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Wohin steuert die deutsche Rüstungsindustrie?

Sabine Kinkartz19. August 2014

Deutsche Panzer, U-Boote und Schnellfeuergewehre sind weltweit gefragt. Israel bekommt sie trotz des Gaza-Krieges und auch die Kurden hätten sie gerne. Die deutsche Rüstungsindustrie bangt dennoch um ihre Zukunft.

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Radpanzer Boxer
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn Gewerkschafter sich an Politiker wenden, dann suchen sie in der Regel Beistand im Kampf gegen Manager, die in ihren Unternehmen Arbeitsplätze abbauen wollen. Bei den mehr als 20 Betriebsräten aus der deutschen Rüstungsindustrie, die an diesem Dienstag im Bundeswirtschaftsministerium zu Gast waren, verhält es sich allerdings ganz anders. In ihrem Fall ist es Minister Sigmar Gabriel selbst, der den Konzernen das Wasser abgräbt, indem er immer weniger deutsche Waffenlieferungen in alle Welt genehmigt.

Für einige Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sei es bereits fünf vor zwölf, warnen Gewerkschafter der IG Metall. Ernst-August Kiel, Betriebsrat bei ThyssenKrupp Marine Systems sprach nach dem Treffen mit dem Minister von "brenzligen Fällen"."Da sind die Aufträge eingebrochen, da fehlen Anschlussaufträge und da muss auch relativ kurzfristig die Frage beantwortet werden, wie es weitergehen soll."

Waffenlieferungen sind Chefsache

Seit einem Dreivierteljahr ist der SPD-Vorsitzende Gabriel Bundeswirtschaftsminister und damit für die deutschen Rüstungsexporte zuständig. Eine Aufgabe, die er sehr ernst nimmt, hat er doch schon im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, dass ihm die Genehmigungspraxis der letzten Bundesregierung ein Dorn im Auge war. Laut Rüstungsexportbericht erteilte die Bundesregierung 2013 für sogenannte Drittstaaten außerhalb der NATO und der EU Genehmigungen in Höhe von 3,6 Milliarden Euro. Drei Jahre zuvor waren es nur 1,4 Milliarden Euro.

Nach den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die im Jahr 2000 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung aufgestellt worden sind, dürfen Waffen grundsätzlich nicht in Krisengebiete geliefert werden. In Einzelfällen kann es Ausnahmen geben, aber nur, wenn besondere deutsche außen- und sicherheitspolitische Interessen vorliegen. Aus dieser Ausnahme sei in den letzten Jahren "häufig die Regel" geworden, kritisiert Gabriel.

Die Folgen seien derzeit auch im Irak zu sehen. "Waffenlieferungen in solche Regionen produzieren in der Regel Probleme, derer man später nicht mehr Herr wird", sagte Gabriel. Dies sei auch bei den Gesprächen mit den Gewerkschaftern unstrittig gewesen. "Weder wird auf Seiten des Wirtschaftsministeriums ignoriert, wie die Lage der Arbeitsplätze ist, noch ignorieren die Betriebsräte und die IG Metall das Dilemma, in dem wir dort sind." Beschäftigungspolitische Gründe dürften beim Waffenexport aber keine Rolle spielen.

Pressekonferenz Bundeswirtschaftsminister Gabriel mit Vertretern der Rüstungsindustrie
Nach dem Gespräch mit Minister Gabriel: Betriebsrat Ernst-August Kiel (re.) und Jürgen Bühl von der IG MetallBild: picture-alliance/dpa

Klare Grundsätze

Das bekommen seit Gabriels Amtsantritt alle deutschen Rüstungsunternehmen zu spüren, die Waffen in Länder außerhalb der NATO und der EU verkaufen wollen. Da sei er strikt, betont Gabriel. "Ich halte mich an das, was es an gesetzlichen Grundlagen gibt." Exportanträge in Drittländer müssen über seinen Schreibtisch laufen. Dort bleiben sie anscheinend aber auch gerne liegen. Die Rede ist von Hunderten unbearbeiteter Ausfuhranträge. Die Grundsätze über die Rüstungsexporte seien absolut klar und eindeutig, rechtfertigt sich der Minister. "Deswegen bedarf es keiner neuen Debatte darüber, es bedarf keiner neuen Richtlinie, es bedarf keiner runden Tische und es bedarf übrigens auch keiner erneuten Klärung, wie es manche fordern."

