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Politik

Still Got the Blues

Richard Walker (Adaption: Jan D. Walter)29. August 2015

Viele sprechen von einer Wiedergeburt von New Orleans nach dem verheerenden Hurrikan Katrina. Außen vor bleiben Zehntausende Afro-Amerikaner, die hier vor der Katastrophe lebten. Richard Walker berichtet aus Louisiana.

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Bildergalerie New Orleans nach Katrina (Foto: R. Walker)
Bild: DW/R. Walker

Es ist früher Abend in New Orleans. Eine Menschenmenge hat sich an der Stelle versammelt, wo vor zehn Jahren der Damm im Lower Ninth Ward brach. Das Wasser überflutete damals das gesamte Viertel, Tausende wurden obdachlos.

Obwohl die Sonne schon tief steht, brennt sie auf den Schauplatz der Gedenkveranstaltung. Die Menschen suchen Schatten unter dem großen Leinen-Pavillon. Gleich soll eine Gedenktafel enthüllt werden, die an jenen Moment erinnert, der ihr Leben für immer verändert hat.

Lower Ninth Ward Blues

Als Erster betritt ein Mann mit blassblauem Anzug und golden glitzerndem Hut die Bühne. Der RnB-Sänger Al "Carnival Time" Johnson verbrachte die meisten seiner 76 Lebensjahre im Lower Ninth Ward. Eigentlich ist er eine Legende des Karnevals von New Orleans. Doch heute singt er einen Blues über sein Zuhause ein paar Blocks weiter, das er an jenem 29. August verlor:

2349 Tennessee Street …
I loved it and it loved me.
The home I loved is not there anymore.
That's why I'm calling it, I'm naming it, Lower Ninth Ward Blues

(Deutsch: Tennessee Straße 2349 …/Ich liebte es, und es liebte mich./Das Zuhause, das ich liebte, ist nicht mehr da./Deshalb nenne ich es, taufe ich es, Lower Ninth Ward Blues …)

USA, New Orleans 10 Jahre nach Katrina, Al Johnson (Foto: R. Walker)
Al Johnson spielt den "Lower Ninth Ward Blues" auf der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag der SturmflutBild: DW/R. Walker

Auf Johnsons Darbietung folgen Reden. Auch sie haben einen Refrain: All die Häuser wurden nicht von einem Sturm zerstört, sondern von einer Serie von Fehlern - von Menschenhand gemacht wie der gebrochene Damm. Schon das hätte niemals passieren dürfen. Doch was die Menschen bis heute umtreibt: Das Versagen begann schon früher. Und es geht bis heute weiter.

Trügerische Sicherheit

Die Mehrheit der Hauseigentümer im Lower Ninth Ward, berichtet Thom Pepper von der Hilfsorganisation Common Ground Relief, habe sich auf die staatlichen Dämme verlassen: "Die Leute fühlten sich sicher, weil man ihnen gesagt hatte, sie seien geschützt." Auch die Versicherungsgesellschaften hätten ihnen gesagt, dass sie keine Police brauchten, wenn sie mehr als 300 Meter von einem Damm entfernt wohnten.

Doch sie waren nicht sicher. Bis zu 1500 Menschen starben bei der Katastrophe. Viele Überlebende hatten alles verloren, konnten jahrelang nicht in die Häuser zurückkehren, in denen ihre Familien seit Generationen wohnten.

Robert Richardson (Artikelbild) ist einer von denen, die zurückgekehrt sind. Wie viele andere Afro-Amerikaner zog auch seine Familie in der Nachkriegszeit ins "Lower Nine". Nach dem Sturm von 2005 musste er weg. Doch was ihn fast entwurzelt hätte, war nicht die Flut, sondern der lange Kampf danach.

Spaltung und Diskriminierung

Zwar setzte die US-Regierung bald nach der Katastrophe den größten Hilfsfonds in der Geschichte des Landes auf: Zehn Milliarden Dollar sollten den Flutopfern im Bundesstaat Louisiana helfen, ihre Häuser wieder aufzubauen. Doch schon der Antrag auf die Hilfsgelder stellte viele Menschen vor Schwierigkeiten.

Viele Bewohner besaßen keine Eigentumstitel für ihre Häuser, andere fühlten sich von der Bürokratie überfordert. Doch am verstörendsten war ein anderer Umstand: "Unseren Beratern fiel auf, dass weiße Hauseigentümer mehr Geld erhielten als schwarze - selbst wenn Alter und Größe der Häuser ähnlich waren", erklärt Cashauna Hill von der Beratungsstelle "Greater New Orleans Fair Housing".

