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Zustimmung und Kritik nach Gröning-Urteil

15. Juli 2015

Vier Jahre Haft wegen Beihilfe zum Massenmord in Auschwitz – das Urteil des Landgerichts Lüneburg gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Kritik gab es vor allem am Strafmaß.

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Oskar Gröning während des Prozess in Lüneburg (Foto: Ronny Hartmann/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hartmann

"Das war sehr wichtig, weil damit ein NS-Täter zur Rechenschaft gezogen wurde", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Für die Opfer und ihre Angehörigen habe die Verurteilung eine hohe Bedeutung. Gleichzeitig betonte Schuster: "Die Versäumnisse der deutschen Justiz, die solche Verfahren jahrzehntelang verschleppt oder verhindert habe, lassen sich damit nicht mehr gutmachen."

"Obwohl verspätet, ist Gerechtigkeit geschehen"

Die nachlässige Verfolgung von KZ-Tätern durch die Nachkriegsjustiz hatte auch der Vorsitzende Richter Franz Kompisch bei seiner Urteilsbegründung kritisiert. Er sprach den 94-Jährigen der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen für schuldig und ging mit seinem Urteil über das von der Strafanwaltschaft geforderte Strafmaß von dreieinhalb Jahren hinaus. Gründlich, effizient und gnadenlos hätten Menschen wie Gröning zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie des Vernichtungslagers beigetragen. Als Rad im Getriebe habe der auch "Buchhalter von Auschwitz" genannte Gröning den Massenmord unterstützt, sagte Kompisch.

Ob der gesundheitlich angeschlagene Gröning haftfähig ist und tatsächlich hinter Gitter kommt, muss die Staatsanwaltschaft prüfen, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Verteidigung und auch Staatsanwaltschaft wollen prüfen, ob sie in Revision gehen. Nach Ansicht des ehemaligen Zentralratspräsidenten Dieter Graumann ist es jedoch unerheblich, ob Gröning seine Strafe tatsächlich antreten müsse. Das Urteil signalisiere, dass Gerechtigkeit keine Verfallszeit kenne, sagte Graumann bei "bild.de". Zudem sei es wichtig, in einer Zeit, in der es immer wieder Holocaust-Leugner gebe, NS-Täter zur Rechenschaft zu ziehen, erklärte der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses.

Dieter Graumann (Foto: dpa)
Dieter Graumann, Vizepräsident des Jüdischen WeltkongressesBild: picture-alliance/dpa

Auch der Präsident des Jüdischen Weltkongress äußerte Zustimmung. "Obwohl verspätet, ist Gerechtigkeit geschehen", sagte Ronald S. Lauder in New York. "Herr Gröning war nur ein kleines Rad in der Todesmaschine der Nazis, aber ohne die Hilfe von Menschen wie ihm wäre der Massenmord an Millionen von Juden und anderen nicht möglich gewesen." Wer zum Völkermord beitrage, dürfe nicht straffrei ausgehen. Im Vergleich zu den unbeschreiblichen Verbrechen, an denen er beteiligt gewesen sei, habe Gröning eine kleine Strafe erhalten.

Historiker Wolffsohn: unzulänglicher Prozess

Kritik am Strafmaß äußerte auch der Oberrabiner von Russland, Berel Lazar, und das Internationale Auschwitz Komitee. "Vier Jahre Haft sind nicht angemessen. Eine solche Strafe wird schon für Finanzverbrechen verhängt", sagte Lazar. "Einzig der Ausspruch einer lebenslangen Haftstrafe wäre angemessen gewesen", meinte der Vizepräsident des Internationalen Ausschwitz Komitees Christoph Heubner. Dennoch sei der Prozess für die Überlebenden auch mit Blick auf ihr Verhältnis zu Deutschland enorm wichtig gewesen: "Er hat ihnen neue Wege nach Deutschland eröffnet."

Der Historiker Michael Wolffsohn kritisierte den Prozess dagegen als unzulänglich. Das Urteil stehe in keinem Verhältnis zu der Tat, sagte er dem rbb-Inforadio. Man habe zeigen wollen: "Wir sind ja so korrekt. Aber im Grunde genommen ist das absurdes Theater gewesen." Wolffsohn plädierte für eine breite gesellschaftliche Debatte über die NS-Täter. Mit einem Verurteilten, der von der Öffentlichkeit ausgeschlossen in seiner Zelle sitze, sei keine gesellschaftliche Erziehung zu erreichen.

Nebenkläger "erleichtert und sehr glücklilch"

Die rund 70 Nebenkläger, Auschwitz-Überlebende und ihre Nachkommen, äußerten sich dagegen positiv über den Schuldspruch. "Ich bin erleichtert und sehr glücklich", sagte ihr Anwalt Thomas Walther. "Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht mehr vor einer Strafverfolgung sicher sein können."

Aus Sicht von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil war der Auschwitz-Prozess von Lüneburg wichtig für die Überlebenden des Konzentrationslagers. "Vor allem die Opfer haben in dem Prozess die Möglichkeit gehabt, ihre Leiden zu schildern", sagte der SPD-Politiker. Zwar lägen die Massenmorde schon mehr als 70 Jahre zurück. Der Prozess habe dennoch der Glaubwürdigkeit der Justiz bei der Verfolgung von NS-Verbrechern einen Schub gegeben. Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, hofft, "dass dies die deutschen Behörden ermutigen wird, weitere Fälle zu verfolgen".

Weiterer Ausschwitz-Prozess in Hanau

Wie beispielsweise im Bundesland Hessen, wo die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitteilte, dass sich ein 92 Jahre alter ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz vor der Jugendkammer des Landgerichts Hanau wegen Beihilfe zum Mord verantworten muss. Die Anklage sei vor der Jugendkammer erhoben worden, weil der Beschuldigte zur Tatzeit erst 19 beziehungsweise 20 Jahre alt gewesen sei.

ww/wl (dpa, KNA, epd)