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Diese 100 Künstlerinnen sollten Sie kennen

29. Juni 2020

Erst seit 100 Jahren dürfen Frauen an Kunstakademien studieren. Bis heute stehen sie im Schatten der Männer. Das Buch "I Love Women in Arts" will das ändern.

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Frauen am Bauhaus Gunta Stölzl und ihre Weberei-Klasse um 1927
Starke Frauen am Bauhaus: Gunta Stölzl (re oben mit Kravatte) und ihre Webklasse (Foto um 1927)Bild: picture-alliance/akg-images

Der Weg von Frauen in die Kunst ist von Hass und Häme gepflastert. "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib", dichtete der Maler Oskar Schlemmer, der ab 1920 am Bauhaus in Weimar als Meister tätig war. Bis in die zeitgenössische Kunst finden sich solche Bemerkungen, die nichts anderes zum Ziel hatten, als die Frau in ihrer künstlerischen Arbeit herabzusetzen.

Der Maler Georg Baselitz, ab 1977 Professor an der Kunstakademie in Karlsruhe, verkündete, dass Frauen in jedem Falle schlechter malen würden als Männer. Dass sich diese Vorurteile so lange gehalten haben, ist erschreckend. Zumal die Realität an den Kunstakademien seit einigen Jahren eine andere ist.

Standbild aus Hito Steyerls Werk "How Not to Be Seen"
Gehört zu den Top 100 der internationalen Künstler: Hito SteyerlBild: Hito Steyerl, Courtesy the artist and Andrew Kreps Gallery, New York

Frauen an Kunstakademien

Frauen stellen 60 Prozent der Kunstakademieabsolventinnen. "Es gibt also schon lange keinen zahlenmäßigen Grund mehr für ein Unverhältnis auf dem Kunstmarkt", so Bianca Kennedy und Janine Mackenroth. Die beiden Künstlerinnen haben die Zulassung von Frauen an Kunstakademien vor 100 Jahren zum Anlass genommen, 100 Kuratorinnen, Kunsthistorikerinnen, Museumsdirektorinnen und Kunstkritikerinnen einzuladen, eine Künstlerinin dem Buch "I Love Women in Arts" ihrer Wahl vorzustellen. "Wir haben im Kunststudium festgestellt, dass Frauen zu wenig in den Kunstbüchern zu finden sind. Es lag nicht daran, dass es sie nicht gab, aber sie sind durchs Raster gefallen oder wurden als Gattinnen nebenher genannt", erzählen die beiden Herausgeberinnen im DW-Interview.

150 Jahre Käthe Kollwitz
Käthe Kollwitz an ihrem 70. Geburtstag (8. Juli 1937) Bild: Käthe Kollwitz Museum Köln

Kunststudium nur mit männlicher Erlaubnis

Noch im 19. Jahrhundert bedeutete es für Frauen wie Käthe Kollwitz eine echte Herausforderung, sich zur professionellen Künstlerin ausbilden zu lassen. Ihr Vater förderte ihr Talent und schickte sie auf eine private Malschule in Königsberg.

Oftmals wurde an solchen privaten Einrichtungen allerdings kein angemessener Unterricht erteilt. Deshalb haftete Künstlerinnen bis in das 20. Jahrhundert hinein das verächtliche Etikett des "Malweibchens" an. Erst mit der gesetzlichen Gleichstellung von Mann und Frau im Jahre 1919 entstanden neue Möglichkeiten und bessere Chancen: Frauen wurden zum staatlichen Kunststudium zugelassen.

1919 öffnete sich das auch das renommierte Bauhaus in Weimar für Bewerberinnen, ab 1920 war dann eine Zulassung an den meisten deutschen Kunstakademien für Frauen möglich. Käthe Kollwitz war die erste Frau, die an der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen wurde.

Gabriele Münter, Anni Albers, Mary Bauermeister

Das Buch stellt bekannte, vergessene und noch zu entdeckende Künstlerinnen vor, ausgewählt von Frauen, die im Kunst- und Kulturbetrieb arbeiten. Eine der ausgewählten Künstlerinnen ist die Malerin Gabriele Münter, 1877 in Berlin geboren. Sie benötigte noch die Erlaubnis ihres Vaters, um eine Kunstschule in München zu absolvieren. Später gehörte sie der 1912 gegründeten Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter" an, zusammen mit den Künstlern Franz Marc, Wassiliy Kandinsky und August Macke.

