"Zhaos Buch schließt eine wichtige Lücke"
19. Mai 2009Vor zwanzig Jahren, am 19.Mai 1989 trat Zhao Ziyang zum letzten Mal öffentlich auf. Eindringlich appellierte der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas an die Studenten, ihren Hungerstreik abzubrechen. Er stand für eine versöhnliche Linie gegenüber den Studenten. Nach diesem Auftritt wurde Zhao abgesetzt und stand bis zu seinem Tod 2005 unter Hausarrest. Nun sind seine Memoiren erschienen. Zhao hat sie auf Tonband gesprochen, heimlich wurden sie aus China herausgeschmuggelt.
DW-WORLD.DE: Herr Bao, genau zwanzig Jahre sind seit Zhao Ziyangs letztem Auftritt vergangen. Welche Bedeutung messen Sie seinen Erinnerungen heute bei?
Bao Pu: Es geht darum, die wirkliche Geschichte darzustellen. Die Erinnerungen Zhao Ziyangs schließen eine wichtige Lücke. Er hatte ja wie kein anderer Einsicht in die Ereignisse von damals. Deshalb sind seine Erinnerungen ein einzigartiger Beitrag zur Geschichtsschreibung. Zhao Ziyang hat sehr klare Erinnerungen an die Ereignisse. Als ich die Bänder alle gehört hatte, dachte ich: Er ist mit sich im Reinen. Er legt seine Gedanken sehr ruhig dar, belegt seine Aussagen und fällt keine willkürlichen Urteile.
Zhao Ziyang stand seit den Ereignissen von 1989 unter strenger Überwachung. Seine Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, seine Kontakte wurden streng kontrolliert. Wie konnten da diese Aufzeichnungen entstehen?
Nach allem, was ich weiß, fing es damit an, dass ihn einige seiner alten Freunde während ihrer Besuche gedrängt haben, seine Erinnerungen festzuhalten. Zuerst hat er abgelehnt, aber dann haben sie ihn überredet. Es begann damit, dass er ihnen seine Erinnerungen erzählt hat, und sie Notizen angefertigt haben. Doch das Problem war, dass das ja keine Originalaufnahmen waren. Dann haben sie begonnen mitzuschneiden. Zunächst fanden diese Aufnahmen bei Besuchen in fremden Wohnungen statt, wo er sich mit mehreren Freunden treffen konnte. Aber auf Dauer war es sehr schwierig, diese Treffen zu organisieren. Später hat er dann die Aufnahmen zu Hause gemacht.
Ihr Vater Bao Tong war ein enger Vertrauter Zhao Ziyangs und arbeitete früher als dessen Sekretär. War ihr Vater Teil dieser Gruppe?
Nein. Mein Vater hat nicht an diesen Treffen teilgenommen. Unter den damaligen Bedingungen waren direkte Kontakte zwischen ihm und Zhao Ziyang nicht möglich.
Sie haben in Interviews gesagt, diese Aufnahmen seien alle um das Jahr 2000 herum entstanden. Warum haben Sie das Material erst jetzt veröffentlicht?
Als Zhao Ziyang 2005 starb, hatte ich keine Ahnung, dass diese Tonbänder existieren. Erst nach seinem Tod habe ich davon erfahren. Ich habe dann noch zwei Jahre gebraucht, um alle Bänder zu bekommen. Wir haben dann unter großem Zeitdruck alles übersetzt und herausgebracht.
Hat Zhao Ziyang selbst verfügt, dass die Aufzeichnungen erst postum veröffentlicht werden?
Das man nur vermuten. Er selbst hat nicht gesagt, was mit dem Material passieren soll. Er hat kein Testament hinterlassen, deshalb wissen wir das nicht. Aber als Herausgeber hatten wir keinen Zweifel, dass das Material echt ist. Er hat das alles auf sich genommen, weil er seine Sicht der Geschichte hinterlassen wollte.
Warum sind Sie so sicher, dass die Bänder echt sind?
Ich wusste von Anfang an, dass ich der Quelle, über die ich an die Bänder gekommen bin vertrauen kann. Nachdem ich die Bänder gehört hatte, konnte ich dann vieles nachvollziehen. Mir war klar, dass das Material von Personen kommt, die eng mit Zhao zusammengearbeitet haben. Und als ich die Bänder später anderen vorgespielt habe, hat niemand den Verdacht geäußert, sie seien gefälscht. Er war ja eine öffentlich bekannte Person. Es gibt genug Aufzeichnungen seiner Stimme, da kann man leicht überprüfen, ob die Bänder echt sind.
Die Ereignisse von 1989 und die Rolle Zhao Ziyangs sind in China tabu. Ende Mai soll das Buch auch auf Chinesisch erscheinen. Was glauben Sie, wie wahrscheinlich ist es, dass der Text auch tatsächlich die Leser in der Volksrepublik erreicht?
Ich denke, dass interessierte Chinesen früher oder später Zugang zu dem Buch haben werden. Auf welchem Weg auch immer.
Das Interview führte Dai Ying
Übersetzung und Redaktion: Mathias Bölinger