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Zuviel Rücksicht auf die Türkei?

Jens Thurau, Berlin16. Oktober 2015

War das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren ein Völkermord? Der Bundestag will sich nun doch nicht festlegen. Weil der türkische Präsident Erdogan nicht verärgert werden soll?

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Berlin Demonstration Opfer Genozid Armenien
Bild: DW/C. Strack

Das wäre dann schon ein starkes Stück Realpolitik: Glaubt man einer Vorabmeldung des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", der am Samstag (17.10.) erscheint, dann tut die deutsche Regierung gerade sehr viel, um die Türkei für sich einzunehmen: Die Armenien-Resolution des Bundestages, im April bereits heftig im Parlament debattiert, soll erst einmal nicht beschlossen werden, heißt es. "In aller Stille" hätten sich die Regierungsfraktionen von Union und SPD darauf verständigt, die noch ausstehende abschließende Lesung der Resolution möglichst lange hinauszuzögern. Konkrete Quellen dafür nennt der Beitrag aber nicht.

Andere Quellen sprechen davon, dass die Resolution auf Bestreben der CDU verzögert werden soll. Die oppositionellen Grünen drängen darauf, dass der Bundestag noch vor Jahresende die Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren als "Völkermord" anerkennt. Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert: "Die Koalition spielt auf Zeit, dabei sitzt ihr die Zeit eigentlich im Nacken, denn das Gedenkjahr ist schon bald zu Ende."

Gauck und Lammert finden klare Worte

Im April hatten die Abgeordneten der Vertreibung und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich vor hundert Jahren gedacht. Nach armenischer Darstellung starben vom April 1915 bis 1917 im Zuge der Vernichtung der armenischen Minderheit auf dem Gebiet der heutigen Türkei bis zu 1,5 Millionen Armenier. Die Türkei hält dagegen: 300.000 bis 500.000 Armenier seien getötet worden, ebenso viele Türken seien gestorben. Und Ankara spricht von bürgerkriegsartigen Kämpfen und Hungersnöten.

Völkermord an den Armeniern
1,5 Millionen Armenier kamen ums LebenBild: picture-alliance/dpa

Kaum ein Thema reizt den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mehr, als wenn in diesem Zusammenhang von "Völkermord" die Rede ist. In der Bundestagsresolution wird dieses Wort zwar benutzt, eine klare Einordnung aber vermieden. Ganz anders formulierten da Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck. Beide sprachen in Reden in diesem Jahr eindeutig von einem Völkermord, begangen von den Türken an den Armeniern. Das hatte jeweils zu heftigen Reaktionen in der Türkei geführt. "Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen", formulierte das Außenministerium in Ankara nach der Rede Gaucks im Berliner Dom im April.

Merkel fliegt nach Istanbul

Klar ist derzeit, dass die deutsche Regierung die Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise braucht. Die Türkei ist ein wichtiges, derzeit wohl das wichtigste Transitland für Flüchtende aus dem Nahen Osten, die irgendwann einmal die EU, vor allem Deutschland, erreichen wollen. Zwei Millionen Flüchtlinge befinden sich derzeit in der Türkei, Bundeskanzlerin Angela Merkel will erreichen, dass Präsident Erdogan stärker als bislang in dieser Frage mit der EU kooperiert. Dazu wird die Kanzlerin am Sonntag nach Istanbul reisen und dort Erdogan treffen.

Brüssel Jean-Claude Juncker Treffen mit türkischem Präsidenten Tayyip Erdogan
Reden über Flüchtlinge: EU-Kommissionspräsident Juncker begrüßt Erdogan in BrüsselBild: Reuters/F. Lenoir

Ein schwieriges Umfeld also, in dem Merkel auf den türkischen Präsidenten trifft. Ein Aktionsplan der Türken mit der EU, diese Woche in Brüssel beschlossen, sieht vor, dass die Türkei gegen Geldleistungen die Flüchtlinge besser als bislang registriert und verpflegt.

Merkels Reise hatte im politischen Berlin zu gemischten Reaktionen geführt: Am 1. November finden in der Türkei Neuwahlen im Parlament statt. Im Frühjahr hatte Erdogans islamisch-konservative Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit verloren, die sie nun wieder zu erlangen hofft. Die deutschen Oppositionsparteien Grüne und Linke fürchten, Merkels Reise könne eine unfreiwillige Wahlkampfhilfe für den Präsidenten sein.