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Mitt der Mormone

Christina Bergmann, Washington22. Oktober 2012

Zum ersten Mal haben die Republikaner einen Mormonen ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Vielen evangelikalen Christen behagt diese Wahl nicht. Doch letztlich wiegt die Abneigung gegen den Amtsinhaber schwerer.

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Mormonen in der kirche

Helen Claire Sievers ist Mormonin. Sie lebt in Boston, im US-Bundesstaat Massachusetts, geht jeden Sonntag zur Kirche und trägt die lange weiße Unterwäsche, die für die Angehörigen der Religion Pflicht ist. Sie findet, dass der mormonische Glaube zwar in Bezug auf Frauenrechte noch einiges nachzuholen hätten, aber sonst gute, moralische Werte vermittelt: "Die Menschen werden angehalten, sich zu benehmen, zu ihren Nächsten nett zu sein, sich um ihre Kinder zu kümmern, nicht zu lügen." Klar, fährt sie weiter fort, einiges was im "Buch der Mormonen" steht, sei schon ein bisschen merkwürdig, aber das gelte ja auch für die Bibel: das mit der jungfräulichen Geburt zum Beispiel hätten ja nicht die Mormonen erfunden.

Gut sechs Millionen Mormonen leben nach Angaben der ARDA (Association of Religion Data Archives) in den USA; die meisten in Utah, Idaho und Arizona, aber auch in Nevada, Oregon und Wyoming. Einer von ihnen, der Republikaner Mitt Romney, bewirbt sich um das höchste Amt im Staat - und macht um seine Religion wenig Aufhebens. Was zum einen daran liegt, dass Mormonen generell eher zurückhaltend darin sind, ihre Religion durchscheinen zu lassen. Zum anderen aber auch darin, dass sie gegen Vorbehalte zu kämpfen haben.

Mormonen: Glauben oder Kult?

Vor einem Jahr, als der Vorwahlkampf der Republikaner um die Nominierung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten begonnen hatte, erklärte ein prominenter Baptistenpastor, der mormonische Glaube sei ein "Kult". Pastor Robert Jeffress meinte, wiedergeborene Christen sollten in einem Wahlkampf um ein Amt einen "kompetenten Christen" einem "kompetenten Nichtchristen" vorziehen.

Helen Claire Sievers berichtet von einem, dem einzigen, unangenehmen Zusammentreffen mit evangelikalen Christen: Sie erlaubten ihren musikbegabten Söhnen nicht, in dem christlichen Gottesdienst als bezahlter Orgel- und Klavierspieler einzuspringen. "Sie sind bigott und uninformiert und der Ansicht, dass sie in allem Recht haben", sagt die Mormonin Sievers über die Evangelikalen. Die Republikaner, so die fünffache Mutter, seien sehr clever gewesen und hätten diese Gruppe manipuliert, indem sie die Ansichten in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung unterstützt hätten. "Sie ziehen diesen ganzen Schwarm von Wählern hinter sich her und können dann die Themen durchsetzen, die ihnen wichtig sind, wie im Finanzbereich."

Mormonin Helen Claire Sievers Christina Bergmann Helen Claire Sievers, Mormonin, Direktorin von World Teach, einer Organisation, die Lehrer betreut, die unentgeltlich im Ausland arbeiten wollen
Helen Claire Sievers Direktorin von World Teach glaubt, dass der mormonische Glaube gute Werte vermittelt.Bild: DW/C.Bergmann

Religion und Wahlverhalten

Tatsächlich ist die Religionszugehörigkeit ein wichtiger Faktor in den USA für das Wählerverhalten, erklärt Dr. John Green, Professor für politische Wissenschaft an der Akron Universität, Ohio. Bestimmte religiöse Gruppen sind fest mit einer der beiden Parteien verbunden: Weiße evangelikale Christen wählen mehrheitlich republikanisch. "Es ist eine Herausforderung für Gouverneur Romney und sein Team, auf die Evangelikalen zuzugehen und die gleiche Unterstützung zu bekommen wie bisherige republikanische Präsidentschaftskandidaten."

Die Zustimmung der meisten Mormonen ist Romney dagegen sicher. "Mormonen sind eine starke republikanische religiöse Gruppe in den USA, die große Mehrheit von ihnen wird für Romney stimmen", sagt Green. Katholiken dagegen seien geteilt: strenggläubige wählen die Republikaner, jene, die weniger oft zur Messe gehen, stimmen für Demokraten. Schwarze Protestanten und nichtreligiöse Menschen stimmen für die Demokraten.

Kirche und Staat getrennt

Sie alle aber vereint ein Wunsch: "Amerikaner möchten gerne, dass ihr Präsident moralische Werte vertritt, und dass er die Bedeutung von Religion anerkennt", sagt Dennis Goldford, Politikprofessor der Drake-Universität in Des Moines, Iowa, dessen Buch "Die Verfassung der Religionsfreiheit: Gott, Politik und der erste Verfassungszusatz" im Frühjahr erschienen ist. "Und Religion ist ein Kennzeichen für moralische Werte in Amerika." Viele Menschen gehen regelmäßig in die Kirche - weit mehr als in Europa, beispielsweise. Kirche und Staat sind getrennt, es gibt keine Staatsreligion, der Staat treibt auch nicht die Kirchensteuer ein. Deswegen müssen die Kirchen aktiver um ihre Mitglieder werben, die dadurch umso engagierter sind. "Ein Atheist hätte es wohl schwierig, hier [zum Präsidenten] gewählt zu werden", sagt Green.

Lieber ein Mormone als Obama

Muslime aber werden noch skeptischer beäugt als Mormonen, erst Recht seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Diese Skepsis gegenüber Muslimen zeigt sich auch darin, dass viele Amerikaner noch immer glauben, der Christ Obama sei ein Muslim. Es ist der Versuch, Obama als Außenseiter zu brandmarken. Wenn sie vor der Wahl stehen, den Christen Obama oder den Mormonen Rommey zu wählen, werden viele evangelikale Christen sich für Romney entscheiden, glaubt Dennis Goldford: "Selbst Leute, die zurückhaltend wegen seines mormonischen Glaubens sind, werden trotzdem Romney wählen, denn ihre Abneigung gegen Präsident Obama ist so stark, dass sie überwiegt."

Mormonenfrauen gehen über den Temple Square in Salt Lake City, im Hintergrund der sechstürmige Mormonen-Tempel. Foto: Barbara Munker dpa (Zu dpa-Korr: "Kein Kaffee für Gläubige - Mormonen prägen das Leben in Utah" vom 12.08.2012)
Mormonen mögen zwar von Romney nicht überzeugt sein, aber die Abneigung gegen Obama ist noch stärker.Bild: picture-alliance/dpa

Erst wenige Wochen vor der Wahl, Mitte Oktober, sprach einer der bekanntesten Evangelikalen Pastoren, Billy Graham, Romney seine Unterstützung aus - wenn er auch die Worte seiner Erklärung sorgfältig wählte. Auf seiner Webseite ließ Graham nach seinem Treffen mit Romney verkünden, er glaube, Amerika stehe am Scheideweg: "Ich hoffe, Millionen Amerikaner beten gemeinsam mit mir für unsere Nation und wählen den Kandidaten, der die biblische Definition von Ehe unterstützt, der die Unantastbarkeit des Leben schützt und unsere religiösen Freiheiten verteidigt."

Dass er so fest zu seinem Glauben steht, wird Mitt Romney also letztlich zum Vorteil gereichen, auch wenn er Mormone ist. Denn der Politikwissenschaftler Green hat einen Wandel im Zusammenhang von Politik und Religion ausgemacht. War früher, zu Zeiten John F Kennedy, die Religionszugehörigkeit entscheidend, wird jetzt Religiosität immer wichtiger, "wie oft Menschen in die Kirche gehen, wie ernst sie ihren Glauben nehmen". Und die Religionszugehörigkeit in den USA ist einem starken Wandel unterworfen. Während 1960 noch zwei Drittel aller Amerikaner Protestanten waren, sind es jetzt zum ersten Mal weniger als die Hälfte: 48 Prozent. Gewachsen ist dagegen die Gruppe, die auf die Frage der Religionszugehörigkeit mit "keiner" antwortet: Agnostiker, Atheisten und jene, die sich zwar als religiös, aber keiner der Religionen zugehörig fühlen. Sie alle zusammen machen inzwischen 20 Prozent der Bevölkerung aus.