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"Das kann man nicht rechtfertigen"

Naomi Conrad, Berlin 23. Juli 2014

Täglich werden tausende junge Mädchen und Babys genitalverstümmelt. Die Folgen sind verheerend: Infektionen, Inkontinenz, Traumata. Auch in Europa sind rund 180.000 Kinder gefährdet.

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Ein Mädchen guckt unter einer Decke hervor (Foto: EPA/Pierre Holtz)
Bild: picture alliance/dpa

Ihre Mutter habe sie gewarnt, sagt Zahra Naleie. Immer wieder. "Wenn du diese Arbeit machst, dann werden sie in dir eine Feindin sehen", sagte ihre Mutter. Doch das war Zahra egal: Damals, in den frühen 1990ern, hatte sie sich entschlossen gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Europa zu kämpfen - und sich damit gegen "die Tradition, die Religion und die Gebräuche" zu stellen. So sah es ihre Mutter daheim in Somalia. Ihre Tochter, die gerade einen Master in den Niederlanden abgeschlossen hatte, sollte lieber ihren europäischen Abschluss für etwas Sinnvolleres nutzen, befand sie.

Zahra hörte nicht auf ihre Mutter: Sinnvoll sei der Kampf gegen die Genitalverstümmelung, auch unter der englischen Abkürzung FGM (Female Genital Mutiliation) bekannt, allemal. "Ich habe ihr damals gesagt: Das kommt von Herzen und deshalb werde ich weitermachen!"

Was ist FGM?

Bei der Genitalverstümmelung werden Teile der Klitoris und oft auch die Schamlippen entfernt. Oft wird die Wunde so eng zusammengenäht, dass nur noch eine winzige Öffnung bleib, aus der Urin und während der Menstruation Blut fließen kann. Die Folgen können verheerend sein: Infektionen, Inkontinenz, chronische Schmerzen und Trauma. Viele Mädchen und Babys verbluten während der Prozedur, die in vielen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens verbreitet ist. Aber auch bei bestimmten Migrantengruppen in Europa wird FGM durchgeführt. Etwa in den Niederlanden, wo Zahra nach dem Abschluss ihres Masters blieb, als in ihrem Heimatland Somalia der Krieg ausbracht.

Die Durchführung von FGM wird durch eine Reihe von Argumenten untermauert: gesundheitliche und hygienische Vorteile werden angeführt, ebenso religiöse und traditionelle Gründe. Oft wird dieses Ritual als ein Ritual betrachtet, das den Status und die Heiratsfähigkeit eines Mädchens innerhalb seiner Community gewährleistet.

Drohungen für Aktivisten

Ihre Arbeit sei anfangs schwierig gewesen: Sie erzählt von Drohungen und Anfeindungen von Menschen, für die FGM ein integraler Teil ihrer Kultur war. Von Frauen, die selbst verstümmelt wurden und trotzdem ihren Töchtern die gleichen Schmerzen zufügen wollten, aus Angst, dass ihre Töchter sonst keine Ehemänner finden könnten. "Sie wollen ihre Kinder nicht misshandeln, sondern ihnen eine Zukunft ermöglichen." Denn oft gelten unbeschnittene Frauen als unrein.

Zahra Naleie ist gerade in Berlin, um sich mit anderen Aktivistinnen aus Schweden, Großbritannien und Deutschland auszutauschen. Es hat sich viel getan, da sind sich die Frauen einig: Während es vor einigen Jahren noch eine schier unmögliche Aufgabe war, Männer und Frauen überhaupt an einen Tisch zu bekommen, um das Thema zu diskutieren, haben heute einige Gruppen, aus Eritrea und Äthiopien etwa, die Verstümmelung fast ganz aufgegeben. Der Erfolg ist auf einen "integralen Ansatz" zurückzuführen, sagt Zahra. Sie arbeiten mit religiösen Anführern, Lehrern und auch Ärzten zusammen. Gleichzeitig ist FGM, das von der UN als schwere Menschenrechtsverletztung eingestuft ist, in vielen Ländern verboten. In Deutschland steht auf FGM eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren.

Aufklärungsplakat in Uganda über Weibliche Genitalverstümmelung (Foto: imago)
Auch in vielen afrikanischen Ländern ist FGM verbotenBild: imago

Doch trotz aller Anstrengungen, werden weiterhin Mädchen und Babys verstümmelt: In Europa sind 180.000 Mädchen gefährdet Opfer von FGM zu werden, das geht aus einer Studie hervor, die das Europäische Parlament 2009 veröffentlicht hat und die bis heute gültig ist. 500.000 Mädchen sollen demnach in ganz Europa schon beschnitten worden sein.

Die Zahlen beruhen auf Schätzungen: Niemand weiß, wie viele Mädchen während der Ferien verstümmelt wurden oder es in der Zukunft vielleicht werden. Vor ein paar Monaten sei eine Mutter mit ihrer fünfjährigen Tochter zu ihr in die Klinik gekommen, erzählt Cornelia Strunz vom "Zentrum für Opfer von Genitalverstümmelung" am Berliner Krankenhaus Waldfriede. Dort können sich Opfer von FGM einer rekonstruktiven Operation unterziehen, bei der ihre Klitoris wiederhergestellt wird. Die Frau befürchtete, dass ihre Tochter, die die Sommerferien mit ihrem Vater in Somalia verbracht hatte, beschnitten worden war. "Das konnten wir glücklicherweise ausschließen." Die Oberärztin schaut erleichtert. Sie behandelt drei bis vier Patientinnen jeden Monat, fast alle seien in einem afrikanischen Land beschnitten worden. "Aber ich weiß, dass auch Beschneiderinnen nach Deutschland eingeflogen werden, um hier Kinder zu verstümmeln." Allerdings würde das keine Mutter zugeben.

Tag des Protests gegen Genitalverstümmelung

"Das ist ein weiter Weg"

Strunz öffnet eine Tür. In dem Zimmer sitzt eine zierliche Frau auf einem weißen Krankhausbett, auf dem Nachttisch stehen Blumen. Die Frau, die anonym bleiben möchte, hat sich gerade von Strunz operieren lassen. Es gehe ihr gut. "Sehr gut", fügt sie dann hinzu. Sie kann sich nicht an den Tag erinnern, als ihre Eltern mit ihr ins Krankhaus gingen, um sie beschneiden zu lassen. Sie war noch ein Baby, als "das getan wurde." Das Wort Verstümmelung benutzt sie nicht. Das liege daran, dass das Thema so lange ein Tabu in ihrer Familie war: "Man redet nicht darüber." Vielleicht, weil letztlich die Familie in Erklärungsnot komme. "So viele Mädchen sterben dabei, das muss man erstmals rechtfertigen können." Letztlich aber, sagt sie, gebe es keine Rechtfertigung für die Beschneidung. Denn Beschneidung werde durchgeführt, um sexuelle Gefühle zu unterdrücken und Frauen dadurch "anständig zu machen".

Heute aber habe es auch ein Umdenken in ihrer Familie gegeben. "Die meisten sagen, dass sie das mit ihren Töchtern nicht tun würden." Auch ihre Mutter habe schließlich ihre Meinung geändert, erzählt Zahra stolz. Dabei sei sie damals so vehement gegen die Arbeit ihrer Tochter gewesen. Zahra lächelt. Irgendwann, da ist sie sich sicher, wird die Genitalverstümmelung besiegt: "Wir werden gewinnen."