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Wo sind die Flüchtlingskinder?

Carsten Grün3. Februar 2016

Niemand kann sagen, wie hoch die Anzahl der vermissten minderjährigen Flüchtlinge in Europa ist und wo sie abgeblieben sind. Offensichtlich wird, dass bei der Registrierung Fehler gemacht wurden.

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Minderjährige Flüchtlinge vermisst in Europa
Bild: picture-alliance/dpa/H.P.Oczeret

Warum wurden alleinreisende Kinder und Jugendliche nach der Erfassung durch die Behörden nicht in Betreuungsmaßnahmen aufgenommen? Wie viele minderjährige Kinder genau werden vermisst? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage offenbaren sich große Defizite bei der Erfassung.

Europol und Bundeskriminalamt (BKA) präsentieren Zahlen, die eigentlich keine Gültigkeit haben, da sie sich täglich ändern. Zudem lässt die Art der Erhebung Zweifel aufkommen. Kinderschutz- und Flüchtlingsorganisationen sprechen von besorgniserregenden Zuständen, doch auf Fakten können auch sie sich nicht berufen. .

So geht BKA zum 1. Januar 2016 in Deutschland von 4.749 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt. 431 von ihnen waren demnach jünger als 13 Jahre und 4.287 zwischen 14 und 17 Jahren. Wie eine Sprecherin der Behörde gegenüber der Deutschen Welle einräumte, seien dies jedoch nur Momentaufnahmen. Die Zahlen änderten sich ständig. Manchmal um 200 bis 300 Fälle pro Tag.

"Wir wissen nicht, wo sie sind"

Sehr oft gebe es auch Mehrfachregistrierungen in unterschiedlichen Bundesländern. Vermisste tauchten nach kurzer Zeit wieder auf. "Wir können aber auch nicht ausschließen, dass ein Teil der zu Jahresbeginn verschwundenen minderjährigen Flüchtlinge in die Hände von Kriminellen gefallen ist", so die Sprecherin. Genaue Erkenntnisse habe das BKA dazu bislang nicht. Die gemeldeten Straftaten laufen dabei in den Polizeibehörden der Länder ein. Die Datenlage zu konkreten Verdachtsfällen scheint hier noch nicht aussagekräftig genug zu sein.

Der Stabschef der EU-Polizeibehörde Europol, Brian Donald, räumte gegenüber der britischen Zeitung "The Observer" ein, dass tausende minderjährige Flüchtlinge in europäischen Staaten registriert worden seinen, doch dann habe sich ihre Spur verloren. Donald warnte, einige könnten in die Hände von Kriminellen gelangt sein. Gleichzeitig schränkte der Polizeichef jedoch ein: "Nicht alle werden kriminell ausgenutzt, manche könnten inzwischen in der Obhut von Familienmitgliedern sein. Aber wir wissen einfach nicht, wo sie sind, was sie tun oder bei wem sie sind."

Hinweise auf Missbrauch

So habe Europol Beweise, dass manche Kinder und Jugendliche auf der Flucht sexuell missbraucht worden seien. Es habe sich eine kriminelle Infrastruktur gebildet, die vom Migrantenstrom profitiere, so Brian Donald. Schleuser würden vermehrt dazu übergehen, Flüchtlinge für Sexarbeit und Sklaverei auszunutzen. Dies sei allerdings ist nichts neues. Bei jeder Flüchtlingswelle in der Geschichte kam es zu Gewalt gegenüber Schwächeren. Aber auch hier existieren mehr Vermutungen als Fakten.

Minderjährige Flüchtlinge vermisst in Europa (Bild: picture-alliance/dpa/B.Wüstneck)
Unter dem Radar: Viele minderjährige Flüchtlinge tauchen nach der Registrierung unterBild: picture-alliance/dpa/B.Wüstneck

Klare Zahlen liefern die Kommunen. Nach Informationen der Jugendämter in Deutschland werden hierzulande zurzeit zirka 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. So hätten viele von ihnen von schlimmen Erfahrungen auf ihrer Flucht berichtet.

Allerdings räumen die Behörden hier ein, dass die Gesamtzahlen ungewiss sind und auch erst mal bleiben. Wie hoch die Anzahl derer ist, die ohne Registrierung am System vorbei allein zu Angehörigen oder anderen Personen unterwegs sind oder wie viele tatsächlich Opfer von Menschenhandel sind, kann nicht benannt werden.

Doppelerfassungen nicht ausgeschlossen

Die unsichere Datenlage macht auch Kinderhilfswerken die Arbeit schwer. So teilt das Kinderhilfswerk UNICEF in einer Stellungnahme mit: "Die von Europol genannte Zahl nehmen wir sehr ernst, können sie aber nicht verifizieren. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass es immer noch keine genauen Daten über Flüchtlingskinder gibt."

Nach Angaben von Unicef sind etwa ein Drittel der Flüchtlinge, die seit Sommer 2015 nach Deutschland gekommen sind, Kinder und Jugendliche. Diese Daten basierten auf unvollständigen Behördendaten. Durch Schwächen im Registrierungssystem fehle bis heute ein detaillierter Überblick. Auch das Alter der Flüchtlinge werde darin nicht erfasst." Das Kinderhilfswerk fordert, dass minderjährige Flüchtlinge in allen Transit- und Aufnahmeländern erfasst und ihre Situation laufend überwacht werde.

Dramatische Versäumnisse beim Schutz minderjähriger Flüchtlinge sieht der Deutsche Kinderschutzbund. Kriminelle nützten gezielt die Not der allein nach Europa fliehenden Kinder aus, sagte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers im Südwestrundfunk (SWR). Minderjährige Flüchtlinge seien nur wirksam vor Missbrauch geschützt, wenn sie in Obhut eines Jugendamtes genommen oder mit ihren Familien zusammengebracht würden.

cgn (dpa, AP, Observer)