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Wurde Nawalny mit Nowitschok vergiftet?

24. August 2020

Wahrscheinlich wurde Alexej Nawalny durch einen Wirkstoff aus der Klasse der Cholinesterase-Hemmer vergiftet, sagen Ärzte an der Berliner Charité. Auch Nowitschok gehört zu diesen Substanzen.

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Symbolbild giftig
Bild: Colourbox

Das Ärzte-Team, dass den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny behandelt, berichtet, dass diesem vermutlich ein Nervengift verabreicht wurde.  Es soll sich um eine noch unbekannte Substanz aus der Klasse der Cholinesterase-Hemmer  handeln.

Der Fall hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Anschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal in Salisbury vor zwei Jahren. 

Damals kam das Nervengift Nowitschok zum Einsatz. Nowitschok löst eine Protein-Kettenreaktion aus, die unbehandelt schnell zum Tod führen kann. Es blockiert, genau wie jetzt am Patienten Nawalny beobachtet, die Produktion des Enzyms Cholinesterase.

Was passiert bei der Vergiftung im Nervensystem?

Im Stoffwechsel ist die Cholinesterase wichtig für den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin.  Dieser Botenstoff spielt eine Rolle etwa beim Aufwachen oder der Aufmerksamkeit. Wird Acetylcholin nicht mehr abgebaut, führt das dazu, dass das Nervensystem ungehemmt mit Reizen bombardiert wird. Die Signalwege werden völlig überlastet und spielen verrückt.

Symbolbild Gehirn Nervenzellen Synapsen
Der Neurotransmitter Acetylcholin überlastet die Synapsen der Nerven. Die Folge: Krämpfe bis zum Atemstillstand. Bild: psdesign1/Fotolia.com

Die Nerveninformationen prasseln dann auf Körpergewebe, Muskeln und Organe ein. Es kommt zu einem verstärkten Speichelfluss und zu Atemproblemen, weil der Patient seine Atemmuskulatur nicht mehr selbst kontrollieren kann. Lähmungen und Krämpfe können zum Tode führen, wenn die Vergiftung zu lange anhält.

Wie können Ärzte gegen die Vergiftung vorgehen?

Zunächst müssen die Mediziner verhindern, dass der Patient durch die Muskelverkrampfungen der Atemmuskulatur erstickt. Daher wurde Nawalny auch sofort künstlich beatmet (intubiert).

Als Gegengift verabreichen Mediziner daraufhin das Mittel Atropin, ein Alkaloid, das auch in Tollkirschen vorkommt. Atropin besetzt die Muskarinischen Acetylcholinrezeptoren der Zellen und schwächt damit die Wirkung des Acetylcholin-Bombardements ab.  Die Behandlung muss so lange fortgesetzt werden bis die Cholinesterase wieder wirken kann. Deshalb verabreichen Ärzte in dem Fall auch noch einen weiteren Wirkstoff namens Pralidoxim , um die Cholinesterasteproduktion wieder anzukurbeln.

Wo kommen Cholinesterase-Hemmer noch als Gift vor?

Auch verschiedene Schlangengifte, Insektizide sowie die Kampfstoffe Sarin und VX  gehören zu dem Cholinesterase-Hemmern. Auch bei Vergiftungen mit diesen Substanzen nutzen Mediziner Atropin und Pralidoxim bei der Behandlung.

Wofür werden Cholinesterase-Hemmer in der Medizin verwendet? 

Als Medikamente finden sehr viel schwächere Cholinesterase-Hemmer Verwendung bei der Behandlung von Alzheimer und Myasthenia gravis, einer neurologisch bedingten Muskelschwäche bei der die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel gestört ist. In diesem Fall ist die verstärkte Produktion des Neurotransmitters Acetylcholin erwünscht.

Mehr dazu: Salisbury: Was wir ein Jahr nach dem Giftanschlag wissen

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen