Zehn herbstliche Buchempfehlungen
21. Oktober 2015Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne
Das Buch erschien erstmals vor 10 Jahren und wurde jetzt vom Verlag in einer schön gestalteten Neuausgabe wieder aufgelegt. Capus begibt sich auf die Suche nach der legendären Schatzinsel, die Robert Louis Stevenson 1883 weltberühmt machte. Lag diese Insel gar nicht, wie alle immer vermuteten, in der Karibik? Der Autor begibt sich auf Spurensuche. Alex Capus ist ein wunderbares, leicht lesbares Buch über die Literatur und das Leben geglückt, an dem alle literarischen Schatzsucher ihre Freude haben dürften. (Hanser, ISBN 9783446248991)
Eve Harris: Die Hochzeit der Chani Kaufman
Tiefe Einblicke in das Leben der orthodoxen Juden in London gewährt dieser schöne Roman der jungen Eve Harris, deren Debüt vor zwei Jahren auf der Longlist des "Man Booker Prize" stand. Chani und Baruch sollen nach den Regeln des strengen jüdisch-orthodoxen Heiratsmarktes ein Paar werden. Doch die beiden kennen sich praktisch nicht. Das macht Probleme. Daneben stellt Harris ein älteres Paar, das schon verheiratet ist. Ein Buch über die Zwänge des Glaubens, aber auch über die Möglichkeit, sich aus diesen zu befreien. (Diogenes, aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt, ISBN 9783257300208)
Sigismund Krzyżanowski: Der Club der Buchstabenmörder
Eine der überraschendsten und skurrilsten Ausgrabungen in diesem Herbst. Der 1887 in Kiew geborene Autor ist hierzulande ein großer Unbekannter. Sein in den 1920er Jahren geschriebener, aber erst nach seinem Tod veröffentlichter Roman bietet ein Sammelsurium verschiedenster literarischer Gattungen auf engem Raum. In der Geheimgesellschaft der Buchstabenmörder erzählt man sich jeden Samstag eine Geschichte: Shakespeare-Dramen, Schauermärchen, Science-Fiction-Erzählungen und anderes: Alles zusammen ergibt eine eigentümliche Mischung. Ein frühes literarisches Beispiel für das Zusammentreffen von Tradition und Avantgarde. (Dörlemann, aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg, ISBN 9783038209195)
Verena Lueken: Alles zählt
Unter den vielen Romanen und autobiografischen Texten über schwere Krankheiten und den Umgang damit ist dieses Buch eines der eindrucksvollsten. Die FAZ-Journalistin Verena Lueken beschreibt mit einfachen wie eindrücklichen Worten und Sätzen, was es heißt, vom Krebs befallen zu sein. Doch die Autorin schafft es, den Leser damit nicht nur in trübselige Stimmung zu versetzen. Im Gegenteil: Immer wieder bricht sie aus dem Kreislauf von Krankheit und Verzweiflung aus und gelangt zu neuen Ufern. In einem der schönsten Kapitel schreibt Lueken von einer Begegnung mit einem Arzt in Myanmar. (Kiepenheuer & Witsch, ISBN 9783462047974)
Gustav Meyrink: Der Golem
Genau vor 100 Jahren kam dieser Roman erstmals in Buchform heraus. Nun hat ihn der Verlag "Hoffmann und Campe" anlässlich der Erstausgabe in einer sehr schön gestalteten Neuausgabe wieder zugänglich gemacht. Meyrinks zwischen Horror und Esoterik oszillierender Roman ist ein Meisterstück des Genres. Er erinnert an die großen deutschen Horrorfilme des Expressionismus aus den 1920er Jahren. Doch geschrieben ist er in einem impressionistisch geprägten Stil. So entsteht eine eigentümliche literarische Mischung. Das fasziniert auch nach einem Jahrhundert noch. (Hoffmann & Campe, ISBN 9783455405330)
Christoph Poschenrieder: Mauersegler
Ein Thema der Stunde ist das Alter. Im Kino hat es sich in den letzten Monaten neben all den Filmen für Kinder und Jugendliche kräftig zu Wort gemeldet. In der Literatur ist es nicht ganz so neu. Doch Christoph Poschenrieders vierter Roman "Mauersegler" bietet einen entspannenden Umgang mit dem Thema. Fünf alte, zumeist gutbetuchte Herren mieten sich eine Villa am Starnberger See und gründen eine ganz besondere Art von Wohngemeinschaft. Überraschend ist das Buch vor allem, weil das Thema Sterbehilfe hier so leicht daherkommt. Schweres Thema - leichte Lektüre. (Diogenes, ISBN 9783257862713)
Jean Prévost: Das Salz in der Wunde
Auch das ist ein Roman, der schon viele Jahre auf dem Buckel hat, nun aber erstmals in deutscher Sprache vorliegt. Deutsche Verlage machen in jüngster Zeit erstaunliche Entdeckungen. Jean Prévost, der für die Resistance kämpfte und 1944 umkam, hat hier ein Buch vorgelegt, das vom Stadt-Land-Konflikt französischer Prägung erzählt. Paris und die Provinz - bei unseren Nachbarn ist das bis heute ein gewaltiger Gegensatz, in Deutschland in dieser Intensität kaum nachvollziehbar. In "Das Salz in der Wunde" schickt Prévost seinen Helden Dieudonné aus der Stadt in die Provinz und wieder zurück: eine Bildungsreise ganz besonderer Art. (Manesse, aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky, ISBN 9783717523383)
Irene Ruttmann: Adèle
Im vergangenen Jahr wurde lange und ausführlich an den Beginn des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Dazu erschienen viele Romane und Erzählungen zum Thema. Irene Ruttmanns schmaler Prosatext hätte gut in diesen Kontext gepasst. Doch es ist von Vorteil, dass manche Bücher erst später herauskommen. So vermeiden sie es, unterzugehen im Meer der Bücher. Ruttmann erzählt uns von einer deutsch-französischen Liebe in Zeiten des Krieges. Feinsinnig und ungemein zart, traurig und sehr ergreifend. (Zsolnay, ISBN 9783552057388)
Alain Sulzer: Postskriptum
Der Schweizer Autor, der uns schon so wunderbare Romane wie "Zur falschen Zeit" (2010) geschenkt hat, stellt uns in seinem neuen Buch Lionel Kupfer vor, einen Filmstar der '20er und frühen '30er Jahre. Kupfer, der Jude ist, sieht sich im nationalsozialistischen Deutschland zunehmend isoliert. Sulzer verfolgt sein Schicksal über mehrere Jahrzehnte, ebenso wie das zweier ehemaliger Freunde des Schauspielers. "Postskriptum" ist ein stimmungsvolles, atmosphärisch dichtes Buch über Künstlernaturen und die fatalen Verstrickungen in Politik und Zeitläufte. (Galiani, ISBN 9783869711157)
Meg Wolitzer: Die Stellung
Im Schatten solch literarischer Dickschiffe wie Jonathan Franzens Roman "Unschuld", (der trotzdem natürlich lesenswert ist), haben es andere US-amerikanische Romane in diesem Herbst schwer. Meg Wolitzers 2005 auf Englisch erschienenes Buch, das nun auf Deutsch vorliegt, behandelt ganz ähnliche Themen wie "Unschuld": Familienkonflikte, die sich vor allem um Eltern-Kinder-Auseinandersetzungen drehen, die Rolle von Sex bei der Persönlichkeitsbildung und ein Panorama der jüngeren US-Gesellschaft. Nicht ganz so weitschweifig und komplex wie Franzen, dafür kompakter und konzentrierter. (DuMont, ISBN 9783832197995)