Beltracchis Freiheit
19. August 2015Was für ein Mann, was für eine Geschichte. Wolfgang Beltracchi, langmähniger Kunsthippie, 63 Jahre alt. Ist er ein Malergenie, ein Betrüger oder gar ein "Robin Hood" der Kunst, wie sein Galerist Curtis Briggs ihn nennt? Die Fakten: 36 Jahre lang hat Beltracchi wohl an die 300 Gemälde im Stil großer Meister wie Picasso, Gauguin oder Monet geschaffen. Zu dumm nur, dass er die auch noch mit den Namen der Künstler signiert hat. Seine Frau Helene hat sie verkauft.
Eine Legende wurde geschaffen von einer Sammlung im Familienbesitz, die es nie gab. Als Beweis haben sie Fotos auf alt getrimmt. "Ich habe den Leim für die Sammlungsaufkleber selbst gemacht, aus Knochen, alles organisch, damit die Experten nichts merken", erzählt Beltracchi. So viel Chuzpe muss man erst mal haben. "Ich fand es immer aufregend, in einem großen Museum, auch im MoMa, eine Arbeit von mir zu sehen", sagt er mit einem Augenzwinkern. Etwa 250 seiner Bilder sind noch unentdeckt, verteilt über die Welt. Doch die, die es wissen, die jetzigen Besitzer, schweigen. Es geht ja auch um Millionen.
Beltracchi übertrifft die Meister
Kein "Reue-Strich" des Kopisten hat ihn verraten. Er war so gut, dass selbst die Witwe von Max Ernst gesagt hat, Beltracchi habe den schönsten Forêt gemalt, den ihr Mann je geschaffen hat. Auch die Experten hielten die Bilder für Originale und wahre Meisterwerke. Gestolpert ist Beltracchi über die "eigene Faulheit". Für ein Campendonk-Gemälde hat er Titanweiß benutzt, das es zur angeblichen Entstehungszeit gar nicht gab.
2011 wird er zu sechs Jahren Haft verurteilt, seine Frau zu vier Jahren. In der Untersuchungshaft in der JVA Köln Ossendorf fertigt er Porträts seiner Mitgefangenen, malt weiter wie besessen im offenen Vollzug und in der Freiheit. Am 08. Januar 2015 ist die Haft vorzeitig vorbei. Die neuen Werke sind ab dem 08. Mai in der Münchner Galerie art room9 zu sehen. "Freiheit" heißt die Schau. Wie passend.
Malertalent ohne Bescheidenheit
Er hat jetzt die Freiheit zu malen, wie er will, und das ist Crossover. Die Bilder sind immer noch eine Mischung aus Kandinsky und Campendonk. Er kann sie mit rechts malen oder mit links, je nach Pinselschwung des Vorbildes. Doch jetzt steht darauf: W. Beltracchi. Auf den an Max Ernst angelehnten "Raunächten" hat er einen Beuys'schen Hasen versteckt. Ein Schelm durch und durch. Er malt wie Dürer und wie Gauguin. Den "Tanz auf der Treppe", angelehnt an Fernand Légers Bild von 1913, mit Figuren wie bei Oskar Schlemmer, hat er in drei oder vier Tagen auf die Leinwand gebracht. Es gäbe keinen Künstler, den er nicht malen könne, solange er ihn nur gut studiere, sagt Beltracchi. "Aber Renaissancemaler sind schwieriger als moderne Kunst." Bescheiden ist er nicht. Galerist Curtis Briggs schwärmt gar: "Er kann sich so hineinversetzen in die Seele, in die Denkweise eines Künstlers."
24 Werke sind in der Galerie zu sehen. Schon vor der Eröffnung rufen Sammler aus aller Welt aufgeregt beim Galeristen an, sie wollen unbedingt einen echten Beltracchi. Das teuerste Werk kostet 78.000 Euro. Wolfgang Beltracchi gehört jetzt zum Establishment. Irgendwie. Denn es gibt genug Kritiker, die die Nase rümpfen über einen wie ihn, der gar kein Künstler sei, sondern ein Verbrecher. "Ich habe meine Strafe verbüßt. Wer jetzt kritisiert, will Rache. Oder es ist Neid," sagt Beltracchi. Eine Galeristin aus Bern wurde gar aus dem Verband der Galeristen verstoßen, weil sie im Dezember 2014 Beltracchi, damals noch in Haft, ausgestellt hatte. Immerhin hat sie in drei Wochen alle Werke verkauft, 650.000 Euro Umsatz.
Alles nur Kopie?
Für viele ist Beltracchis Stil nur Kopie. Oder nicht greifbar. Denn: Beltracchi hat keine eindeutige Handschrift, sogar die Signatur auf jedem seiner Bilder sieht anders aus und ist dem Werk angepasst. Beltracchi hasst die Langeweile. Monotonie, Berechenbarkeit, das verachtet er. "Es macht einfach keinen Spaß, immer dasselbe zu malen." Er will die Gemälde der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen.
Wolfgang Beltracchi hat jetzt die Aura des lässig coolen Popstars. Prominente stehen Schlange, um sich von ihm porträtieren zu lassen. Er hat mit seiner Frau zwei Bücher geschrieben und an Dokumentarfilmen mitgewirkt. Drehbuchautoren aus den USA schicken Manuskripte für Serien. Er arbeitet ununterbrochen in seinem Atelier im südfranzösischen Montpellier, wo das Licht besonders inspirierend ist. Beltracchi genießt den Ruhm nach den Jahren im "Untergrund". Jetzt kann er mit seinem früheren Leben kokettieren: "Es hat mir große Freude gemacht, im Hintergrund zu bleiben. Reich und Ruhe, das ist ganz toll, jetzt so fast arm und keine Ruhe, das ist nicht so gut." Bis 2017 müssen die Beltracchis 20 Millionen Euro an ihre Gläubiger abbezahlen, ein Insolvenzverwalter verrechnet die Einnahmen.
Der Markt lechzt nach Beltracchi
Die fließen reichlich. Es gibt eine höhere Nachfrage, als er Bilder malen kann, das treibt die Preise nach oben. Wenn es so weiter geht, ist Wolfgang Beltracchi unter eigenem Namen Teil des entfesselten Kunstmarktes mit seiner Gier. Die Kunst verkommt zum Anlageobjekt wie Aktien. Dabei hat Beltracchi den Kunstmarkt doch in ein "exorbitantes Chaos" gestürzt, wie Galerist Curtis Briggs es ausdrückt: "Wie bei der Weinprobe hat er die Labels runter gemacht von den teuren Flaschen und auch von den billigen Flaschen und nun muss der, der die Kunst sieht, entscheiden, ob das, was er sieht, ihm persönlich wertig ist oder nicht."
Bonnie und Clyde der Kunstwelt
Eigentlich schade, wenn Wolfgang und Helene Beltracchi in den Markt-Sog geraten. Irgendwie waren sie so ähnlich wie Bonnie und Clyde. Kriminell, aber sympathisch. Sie haben dem aus dem Ruder gelaufenen Kunstmarkt einen Spiegel vorgehalten.
Ob er so etwas wirklich, wirklich nie wieder tun würde, habe ihn ein britischer Journalist gefragt: "Ja, ich würde ganz sicher nie wieder Titanweiß verwenden. Das ist ein Scherz", hat Beltracchi geantwortet. Lacht. Und dann schlendert er mit seiner Frau Helene im Arm davon. Sie im knöchellangen Blumenkleid, mit Boots in Schlangenleder-Optik. Er mit einer lässigen Leinenjacke mit Lederbesatz. Den Wind in den Haaren.