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Wundermittel duale Ausbildung?

Arne Lichtenberg13. Juli 2012

Jeder zweite junge Spanier hat keinen Job. Die Arbeitslosigkeit rangiert auf einem Rekordhoch. Neidisch schauen die Iberer nach Deutschland, wo die duale Ausbildung als Erfolgsmodell gilt.

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Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und der spanische Bildungsminister Jose Ignacio Wert Ortega besichtigen am Donnerstag (12.07.2012) das Daimler Ausbildungszentrum in Esslingen und schauen sich einen Motor an. Die Ausbildungkonferenz soll spanischen Jugendlichen Aussbildungs- und Berufschancen eröffnen. Schavan will mehr Jugendliche aus Spanien auf den deutschen Arbeitsmarkt locken. Foto: Franziska Kraufmann dpa/lsw +++(c) dpa - Bildfunk+++
Annette Schavan und Wert Ortega Deutsch-Spanische AusbildungskonferenzBild: picture-alliance/dpa

Die meisten jungen Spanier sind desillusioniert. Jobs gibt es nicht. Ihr Land liegt wirtschaftlich am Boden. Und wenn sie dann doch mal eine Stelle ergattern, dann ist es meist nur eine befristete Anstellung mit lausigem Gehalt. Sie hangeln sich von Praktikum zu Praktikum oder arbeiten schwarz, ohne Perspektive. Als generación cero, also Generation Null oder verlorene Generation werden sie schon beschrieben. Nicht verwunderlich, dass sich die Proteste auf den Straßen in letzter Zeit häuften. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Regierung und deren Sparmaßnahmen.

Vielen gilt Deutschland als das gelobte Land. Nur 7,9 Prozent der unter 25-Jährigen ist hierzulande arbeitslos. Es ist der niedrigste Wert in ganz Europa. Die Deutschkurse zwischen Malaga und Bilbao sind deshalb so beliebt wie nie zuvor. Viele Spanier spielen mit dem Gedanken auszuwandern, denn in Deutschland werden Fachkräfte rar. Die Wirtschaft läuft gut, aber gleichzeitig sinkt die Zahl der jungen Berufstätigen. Die deutschen Betriebe brauchen händeringend qualifizierte Mitarbeiter. In der Hoffnung auf einen festen Job machen sich deshalb viele Südeuropäer auf den Weg nach Deutschland.

Studentproteste in Madrid (Foto: reuters)
In Spanien sind viele junge Menschen frustiert und perspektivlosBild: Reuters

Für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausbildenDoch was läuft in  Deutschland so viel besser, dass die jungen Arbeitnehmer hier in einer so großen Zahl in einer festen Beschäftigung stehen? "Das hat sehr viel mit unserem dualen Ausbildungssystem zu tun", sagt Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit. "Die berufliche Bildung ist bei uns ganz eng gekoppelt mit dem, was der Markt braucht und was an Bildungsangeboten vorhanden ist." Wer zum Beispiel in Großbritannien Heizungsinstallateur werden wolle, der lerne dies an Schulen oder Colleges. "Hier besteht aber immer die Gefahr, dass man systematisch am Markt vorbei ausbildet." Und auch Ekkehard Ernst, Ökonom der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bestätigt, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien nicht nur mit der schlechten wirtschaftlichen Situation des Landes zusammenhängt. "Es hat auch schon vor der Krise Schwierigkeiten gegeben für junge Leute einen Job zu finden", sagt Ernst. So lag die Jugendarbeitslosigkeit auch schon vor 2008 bei über 30 Prozent. "Die Jugendlichen dort werden nach der Schule oft alleine gelassen. Es gibt keinen institutionalisierten Übergang von der Schule in den Beruf."

Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit (Foto: IZA)
Hilmar Schneider ist skeptisch, ob das duale System in Spanien funktioniertBild: Hilmar Schneider

In Deutschland ist die Berufsausbildung hingegen fest in einen Betrieb integriert. Der Lehrling arbeitet über mehrere Jahre aktiv im Unternehmen mit, eignet sich praktische Fertigkeiten an und kann auch von seinem Arbeitgeber täglich eingeschätzt werden: Wo liegen die Stärken des Auszubildenden, wo ist das Entwicklungspotential für die Zukunft? Die Berufschule ist ebenfalls fester Bestandteil der Ausbildung. Entweder findet sie an einzelnen Tagen in der Woche oder als Blockunterricht mehrere Wochen hintereinander statt. Danach geht es für den Lehrling sofort wieder ins Unternehmen. Durch den Schwerpunkt der Ausbildung im Betrieb wachsen die jungen Leute frühzeitig in das Arbeitsleben hinein. Der Übergang in das Arbeits- und Erwerbsleben wird hierdurch erheblich erleichtert.