Wassily Kandinsky und Gabriele Muenter stehen auf einem Balkon
Gabriele Münter und ihr Lebensgefährte Wassili Kandinsky in ParisBild: picture-alliance/Heritage Images

Dabei ist auch die Textilkünstlerin Anni Albers, verheiratet mit dem Bauhaus-Meister Josef Albers. Sie besuchte die Weberei-Klasse am Bauhaus, wie fast alle Kunststudentinnen in Weimar damals. Die anderen Kurse waren den Männern vorbehalten.

Das Buch "I Love Women in Arts" soll "die Sichtweise auf Kunst erweitern". Zu entdecken ist auch, welche Tricks nötig waren, um sich als Frau in der Kunst einen Platz zu erobern. Zwei dominikanische Nonnen webten im 15. Jahrhundert einen Gebetsteppich, in dem sie ihre Konterfeis in die Bordüre als Porträt mit einarbeiteten. "Das ist nicht nur für das Zeitalter ungewöhnlich, sondern auch für Frauen eines Ordens", so Mackenroth und Kennedy. Diese ungewöhnliche Webkunst ist das älteste Beispiel, das in dem Buch zu finden ist.

Kunst von Frauen sieht oftmals anders aus als die von Männern

Weibliche Themen oder Motive wie z.B. Geburt und Mutterschaft seien in der Kunst beinahe verpönt, so die Herausgeberinnen. "Stelle man sich vor, Männer würden gebären, die Kunstgeschichte wäre eine andere und der Kanon sicherlich um ein Thema reicher." Auch was den Ankauf der Museen angeht, stellen die Künstlerinnen eine Schieflage fest, nur 25 Prozent der Neuerwerbungen stammten von Frauen.

Die Auswahl beschränkte sich auf Künstlerinnen, die einen Bezug zu Deutschland haben. Der Leser lernt viele Künstlerinnen kennen, die unbekannt sind, obwohl sie die jüngere Kunstgeschichte - sogar international - mit geschrieben haben.

Mary Bauermeister mit Mütze zeigt auf ihre Glasarbeit
Mary Bauermeister und eines ihrer Kristall-KunstwerkeBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Mary Bauermeister, 1934 geboren, mietete beispielweise 1959 eine Dachgeschosswohnung in Köln, die zu einem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde wurde. Komponisten wie John Cage, David Tudor oder La Monte Young gaben dort auf Mary Bauermeisters Initiative hin ihre ersten Konzerte, Fluxus-Künstler wie Wolf Vostell, Nam June Paik und Christo performten oder stellten ihre Werke im "Atelier Bauermeister" aus.

Als Künstlerin startete Bauermeister erst in den USA ihre eigene Karriere und stellte in den 1960er Jahren in renommierten amerikanischen Museen und Galerien aus. 1972 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo ihr Werk lange Zeit weniger bekannt war. 1988 nahm sie an der Gruppenausstellung "Return to the Object: American and European Art from the Fifties and Sixties" im Guggenheim-Museum in New York teil. Seit einigen Jahren werden ihre eigenwilligen Arbeiten auch in Europa wieder neu entdeckt. 

Revolutionäre Künstlerinnen bis heute unterschätzt

Eine andere Entdeckung ist Chris Reinecke, geboren 1936. Auch ihr Name ist nur unter Eingeweihten der Kunstszene bekannt. Vielleicht weil ihre Kunst für eine Frau zu radikal und politisch war. 1964 lernte sie den neun Jahre jüngeren Maler Jörg Immendorff kennen, den sie kurze Zeit später heiratete. Gemeinsam gründeten sie 1968 die Lidl-Akademie in Düsseldorf und führten gemeinsame Aktionen durch.

Dazu gehörten auch Demonstrationen gegen Mietwucher, der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und ein spektakuläres Happening auf der Pressekonferenz der documenta 4 in Kassel, bei der Chris Reinecke den damaligen Leiter Arnold Bode küsste. In deutschen Museen sucht man Arbeiten von Chris Reinecke vergeblich, der Name ihres verstorbenen Ex-Mannes Jörg Immendorff jedoch ist weltweit ein Begriff.

Dieses Buch haben Mackenroth und Kennedy auf eigene Initiative und über Crowdfunding finanziert. Die vorgestellten, allesamt von Frauen des Kunst- und Kulturbetriebs ausgewählten Werke beweisen: Nicht männlich oder weiblich sind die entscheidenden Kategorien in der Kunst, sondern herausragend, gut oder schlecht.

Der Artikel wurde am 29.06.2020 aktualisiert. 

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion