Die Wiederentdeckung des Komponisten Telemann
25. Juni 2017Wie reagiert man, wenn der zwölfjährige Sohn heimlich mehrere Instrumente lernt und sogar eine Oper komponiert? Vermutlich würde man ihm schnellstmöglich einen Musiklehrer suchen. Die Mutter von Georg Philipp Telemann hingegen war entsetzt. Sie fürchtete, wie Telemann später notierte, dass er ein "Gaukler, Seiltänzer, Spielmann, Murmelthierführer" werde. Die Mutter beschlagnahmte alle Instrumente und schickte ihn auf eine andere Schule. Doch all das nützte nichts. Der junge Telemann, der zeitlebens nur zwei Wochen Klavierunterricht und wenige Gesangsstunden genossen haben soll, konnte es nicht lassen und brachte sich weiterhin selbst das Spiel auf allerlei Instrumenten bei: Violine, Gambe, Oboe, Orgel oder Bassposaune.
Georg Philipp Telemann, 1681 in Magdeburg geboren und 1767 in Hamburg gestorben, ist mit 3600 Werken einer der produktivsten Komponisten aller Zeiten. Allerdings wurde das nicht immer positiv angesehen. Zu Lebzeiten war er der berühmteste Komponist im deutschsprachigen Raum. Kurz nach seinem Tod galt er jedoch als oberflächlicher Vielschreiber. Anders als sein Freund Georg Friedrich Händel, mit dem er einen engen fachlichen Austausch pflegte, geriet er weitgehend in Vergessenheit.
Völlig zu Unrecht, wie Musikwissenschaftler heute urteilen. Nach und nach erschließt sich die Musikwelt wieder sein umfangreiches Werk. Nicht alles davon ist erhalten: Viele Kompositionen der Anfangsjahre sind verschollen. "Telemann war ein Großer seiner Zeit, ein weltgewandter, aufgeklärter Musiker von überbordender Schaffenskraft", sagt der Musikwissenschaftler und Dirigent Hermann Max.
Experimentierfreudiger Tausendsassa
Telemanns Werke und Ästhetik prägten maßgeblich den Barock und setzten auch für Kollegen wie Georg Friedrich Händel neue Impulse. Er legte sich nicht auf einen Stil fest, sondern nahm stetig neue Einflüsse, wie beispielsweise italienische oder französische, in seine Arbeiten auf. Bei einem Aufenthalt im polnischen Krakau soll er sich sogar von Kneipenmusik inspiriert haben lassen.
"Telemann schrieb viele Gebrauchsmusiken, durch ihn entstand eine vitale Kammermusikszene an allen Orten, an denen er wirkte, zuletzt in Hamburg", sagte die Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger, Telemann-Botschafterin für das Jubiläumsjahr, gegenüber der Nachrichtenagentur KNA. "Wir finden plötzlich eine französische Suite, eine italienische Arie und dann wieder ein deutsches Stück. Dann wieder bringt er ungewöhnliche Instrumente oder Kombinationen von Instrumenten ins solistische Rampenlicht, wie die Bratsche oder den Kontrabass."
Jenseits des musikalischen Tellerrands
Der Komponist liebte außerdem den Gesang, trat manchmal sogar selbst als Bariton in seinen Stücken auf. Typisch für seine Kompositionen sind gesangliche Melodien und einfallsreich eingesetzte Klangfarben. Das Telemann-Werke-Verzeichnis weist rund 1000 Instrumentalstücke aus, 1750 Kirchenkantaten, 16 Messen und 40 Passionen.
Einige Schmuckstücke dieses opulenten Werkes werden nun anlässlich seines 250. Todestag wieder gespielt. Zahlreiche Konzerte sind in den Städten geplant, in denen er gewirkt hat. So ist ein Netzwerk von zehn Telemann-Städten entstanden, die neben Veranstaltungen, Tagungen und Workshops auch online über den Komponisten informieren. Seine Geburtsstadt Magdeburg hat das Jahr 2017 zum Telemann-Jubiläumsjahr erklärt und bietet unter anderem Open-Air-Konzerte und Jazzimprovisationen im Geiste Georg Philipp Telemanns. Das passt gut zum Geehrten: Der Blick über den eigenen musikalischen Tellerrand war es, der Telemann stets antrieb.