Trotzdem hat Gabriel die Chefs der deutschen Rüstungsbetriebe am 5. September zu einem sogenannten Branchendialog in sein Ministerium eingeladen, an dem auch die Gewerkschafter teilnehmen werden. Für die deutsche Gesamtwirtschaft ist die Bedeutung der Rüstungsindustrie eher gering. Obwohl Deutschland zu den drei führenden Waffenexporteuren weltweit zählt, liegt der Anteil der Rüstungsbranche am Bruttoinlandsprodukt gerade einmal bei einem Prozent. 2011 waren knapp 98.000 Mitarbeiter direkt in einem der rund 40 Unternehmen beschäftigt, die dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie angehören. Dazu kommen 220.000 Jobs bei Zulieferern und Dienstleistern.

Die Branche verdient ihr Geld auch mit Zulieferungen an ausländische Rüstungsunternehmen, die ihre Waffensysteme nach längst nicht so strengen Exportregeln in Drittländer verkaufen. Bei ihren französischen oder britischen Kunden geraten die Deutschen natürlich in Misskredit, wenn die Bauteile ausbleiben. "Gabriels Kurs führt dazu, dass Deutschland nicht mehr als verlässlicher Partner wahrgenommen wird und die deutsche Rüstungsindustrie ihre Kernkompetenz verliert", kritisiert der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer.

Schwerter zu Pflugscharen?

Das allerdings will auch der Bundeswirtschaftsminister nicht. Eine "innovative, leistungs- und wettbewerbsfähige nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustrie" liege "im nationalen Interesse", zu den Herausforderungen gehöre aber auch "die unternehmerische Konsolidierung der Branche" und die Förderung von "Diversifizierungsstrategien" in den zivilen Bereich. Die werde zwar oft belächelt, so Gabriel, in den Rüstungsbetrieben gebe es aber genügend ingenieurtechnisches Potenzial für Ausgliederungen in den zivilen Bereich. "Ich glaube, dass wir in Deutschland eine Debatte über die rüstungs- und wehrtechnische Industrie brauchen, die mehr ist als eine Debatte über den Rüstungsexport."

Zu klären sei auch, welche rüstungstechnischen Kernkompetenzen in Deutschland erhalten werden sollten und welche Rolle die Bundeswehr dabei spiele. Darauf könne er als Wirtschaftsminister aber keine Antwort geben. "Spätestens Ende dieses Jahrzehnts laufen alle Rüstungsprojekte aus und es stellt sich die Frage, welche Anschlussvorhaben gibt es eigentlich." Die Frage müsse in der Bundesregierung beantwortet werden und da sei nicht nur Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gefragt, sondern auch der Bundesfinanzminister. Auch eine Erhöhung der wegen knapper Kassen gesenkten Ausgaben für die Instandhaltung von Militärmaterial könne zum Erhalt der Rüstungsbetriebe beitragen.

Kundgebung gegen Deutsche Rüstungsindustrie vor dem Berliner Reichstag (Foto: Daniel Naupold/dpa)
Die Mehrheit der Deutschen ist gegen RüstungsexporteBild: picture-alliance/dpa

Europäische Lösung ?

Mittel- und langfristig wird jedoch kein Weg an einer Europäisierung der Branche vorbeiführen. Es sei nicht sinnvoll, wenn jeder EU-Staat bei der Rüstung eigene Wege gehe, so Gabriel. "Auf Dauer unter 28 Freunden 28 mal eine eigene Armee, 28 mal eine eigene Marine und 28 mal eine eigene Luftwaffe und die mit unterschiedlichsten Waffensystemen auszustatten, ist wahrscheinlich nicht die klügste Art, das Geld zu investieren, um auch Wehrtechnik zu behalten."

Darüber machen sich auch Politiker anderer Parteien Gedanken. Unionsfraktionschef Volker Kauder plädiert für eine gemeinsame europäische Verteidigungsindustrie. "In diesem Zusammenhang müssen dann auch die Ausfuhrbestimmungen für Rüstungsgüter europäisch harmonisiert werden", schlägt der CDU-Politiker vor. In diesem Punkt ist aus dem Wirtschaftsministerium allerdings zu hören, dass die strengen deutschen Kriterien der Maßstab sein müssten.