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Politik

"Verhaftete Journalisten sind politische Geiseln"

Hülya Topcu
2. Mai 2017

Der regierungskritische türkische Journalist Ahmet Şık ist seit vier Monaten in Haft. Seine Verhaftung sende eine Botschaft an die Gesellschaft, sagt seine Frau Yonca Şık: Sie soll schweigen und sich unter Druck fühlen.

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Türkei Proteste am Verhandlungstag des Journalisten Ahmet Şık vor dem Gericht in Istanbul
April 2017: Am Tag der Verhandlung protestierten seine Unterstützer vor dem Gericht in IstanbulBild: DW/A. E. Duran

Der bekannte türkische Investigativ-Journalist Ahmet Şık sitzt seit vier Monaten in Haft. 2011 verbrachte er bereits 13 Monate im Gefängnis. Im vergangenen Dezember wurde Ahmet Şık erneut festgenommen und wartet seitdem auf seinen Prozess, der im Juli stattfinden soll. Dieses Mal wird ihm vorgeworfen, Propaganda für die bewaffnete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK), die linksgerichtete Organisation "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)" und die Gülen-Bewegung gemacht zu haben.

DW: Frau Şık, wie bewerten Sie die Anklage und Vorwürfe gegen Ihren Ehemann?

Yonca Şık: Ahmet wurde mit dem Vorwurf "Propaganda für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Propaganda für die Sekte des in den USA lebenden Fethullah Gülen" verhaftet. In der Anklageschrift wurde aber der Vorwurf der Propaganda für die Gülen-Sekte nicht mehr aufgenommen - dafür stand dann die linksradikale Organisation DHKP-C drin. Alle wissen, dass Ahmet mit diesen Organisationen nichts zu tun hat und dass er als Journalist sein ganzes Berufsleben nur hinter der Wahrheit her war.

Diese Vorwürfe sind für niemanden überzeugend. Alle wissen, dass er ein scharfer Kritiker der Gülen-Sekte ist. Er wurde 2011 aufgrund seines unveröffentlichten Buchmanuskriptes, in dem er darüber schrieb, wie die Gülen-Sekte sich im Staat organisierte, in Untersuchungshaft gehalten. Damals wurde er wegen der "Mitgliedschaft in der bewaffneten Terror-Organisation Ergenekon" festgehalten. Der Vorwurf "Propaganda für die Gülen-Bewegung" ist so absurd, dass sie (der türkische Staat - Anmerk. der Red.) damit nicht einmal ihre eigenen Anhänger überzeugen können. Daher steht es wohl nicht mehr in der Anklageschrift.

Wie wird der Prozess ablaufen?

Die mangelnde Unabhängigkeit der türkischen Justiz, so wie auch die Lage der Medienfreiheit in der Türkei, ist allen bekannt. Der Diensteifer der Justiz und der AKP-nahen Journalisten richtet sich gegen die Verfolgung und Unterdrückung von Journalisten. Die große Zahl laufender Verfahren gegen Medienvertreter sowie die Anzahl inhaftierter Journalisten in der Türkei, machen die Sache deutlich. Momentan sind 147 Journalisten in Haft. 

Von einem Rechtsstaat Türkei ist nicht mehr die Rede. Daher haben diese Verhaftungen keine juristische Grundlage. Es sind politische Geiseln. Die Verhaftung eines angesehenen Journalisten - wie die von Ahmet - hat natürlich eine politische Bedeutung. Ahmet steht als Symbolfigur in diesem Land für die richtige und wahre Ausübung seines Berufes. Durch Ahmet und viele verhaftete Oppositionelle will man die Gesellschaft, aber hauptsächlich den Journalismus, unter Druck setzen und zum Schweigen bringen.

Türkei, verhafteter Journalist Ahmet Şık & Yonca Şık
Yonca und Ahmet Şık dürfen sich seit vier Monaten nur einmal die Woche sehen - hinter einer GlasscheibeBild: privat

Wie ist der Zustand von Ihrem Ehemann Ahmet Şık im Gefängnis?

Im Vergleich zu 2011, als er das erste Mal verhaftet wurde, sind die Umstände viel härter. Ahmet ist in einem Hochsicherheitsgefängnis in Silivri. Mit zwei weiteren Gefangenen teilt er sich eine Zelle.

Isolation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist eine Methode, die dauerhafte physische und auch psychische Schäden verursacht. Ahmet darf nur einmal in der Woche eine Stunde lang seine Familie hinter einer Glasscheibe sehen und am Telefon sprechen. Auch seinen Anwalt darf er nur eine Stunde in der Woche sehen. Das Gespräch wird mit einer Kamera aufgenommen. Ein Wächter sitzt dabei, damit kein Dokumentenaustausch möglich ist. Dokumente, die sein Anwalt mit ihm austauschen will, müssen erst von der Gefängnisleitung kontrolliert werden. Er darf keine Briefe abschicken und keine Briefe bekommen.

Erhalten Sie Drohungen?

Bevor Ahmet verhaftet wurde, hat er Drohungen bekommen. Ich habe bis jetzt direkt keine bekommen, aber ich sehe so etwas ab und zu in den sozialen Medien.

Haben Sie schon überlegt, die Türkei zu verlassen?

Viele Freunde schlagen uns das immer wieder vor, aber wir haben so etwas bis jetzt nicht geplant.

Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen in der Türkei? Besonders seit dem Putschversuch im Juli 2016.

Wir sehen uns zunehmend mit einem Autoritarismus konfrontiert. Offenbar wird es für uns kurzfristig auch nicht einfacher.

Mit Bleistift für Pressefreiheit

Wie sehen Sie die Zukunft der Türkei?

Das Leben der Menschen, die für eine wahre Demokratisierung der Türkei stehen, war in der Türkei nie einfach. Unsere Geschichte fängt mit den früheren Generationen an und dem Kampf für die Freiheit, für Menschenrechte, für Frauen, für die Kurden, für eine Vergangenheitsbewältigung. Und dieser Kampf wird von Generation zur Generation weitergegeben. Trotz des unfairen Wahlkampfs zum Referendum, der Habgier und des Betrugs hat Erdogan nur mit wenigen Prozent mehr gewonnen. Wir schweigen nicht bei Ungerechtigkeiten. Schließlich haben wir Recht. Wir sind die Hoffnung und wir sollten alle an uns selbst glauben.

 

Yonca Şık ist die Ehefrau des inhaftierten Journalisten Ahmet Şık. Sie arbeitet bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. 

Das Interview führte Hülya Topcu.