Wohnen über dem Supermarkt
6. April 2018Bodentiefe Fenster, breite Gänge, begrüntes Dach mit Photovoltaikanlage - und das auf engstem Raum. In einem Stadtteil im hessischen Frankfurt will der Discounter Lidl sein Image aufbessern und zugleich dem Platzmangel in der Stadt begegnen. Die Enge in der Stadt lässt die Supermarktkette kreativ werden: Parkplätze werden unter der Filiale angelegt, eine Rolltreppe führt zu den Verkaufsflächen.
"Einzelhandel, wie wir ihn uns in dicht besiedelten Gebieten vorstellen", erklärte Alexander Thurn, zuständig für die Immobilien des Discounters Lidl. Bräuchten übliche Filialen mit vorgelagerten Parkplätzen eine Fläche von mindestens 6000 Quadratmetern, komme dieser spezielle Bautyp mit der Hälfte aus.
Fast zwei Millionen Wohnungen fehlen
Jeder Quadratmeter ist mittlerweile wertvoll. In den deutschen Großstädten fehlen nämlich rund 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Das zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Vor allem alleinstehende Menschen mit niedrigem Einkommen finden in den 77 Großstädten des Landes nur schwer eine Wohnung. Und fast die Hälfte der Einwohner großer Städte lebt in Singlehaushalten.
Darum ist Lidl nicht allein. Viele Einzelhändler denken um und finden neue Wege, um sich in das enge Stadtbild anzupassen. Das Modell von eingeschossigen Flachbauten mit üppigen Parkplätzen dürfte in Deutschland seltener werden. Lebensmittelhändler errichten zunehmend Filialen mit angeschlossenen Wohnungen, Arztpraxen und Büros. Der Discounter Norma hat im Obergeschoss einer Filiale im bayerischen Nürnberg sogar eine Kindertagesstätte errichtet, Wasserspielplatz auf dem Dach inklusive.
Den Städten entgegen kommen
Laut der Studie fehlen die meisten bezahlbaren Wohnungen für Menschen mit niedrigem Einkommen in Berlin. Auch Städte mit überdurchschnittlich hohen Mieten werden zum Problem, wie die bayerische Hauptstadt München. Genau dort plant der Discounter Aldi ebenfalls neue Filialen in Kombination mit Wohnungen. "Mit solchen Plänen kommen Händler den Anforderungen von Städten entgegen, die dringend Wohnraum brauchen", sagt Marco Atzberger vom Handelsinstitut EHI. "Handelsketten dürften mit gemischt genutzten Immobilien auch leichter Baugenehmigungen in Städten erhalten."
Der Trend zum Wohn-Supermarkt kommt den Händlern aber auch sonst sehr gelegen. In Metropolen seien Planungen für rein eingeschossige Supermärkte wegen der hohen Grundstückpreise "wirtschaftlich nicht realisierbar", erklärte das Unternehmen Rewe. Und so finden nicht nur Lebensmittelhändler Gefallen an der Idee. Auch der Möbelriese Ikea kündigte an, zunehmend in die Innenstädte ziehen zu wollen. Büros und Wohnungen auf dem Dach könne man sich dann auch gut vorstellen.
pgr/sti (dpa, epd)