Exakte Übertragung nach Spanien kaum möglichDas Modell wird in vielen anderen europäischen Ländern als Allheilmittel gegen die Jugendarbeitslosigkeit gepriesen. Nicht umsonst veranstalteten die Bundesbildungsministerin Annette Schavan und ihr spanischer Amtskollege José Ignacio Wert Ortega am Donnerstag (12.07.12) eine Deutsch-Spanische Ausbildungskonferenz in Stuttgart. Ein Ergebnis dieser Konferenz ist, dass deutsche und spanische Unternehmen beim Aufbau einer am dualen System orientierten Ausbildung in Spanien eng zusammenarbeiten sollen. Zwar sieht auch Hilmar Schneider die duale Ausbildung als eine gute Möglichkeit, die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien zu bekämpfen, aber er bleibt skeptisch: "Das jetzt einfach in Spanien einzuführen, wird vermutlich nicht funktionieren, weil es erst einmal mit Kosten verbunden ist".

Denn zuallererst müssten die Betriebe für die Ausbildung Geld dazuzahlen, der Ertrag ergebe sich dann erst später, wenn die Lehrlinge voll qualifiziert seien und komplett in das Unternehmen einsteigen könnten, sagt Schneider. Das duale System brauche auch Zeit, um in der Gesellschaft anzukommen. "Wenn sie das aber von heute auf morgen einführen wollen, dann werden sich viele Unternehmen fragen, warum soll ich denn jetzt hier so viel Geld investieren, wenn ich gar nicht weiß, wofür ich das bekomme?" Daher bestehe die Gefahr, dass viele Betriebe auf eine Ausbildung komplett verzichten würden, meint Schneider. Wenn alle so denken würden, könne das System nicht funktionieren. Auch in Deutschland habe es lange gedauert bis sich das System durchgesetzt habe. Mittlerweile wird es in Deutschland als wichtiger Dienst an der Gesellschaft angesehen, wenn Betriebe jungen Menschen eine Ausbildungsmöglichkeit anbieten.

Fit machen für die Zukunft

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und der spanische Bildungsminister Jose Ignacio Wert Ortega (Foto: dpa)
Schrauben und feilen: Annette Schavan (li.) zeigt ihrem spanischen Kollegen Wert Ortega, wie es gehtBild: picture-alliance/dpa
Ernst Ekkehard, Arbeitsmarktexperte bei der ILO. (Foto: ILO)
Ernst Ekkehard: "Die Jugendlichen werden allein gelassen"Bild: DW/A. Lichtenberg

Ob das deutsche Ausbildungssystem aber noch überhaupt zu den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes passt, bezweifelt Hilmar Schneider. Er beobachte eine Entwicklung des dualen Ausbildungssystems hin zu einer verstärkt akademischen Ausbildung. So würden Unternehmen ihre Auszubildende für ein paar Monate an Hochschulen schicken, wo sie sich ein paar wissenschaftliche Fertigkeiten erwerben könnten, um dann wieder in die Firma zurückzukehren. "Das ist für mich eine moderne duale Ausbildung, die aber immer noch sehr stark an den betrieblichen Bedarf ausgerichtet ist", betont der Arbeitsmarktexperte.

Eine Vorlesung in einem Hörsaal (Foto: dpa)
Die Zukunft der dualen Ausbildung ist verstärkt akademischBild: picture alliance/dpa

Die klassische duale Ausbildung sei eher im Bereich Handwerk oder Industriewesen anzusiedeln, sagt Schneider. Mittlerweile würde aber der Dienstleistungssektor den Großteil des Arbeitsmarktes ausmachen. "Da ist man mit der traditionellen dualen Ausbildung wahrscheinlich an die Grenzen gekommen", analysiert Schneider. Aus diesem Grund sei die Verknüpfung von betrieblicher Ausbildung mit einer akademischen Weiterbildung der richtige Weg für die Zukunft.