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Der Fall Tröglitz

Volker Wagener10. März 2015

Oft wird von "Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen" geredet, doch in der ostdeutschen Provinz machen Einheimische und Neonazis Front gegen Fremde. Der Rücktritt eines Bürgermeisters belebt eine alte Debatte.

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Markus Nierth
Bild: picture-alliance/L. Schulze

Vor wenigen Tagen kamen in der Ruhrgebietsstadt Essen Vertreter aller Ausländerbehörden Nordrhein-Westfalens zusammen. Ihr Anliegen: Aus den eher defensiven Ausländerbehörden Willkommensbehörden zu machen. Dahinter steht die politische Vorgabe, Deutschland im Wettbewerb um gut ausgebildete Facharbeiter nun aktiv als Einwanderungsland zu positionieren. Die Bertelsmann-Stiftung hatte Anfang März den Deutschen in einer groß angelegten Studie bescheinigt, reif für diesen Schritt zu sein. Und nun reden alle über Tröglitz.

Weil 40 Flüchtlinge demnächst in dem Dorf in Sachsen-Anhalt betreut werden sollen, hat sich Widerstand artikuliert. Daran beteiligen sich auffällig viele Neonazis, vor allem auswärtige. Weil Markus Nierth, der Bürgermeister, der das Flüchtlingsprojekt aktiv unterstützt, sich und seine Familie nicht mehr ausreichend geschützt sah, hat er kurzerhand sein Mandat niedergelegt. Seit dem ist die Causa Tröglitz mehr als ein Lokal-Politikum.

Ein Mann zieht die Reißleine

Markus Nierth hat sieben Kinder. Als ihm mitgeteilt wurde, dass ein Demonstrationszug gegen die Aufnahme der 40 Flüchtlinge direkt vor sein Haus ziehen sollte, hat er als Familienvater reagiert. Er wollte nicht mehr Bürgermeister sein in Tröglitz. Denn seinen Kindern wollte er die Drohkulisse direkt vor den eigenen Fenstern ersparen. Vor allem wegen der Neonazis, die unter den Demonstranten seit Wochen den Ton angeben.

Der Fall aus der sachsen-anhaltinischen Provinz beschäftigt nun die Landespolitik und lockt Medien aus ganz Deutschland in das 2800-Seelen-Dorf. Nierth, seit mehr als fünf Jahren im Amt, legt Wert darauf, nicht aus Angst vor den Rechtsextremen kapituliert zu haben. Sein Zorn richtet sich gegen den Landkreis, dessen zuständige Behörde es nicht geschafft habe, den Demonstrationszug von seinem Privathaus fernzuhalten. Er sehe sich und seine Familie als Zielscheibe und vermisse Schutz. Dass eine Minderheit einer Mehrheit im Dorf ihren Willen aufzwinge, findet der parteilose Nierth einfach empörend.

Ein Haus für Flüchtlinge

Der Fall Tröglitz löst nun erneut eine Diskussion über die Grenzen der grundgesetzlich geschützten Demonstrationsfreiheit aus. Es könne nicht sein, dass Demonstranten Entscheidungsträger zum Rücktritt zwängen, äußerte sich Holger Stahlknecht, der Landesinnenminister (CDU).

Ausgangspunkt der emotionalen Lokalgeschichte ist ein frisch saniertes Haus, welches zur Vermietung angeboten wird. Das Haus an der Hauptstraße steht leer – seit Jahren - und das, so die Absicht des Bürgermeisters, sollte sich ändern. Markus Nierth wollte darin Flüchtlinge unterbringen. Beschlossen ist das noch nicht, aber die Gerüchteküche wabert schon seit geraumer Zeit. Angeblich, so wird in dem Dorf kolportiert, sollen in das gelbe Haus nur Männer einziehen. Was bei einigen Dorfbewohnern Angst schüre, berichtet eine Tröglitzerin. Dennoch hat der Kreistag den Einzug der Flüchtlinge in das Haus an der Hauptstraße beschlossen.

Wutbürger und Neonazis beim Sonntagsspaziergang

Der Aufstand der sogenannten Wutbürger gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern scheint einem bestimmten Muster zu folgen. Stets sind es die Rechtsextremen, die als erste das Thema besetzen und mit harmlos klingenden "Sonntagsspaziergängen" Unmut gegen Fremde einsammeln und auf die Straße bringen. Seit Wochen marschieren sie jeden Sonntag durch das Dorf – erst 120, zuletzt nur noch etwa 60. Ein Thema für die Menschen vor Ort, findet David Begrich, ein Rechtsextremismus-Experte. Man könne nicht alles den Behörden und der Landespolitik überlassen, sagt er gegenüber der Deutschen Welle (DW). Es gehe darum, Zusammenleben vor Ort zu gestalten.

Symbolbild Rechtsextremismus (Foto: Kahnert/dpa)
Nicht die Mehrheit, aber oft mit martialischem Auftritt: NeonazisBild: picture-alliance/dpa

Für Jürgen Leindecker vom Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalts, ist der Fall Tröglitz ein schlechtes Zeichen für die Demokratie in Deutschland. Hier werde Kommunalpolitik als praktische Bürgerbewegung von einer Minderheit verächtlich gemacht, berichtet er gegenüber der DW. Und Tröglitz ist kein Einzelfall. Auch in Gera heizt sich das Thema auf und in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, in Magdeburg, steht der Oberbürgermeister nach Morddrohungen inzwischen unter Polizeischutz.