USA, New Orleans 10 Jahre nach Katrina (Foto: R. Walker)
Viele Häuser in New Orleans sind bis heute verlassenBild: DW/R. Walker

Statt die Wiederherstellungskosten anzusetzen, bemaß sich die Entschädigungssumme am Immobilienwert vor dem Schaden. Diese Berechnungsformel, sagt Hill, sei nicht nur am Kern der Sache vorbeigegangen, sie berücksichtige auch nicht, dass der Immobilienwert in den USA stark an die ethnische Zusammensetzung der Nachbarschaft gekoppelt ist: "Häuser in afro-amerikanischen Vierteln sind weniger wert als in weißen Vierteln", sagt Hill. Schuld daran sei die Regierung, die in der Geschichte immer wieder ethnische Trennung und Rassendiskriminierung gefördert habe. Und nun tue sie das wieder.

Nachbesserung in kleinen Schritten

2008 ging GNO Fair Housing unter dem Vorwurf der Rassendiskriminierung gerichtlich gegen diese Praxis vor. Daraufhin stellte die Regierung 2011 weitere 60 Millionen Dollar bereit. Doch für manche reichte auch das nicht - oder die Hilfe kam zu spät.

Für die lokale Aktivistin Vanessa Gueringer ist das Muster klar: "Wir wollen euch nicht, deshalb machen wir euch jeden Schritt der Rückkehr so schwer wie möglich." Daran änderten auch weitere Nachbesserungen der Regierung nichts: "Zehn ganze Jahre sind vergangen. Wer bisher nicht zurück ist, kommt auch nicht mehr." Viele ihrer Freunde hätten anderswo ein gutes Leben gefunden: "Ihre Kinder gehen auf gute Schulen, sie selbst haben gute Jobs."

Vor allem für afro-amerikanische Männer ist genau das ein Problem in New Orleans: 48 Prozent von ihnen sind arbeitslos. Dadurch haben sie es ohnehin schwer, eine Mietswohnung zu finden. Erst recht nach Katrina, weil die Wohnungsknappheit die Mieten hat steigen lassen.

Schwieriger Wohnungsmarkt

Denn neben den zahlreichen Eigenheimen hat das Wasser auch die Hälfte aller Mietshäuser in New Orleans massiv beschädigt, erklärt Cashauna Hill von GNO Fair Housing. Die vier größten sozialen Wohnungseinheiten wurden daraufhin abgerissen.

USA, New Orleans 10 Jahre nach Katrina, St Roch Market (Foto: R. Walker)
Gentrifizierung im Westen der "Lower Nine": Der St. Roch Market verkauft Trend-Food für HipsterBild: DW/R. Walker

Neue bauen will die Stadt zunächst nicht. Stattdessen werden Gutscheine für den privaten Wohnungsmarkt verteilt. Dort sei Diskriminierung an der Tagesordnung, kritisiert Aktivistin Hill: "Hauseigentümer dürfen Gutschein-Mietern völlig legal den Einzug verweigern." Ihrer Schätzung nach sind 96 Prozent der Gutschein-Inhaber dunkelhäutig, was nach Hills Ansicht einmal mehr auf eine subventionierte Rassendiskriminierung hinausläuft.

Angst vor Gentrifizierung

Die befürchtet auch Robert Richardson aus der Lower Nine: "Sie wollen alles abreißen, einfach die ganze Gegend säubern. Verstehen Sie: ethnisch säubern." Der Hintergrund seiner drastischen Worte ist die aktuelle Aufwertung, die dem Lower Ninth Ward so lange verwehrt blieb: neue Wohnanlagen und Sportplätze, eine neue Feuerwache. Die Freude darüber bleibt vielen zurückgekehrten "Lower Niners" im Hals stecken.

All das wird gebaut, nachdem nur noch rund ein Drittel von ihnen hier wohnt. Aktivistin Vanessa Gueringer befürchtet, dass auch die Zurückgekehrten durch die Erhöhung der Mieten und der Grundsteuer verdrängt werden. Leisten, meint sie, könnten sich das dann wohl nur noch weiße Amerikaner. Die oft gepriesene Wiedergeburt von New Orleans findet zumindest im Lower Ninth Ward ohne die Menschen statt, die vor Katrina hier lebten.