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"Young at heart"

Suzanne Cords10. August 2014

Sie haben die 70 schon überschritten, doch an Ruhestand denken sie nicht. Ob Rockstars wie Mick Jagger, Chansonniers wie Charles Aznavour oder Schlagerbarden wie Udo Jürgens: Sie alle können ohne Bühnenluft nicht leben.

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Rockstar Mick Jagger, Chansonnier Charles Aznavour und Schlagersänger Udo Jürgens (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an", dichtete einst Österreichs berühmter Musikexport Udo Jürgens, der im September 80 Jahre alt wird. Unter dem Motto "Mitten im Leben" geht er im Herbst auf Tournee - mit alten Hits und neuen Liedern im Gepäck. "Ich glaube, mir sind da ein paar ganz ungewöhnliche Songs gelungen, die sich mit aktuellen Themen befassen. Das Programm wird unter anderem die wichtigsten Höhepunkte meiner Bühnentätigkeit Revue passieren lassen", schreibt er auf seiner Homepage - von Aufhören ist da nicht die Rede.

Warum auch - der Entertainer fühlt sich fit, und seine alten und neuen Fans liegen ihm immer noch zu Füßen. Ähnlich sieht das Orchesterleiter James Last, der mit seinen Konzerten einst große Hallen von London über Moskau bis Tokio zum Kochen brachte: "Richtige Musiker hören nicht auf, das geht doch gar nicht. Mit 60 fällt mir nichts mehr ein, und dann bin ich weg oder wie? Nee, geht nicht", sagte er kürzlich. Und deswegen hat der 85-Jährige auch schon seine nächste Tournee angekündigt: "Non Stop Music - James Last - in concert 2015".

Gelernte Selbstdarstellung

"Musikstars haben Schwierigkeiten, Abschied vom Rampenlicht zu nehmen und ein Leben in der Normalität zu führen", sagt die Kölner Diplompsychologin Simone Schieß. "Sie haben ja nichts anderes gelernt als Selbstdarstellung." Udo Dahmen, künstlerischer Direktor der Popakademie Baden-Württemberg und Vize-Präsident des Deutschen Musikrates, sieht noch ein anderes Motiv als ausschlaggebend an: "Musiker ergreifen ihren Beruf nicht wegen Geld und Ruhm, sondern aus Liebe zur Musik - und die hört ja nicht plötzlich auf, weil man ein gewisses Alter erreicht hat", meint der Professor.

Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Baden-Württemberg (Foto: picture-alliance/dpa)
Udo Dahmen vom Deutschen Musikrat ist selbst MusikerBild: picture-alliance/dpa

Wenn man dann noch von den Massen umjubelt wird, umso besser: Die Rolling Stones zum Beispiel feierten 2012 bereits ihr 50-jähriges Bandjubiläum. Zurzeit sind sie "on fire", so der Name der aktuellen Tour. Frontmann Mick Jagger ist im Juli 71 geworden und verkündete in seiner britischen Heimat: "Ich weiß nicht, wann ich aufhören werde. Momentan läuft es noch gut."

Die Stones sind längst Kult; da macht es auch nichts, dass sie kaum noch etwas Neues auf die Bühne bringen. Stattdessen spiegelt sich in ihren Gesichtern Falte für Falte ein ganzes Zeitalter Musikgeschichte wider. "Wir leben in der Postmoderne, und da wirft man gern einen Blick zurück in die Anfänge der populären Kunst. Insofern muss man den Musikern zugestehen, eine Retrospektive ihres Schaffens auf die Bühne zu bringen", so Udo Dahmen. Schließlich wolle das Publikum die Kultsongs seiner Idole hören - und diese Erwartungshaltung werde perfekt bedient.

Rolling Stones Konzert in Berlin am 10.6.2014 (Foto: Reuters)
Zu Stones-Konzerten kommen mittlerweile mehrere GenerationenBild: Reuters

"Stirb endlich, Opa! Ich denk mir dann halt: Fuck you."

Deep-Purple-Sänger Ian Gillan, der mit "Smoke on the Water" Rockgeschichte schrieb, wird erst 2015 70. Und trotzdem: "Wir wurden schon Altrocker, Rockrentner und Dinosaurier genannt", sagte er dem Magazin Cicero. "Ich verstehe natürlich, wenn Jüngere sagen: Geh zur Seite, Opa! Stirb endlich! Ich denk mir dann halt: Fuck you." Nicht mehr auf der Bühne zu stehen - für Gillan undenkbar. "Die Interaktion mit dem Publikum und mit den anderen Musikern, das ist pure Magie. Ich möchte diese Gefühle nicht missen."

Und doch hat sich etwas geändert. Aus den ehemals jugendliche Rebellen, die mit Allüren und Drogenexzessen in die Schlagzeilen gerieten, sind oftmals brave Familienväter oder Großväter mit gesundem Lebenswandel geworden. Sie gehen jetzt früh ins Bett und drücken eher Orangen für einen Saft aus, als einen Joint zu rauchen.

Abschied vom Abschied

Wie oft haben Musiker von den Scorpions bis hin zu Joe Cocker schon eine Abschiedstournee angekündigt - und wie oft gab es den Abschied vom Abschied, meint Udo Dahmen: "Es kurbelt natürlich den Ticketverkauf an, wenn man zum vermeintlich letzten Konzert eines Superstars geht. Man will live dabei sein, wenn eine musikalische Epoche zu Ende geht."

Die ehemalige Woodstock-Legende Joe Cocker (Foto: picture-alliance/dpa)
Die ehemalige Woodstock-Legende Joe CockerBild: picture-alliance/dpa

Denn auch an Musikern gehen die Alterszipperlein nicht spurlos vorüber. Der 72-jährige Ex-Beatle Paul McCartney musste im Frühling aus gesundheitlichen Gründen seine Japantournee absagen. Mittlerweile ist die britische Musiklegende wieder fit, die Tour wird im Herbst nachgeholt. Frankreichs Chanson-Legende Charles Aznavour, der im Mai seinen 90 Geburtstag auf der Bühne feierte, meint augenzwinkernd, in seinem Alter lasse er es einfach etwas langsamer angehen - und gebe nur noch 30 statt 250 Konzerte im Jahr.

Bühnenluft gegen Rückenschmerzen

Der Rückzug aus dem Rampenlicht sei definitiv schlecht für die Gesundheit, verkündete kürzlich die griechische Sängerin Nana Mouskouri. Vor sechs Jahren hatte sie offiziell ihren Abschied gegeben, jetzt feierte sie mit 79 Jahren am Fuße der Akropolis in Athen ihr Comeback. Ohne Bühne habe sie sich hoffnungslos und depressiv gefühlt, sagte sie einer griechischen Zeitung."Ich war ständig beim Arzt. Mein Körper tat weh, mein Rücken schmerzte."

Die griechische Sängerin Nana Mouskouri (Foto: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images)
Seit ihrem Comeback blüht Nana Mouskouri aufBild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images

Bühnenluft macht offenbar süchtig und hält fit. "Ein Leben ohne Musik", so Udo Dahmen, "ist für Künstler schlicht und einfach viel zu schnell langweilig."