Wolf Biermann besingt den Widerstand
9. November 2014Wiedervereinigung, 25 Jahre nach dem Mauerfall, das geht so: "Du bist ja auch da", ruft ein älterer Herr im Foyer des Berliner Ensembles. "Schön dich wiederzusehen", ist irgendwo zu hören. In jeder Ecke: überraschte Gesichter, verzücktes Augen-Aufreißen, Händeschütteln, Umarmungen. Für viele, die am Samstagabend, dem Vorabend zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls, in das Theater am Schiffbauerdamm gekommen sind, sind diese Stunden wie ein lang ersehntes Klassentreffen.
Zusammen haben sie die Bank der DDR-Opposition gedrückt. Doch nach ihrer Reifeprüfung, dem Mauerfall, gingen viele ihre eigenen Wege. Wolf Biermann und die Jazzer des Zentralquartetts waren damals ihre Lehrer. Sie tadelten nicht, sondern sie motivierten und stachelten an. Die wollen sie an diesem Abend wiedersehen. Beim Festkonzert zum 25-jährigen Mauerfall-Jubiläum.
Angela Merkel: "Einer der größten Liedermacher"
Wenige Minuten später steht der bald 78jährige Biermann auf der Bühne. In der ersten Reihe sieht er Kanzlerin Angela Merkel, den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, den Bundesbeauftragten der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn und dessen Vorgängerin Marianne Birthler. Gerade hat Merkel in einer kurzen Rede den Mauerfall als "Krönung der Zivilcourage" bezeichnet, sie hat das Zentralquartett als "intonierte demokratische Streitkultur" gelobt und Biermann als einen "der größten Liedermacher unserer Zeit" gebauchpinselt.
Aber im Grunde sagt sie nichts, was die Zuschauer nicht schon selber wissen. Und so bricht haltloser Jubel los, als Biermann auf die Bühne kommt. Anders als bei manch früheren Konzerten, sind ihm alle an diesem Abend feierlich ergeben. Biermann guckt schelmisch und sagt zur Eröffnung: "Mich freut, dass wir hier so zusammensitzen, die Obrigkeit und die Untrigkeit". Wir - das sind nicht nur Biermann und die Bürgerrechtler, das ist ein sehr gemischtes Publikum. Viele junge Leute sind gekommen und auch viele ehemalige Westdeutsche. Denn es ist ja so: In der Begeisterung für Biermann waren Ost- und Westdeutsche schon lange vor dem Mauerfall vereint.
Biermann singt Geschichten, aber vor allem Geschichte
Da sitzt also auch die West-Berlinerin Renate Limberg mit ihrer Freundin. Sie will mit Biermanns Musik den 9. November feiern. "Ich habe ja nie geglaubt, dass ich den Mauerfall erlebe". Den Auftritt Biermanns im Bundestag fanden zwar beide nicht so toll, aber das stecken sie weg. "Das ist schon sehr emotional heute", sagt Limbergs Begleiterin. "Biermann hat mich durch mein junges Erwachsenenleben begleitet".
Wie immer in seinen Konzerten singt der Liedermacher nicht nur, er plaudert auch messerscharf spottend aus seinen Erfahrungen im Widerstand. Doch an diesem Abend erzählt er nicht nur Geschichten, er erzählt Geschichte. Er begibt sich zurück zu seinen Anfängen in den Sechzigerjahren, als er dichtete: "Die großen Lügner, und was – na, was wir bleiben von denen? Von denen wird bleiben, dass wir kleinen Idioten, die Lebenden wie die Toten ach! daß wir ihnen geglaubt haben". Er singt das "Kleine Lied von den bleibenden Werten", und blickt zurück auf sein Arbeitsverbot, als er erst 30 Jahre alt war, und auf seine Ausbürgerung von 1976. Er spielt seine "Stasi-Ballade", deren Abschrift er später in seiner Stasi-Akte wiederfand und sagt: Da habe er ja "sozusagen das Original-Manuskript" gefunden. Biermann lacht. Dann grölt er seine "Ballade von den verdorbenen Geistern", mit der er 1989 mit den letzten DDR-Offiziellen Mielke, Krenz und Honecker abrechnete. Laut singt er und theatralisch. Seine Stimme hat nicht an Kraft verloren.
Marianne Birthler: "Mein Herz ist wie durchgewaschen"
Und das Zentralquartett, das hat seinen Spaß nicht verloren. Biermann geht ab, die vier Musiker des Freejazz-Ensembles legen los. Jung sind sie nicht mehr, auch sie sind in ihren Siebzigern, Saxofonist Petrowsky kommt gar mit Gehstock auf die Bühne, aber dafür mit schwarzer Lederweste. Und lederwestig cool, so spielen sie auch. Sie hauen und blasen in ihre Instrumente, als seien sie gerade der Musikhochschule entkommen. Nach dem Konzert müssen einige der früheren Bürgerrechtler ihre Gefühle wieder ordnen. Marianne Birthler, die viele Jahre die Stasi-Unterlagenbehörde anführte, kann kaum reden vor Rührung. "Grandios", sagt sie hingerissen. "Mein Herz ist wie durchgewaschen".
Die vielen ehemaligen Bürgerrechtler hier im Berliner Ensemble: Sie feiern den Biermann, die Freejazzer, den Mauerfall. Und: Vielleicht auch ein bisschen sich selbst? 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution erleben sie noch einmal die Genugtuung einst viel gelitten zu haben, aber am Ende die Gewinner der Geschichte zu sein. Ein rührender Abend.