge wurde der Körper der Priesterin im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. eingeäschert. Zuvor hatte man ihn in einen Stoff mit eingewebtem Gold gehüllt. Über dem Grab wurde ein hölzerner Tempel errichtet. Das Grab gilt heute als eine der ungewöhnlichsten Brandbestattungen in der römischen Provinz Niedergermanien, sagen die Archäologen.
Auch Schuler betont seine Einzigartigkeit: Die Menschen hätten damals ganz eigene Vorstellungen von den Göttern gehabt, zu denen sie beteten. "Sie übertrugen einfach ihre Vorstellung von Göttern auf diese römischen Figuren und beteten zu ihnen, obwohl sie eigentlich jemand ganz anderen verehren wollten", sagt er. "Die Römer waren da sehr offen und tolerant. Solange es nicht die offiziellen römischen Götter betraft - Jupiter, Juno und Minerva - konnte man beten, zu wem man wollte", fügt er hinzu.
Archäologen fanden auch einen Klappstuhl und eine Holztruhe mit Schildpattschnitzereien römischer und ägyptischer Götter. Auch der Grundriss einer römischen Villa wurde in Immerath entdeckt, nicht weit entfernt vom Fundort der Priesterin. Im Jahr 2020 stießen Archäologen auf einen antiken Brunnen im nahegelegenen Hambach. Klimaschützer kämpften hier bis zuletzt für den Erhalt eines alten Waldes. In der Mitte des Brunnens wurde eine Säule mit einer Jupiterskulptur entdeckt.
Inzwischen summiert sich die Zahl der Artefakte, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Kohlebergbauregion ausgegraben worden sind, auf mehrere Hundert. Es wird erwartet, dass noch viele weitere an die Oberfläche kommen.
Schuler und Peters von der LVR-Außenstelle sind stolz auf ihren neuesten Fund - eine kleine "Motte" aus dem Mittelalter. Das ist eine auf einem Erdhügel erbaute Burg. Zwar handelt es sich dabei nicht um ein altrömisches Relikt. Doch ebenso wie seine römischen Pendants, so Schuler, habe man das Artefakt dokumentiert, fotografiert, skizziert, vermessen und die dort gefundenen Objekte an das Museum übergeben. So wird es für die Nachwelt dauerhaft erhalten.
Adaption aus dem Englischen: Stefan Dege.